1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

DFB-Präsidentenwahl bei ramponiertem Image

8. März 2022

Am Freitag kürt der Bundestag des Deutschen Fußball-Bunds den neuen Chef des größten Einzelsportverbands der Welt. Der Reformbedarf ist riesig, die Stimmung mies.

https://p.dw.com/p/488Vj
Schmierereien an DFB-Zentrale
Schmierereien an der DFB-Zentrale in Frankfurt am MainBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Der DFB hat ein "wirklich niederschmetterndes Image". So beurteilt Harald Lange die Lage vor der DFB-Präsidentenwahl an diesem Freitag gegenüber der DW. Der Sportwissenschaftler war Teil der  Erstellung und Erhebung einer Studie der Universität Würzburg und der Hochschule Ansbach, bei der eine Online-Umfrage mit fast 12.000 Teilnehmern zum Zustand des Deutschen Fußball-Bunds ausgewertet wurde. Die Umfrage wurde vor der jüngsten Razzia beim DFB durchgeführt.

Rund 91 Prozent der Befragten bezeichneten das Image des weltweit größten Einzelsportverbands der Welt als "schlecht" oder "sehr schlecht". 93 Prozent stimmten der These zu, dass es den DFB-Funktionären nur um Macht und Geld gehe. Und 78 Prozent glauben nicht daran, dass nach der Wahl des neuen Präsidenten alles besser wird.

Neuendorf oder Peters?

Die Neuwahl war nötig geworden, weil DFB-Präsident Fritz Keller im Mai 2021 zurückgetreten war. Keller war wegen seiner Nazi-Äußerung gegen Stellvertreter Rainer Koch massiv in die Kritik geraten. Keller hatte Koch während einer DFB-Präsidiumssitzung als "Freisler" bezeichnet. Roland Freisler war Vorsitzender des berüchtigten Volksgerichtshofes im Nationalsozialismus, der für Tausende von Unrechtsurteilen verantwortlich war. Monatelange Querelen in der DFB-Führungsspitze waren Kellers Entgleisung vorausgegangen. Bis zur Neuwahl sprang Koch als Interimspräsident ein. Der umstrittene Funktionär kandidierte jedoch nicht für den Posten an der Spitze der mehr als 7,1 Millionen DFB-Mitglieder.

262 Delegierte entscheiden nun beim DFB-Bundestag in Bonn darüber, wer den Verband bis 2025 anführen wird: Bernd Neuendorf oder Peter Peters. Der 60 Jahre alte Neuendorf ist Präsident des DFB-Verbands Mittelrhein, der das Gebiet zwischen den Städten Köln, Bonn und Aachen umfasst. Der 59 Jahre alte Peters war sechs Jahre lang als Vorstandsmitglied des Traditionsvereins FC Schalke 04 für dessen Finanzen zuständig. Seit 1993 war er Geschäftsführer des Ruhrgebietsklubs. Seit 2019 ist er Vizepräsident des DFB.

Im DFB-Bundestag haben die 21 Landesverbände die Mehrheit. Sie haben sich im Vorfeld bereits auf Neuendorf festgelegt, Peters hat deshalb nur Außenseiterchancen. "Mit Blick auf die Basis kann man sagen, dass beide Kandidaten durchgefallen sind", sagt Sportwissenschaftler Lange. In der Umfrage trauten Neuendorf gerade einmal elf Prozent den höchsten Posten im deutschen Fußball zu, bei Peters waren es mit gut 13 Prozent auch nicht viel mehr.

Frauen in der DFB-Spitze unterrepräsentiert

"Die Basis wünscht sich mehr und andere Kandidaten," sagt Lange mit Blick auf die Studie. Zum Beispiel mehr Frauen: "In allen Bereichen des Fußballs gibt es überaus kompetente Frauen, die sachorientiert und sehr erfolgreich in ihren Bereichen arbeiten. Nur in der Spitze des DFB tauchen sie zu selten oder gar nicht auf. Man kann nicht einfach die Hälfte der Gesellschaft außen vor lassen, wenn es darum geht, anzuführen." Das dafür nötige Umdenken sei bei der DFB-Basis längst angekommen, so Lange, nicht jedoch bei den Verantwortlichen des Verbands.

"Der DFB hält mit allen Mitteln an bestehenden Machtstrukturen fest", sagt Katja Kraus von der Frauen-Initiative "Fußball kann mehr" im DW-Interview: "Es gab keine Offenheit dafür, einen demokratischen Prozess zuzulassen, Kandidatinnen, Kandidaten und Teams mit unterschiedlichen Programmen zu begrüßen und zu sagen: Am Ende gewinnt, wer das Beste für den Fußball will." Wegen mangelnder Erfolgschancen verzichtete die Initiative darauf, eine Kandidatin ins Rennen zu schicken. "Wir sind keine Hasardeurinnen", sagt Kraus. "Wer stellt sich schon für einen Wettbewerb zur Verfügung, dessen Ergebnis vorher feststeht?"

Seit Donata Hopfen Anfang des Jahres neue Geschäftsführerin der Deutschen Fußball Liga (DFL) wurde, sind zwei Frauen im 17-köpfigen DFB-Vorstand vertreten. Vorher war Hannelore Ratzeburg, zuständig für Gleichstellung sowie den Frauen- und Mädchenfußball, Einzelkämpferin. Sowohl Neuenburg als auch Peters haben angekündigt, dass sie weitere Frauen ins höchste Gremium des DFB berufen wollen.

"DFB-Spitze quasi in einer Blase"

Egal, wer von beiden das Rennen um die DFB-Spitze macht - er steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Katja Kraus sieht den deutschen Fußball in einer tiefen "Glaubwürdigkeitskrise". In den vergangenen Jahren hätten die Verantwortlichen des DFB "das Ansehen des Fußballs ramponiert", nun müsse der Verband das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Dies könne jedoch nicht durch "kosmetisches Modellieren des Vorhandenen" gelingen, so Kraus.

Auch Harald Lange sieht riesigen Reformbedarf. Der Kontakt zur Basis sei in den vergangenen Jahren verloren gegangen. "Die DFB-Spitze hat quasi wie in einer Blase gelebt und gearbeitet, wo sich alles um sich selbst dreht", sagt der Sportwissenschaftler. "Man muss endlich damit beginnen, den DFB durchlässiger zu machen: für Meinungen, für Stimmungen, für Personen, die von der Basis aus kommen und Verantwortung übernehmen wollen."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter