Dexit? Die AfD will, dass Deutschland die EU verlässt
20. Dezember 2024Die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat ihr Versprechen bekräftigt, Deutschland aus der Europäischen Union und der gemeinsamen Währung, dem Euro, herauszuführen, sollte sie an die Regierung kommen.
Ein Entwurf des Programms für die vorgezogene Bundestagswahl 2025 wurde den Mitgliedern zugesandt. Anfang Januar soll darüber auf einem Parteitag abgestimmt werden. Im Entwurf wiederholt die einwanderungsfeindliche Partei ein Versprechen aus ihrem Europawahlkampf im Sommer: "Wir halten es für notwendig, dass Deutschland die Europäische Union verlässt und eine neue europäische Gemeinschaft gründet."
Anstelle der EU will die AfD ein so genanntes "Europa der Vaterländer" einführen - einen Staatenverbund, der einen gemeinsamen Markt und eine "Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" umfasst.
Außerdem will die AfD Deutschland aus der 2002 eingeführten Euro-Währungsunion herausnehmen und diese durch eine so genannte "Transfer-Union" ersetzen. Die Partei räumt in ihrem Wahlprogramm ein, dass ein "harter Schnitt" kontraproduktiv wäre. Sie schlägt vor, die Beziehungen zu allen Mitgliedsstaaten sowie anderen europäischen Ländern neu zu verhandeln.
Die AfD möchte, dass Deutschland eine Volksabstimmung zu diesem Thema abhält. Dabei wäre ein tatsächlicher Austritt aus der EU nicht einfach, da die EU-Mitgliedschaft in der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, verankert ist. Selbst wenn irgendeine künftige AfD-geführte deutsche Regierung den Austritt Deutschlands aus der EU erklären würde, wäre dies faktisch verfassungswidrig: Ein solcher "Dexit" würde eine Zweidrittelmehrheit im deutschen Parlament erfordern.
Dexit? Scharfe Kritik von Wirtschaft und Industrie
Der Plan der AfD stellt eine Verschärfung ihrer Position zur EU dar: Noch im Februar dieses Jahres sagte der Co-Vorsitzende der Partei, Tino Chrupalla, dass es für Deutschland "zu spät" sei, die EU zu verlassen. Seine Co-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Alice Weidel bezeichnete den "Dexit" in einem Interview mit der britischen "Financial Times" Anfang des Jahres lediglich als "Plan B".
Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute und Industrieverbände haben den AfD-Vorschlag verurteilt. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Sitz in Köln kam in einer Studie im Mai zu dem Schluss, dass ein Austritt aus der EU das Land innerhalb von fünf Jahren 690 Milliarden Euro kosten, das Bruttoinlandsprodukt um 5,6 Prozent schrumpfen lassen und den Verlust von 2,5 Millionen Arbeitsplätzen bedeuten würde. Der Schaden wäre "vergleichbar mit der Coronavirus-Krise und der Energiekrise zusammen", heißt es in der IW-Studie.
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) reagierte noch schärfer und bezeichnete das Vorhaben der AfD als "wirtschaftliche Kamikaze-Mission". In einer Erklärung, die vor der EU-Wahl im Juni veröffentlicht wurde, hat der BVMW alle positiven Aspekte der Einheitswährung für kleine und mittlere Unternehmen aufgezählt: "Die Währungsunion ist eine sinnvolle Ergänzung des EU-Binnenmarkts. Der EU-Binnenmarkt erleichtert es Unternehmen erheblich, Waren und Dienstleistungen im EU-Ausland zu verkaufen. Der Euro trägt dazu bei, dass unkalkulierbare Risiken für Unternehmen im Handel entfallen."
Ronald Gläser, ein Sprecher der AfD in Berlin, wies diese Bedenken zurück. "Ja, Deutschland profitiert von der Europäischen Union, aber wir glauben, dass wir die Vorteile auch dann haben, wenn wir zu anderen Übereinkünften kommen", sagte Gläser der DW. "Und wenn Ökonomen behaupten, das wäre eine wirtschaftliche Katastrophe, dann kann ich nur fragen: Sind das die Gleichen, die auch gesagt haben, Europa und England werden durch den Brexit furchtbar zurückgeworfen? Ich kann mich an die ganzen Horrorszenarien rund um den Brexit erinnern, und es ist doch alles weitgehend reibungslos abgelaufen."
Tatsächlich aber kam ein von der Wirtschaftsberatung Cambridge Econometrics veröffentlichter Bericht im Januar 2024 zu einem ganz anderen Schluss: Darin heißt es, dass der Brexit Wachstum und Beschäftigung im Vereinigten Königreich abwürgt habe - und bis 2035 schätzungsweise drei Millionen Arbeitsplätze wegfallen würden.
Aus dem Brexit lernen: "Schwere Wirtschaftskrise mit Ansage"
In der Studie des IW wurde untersucht, wie sich der Brexit auf die Regionen Großbritanniens auswirkt, die eine ähnliche Wirtschaftsstruktur haben wie die entsprechenden Regionen in Deutschland.
"Das ist eher konservativ geschätzt", warnte IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt, der den Bericht mit verfasst hat: "Wir könnten noch stärkere Auswirkungen haben, weil wir stärker in der EU verflochten sind, als es die Briten waren. Wir haben den Euro und damit höhere Komplikationen eines Austritts, als sie die Briten hatten."
Was ein "Dexit" bedeuten würde, teilte Bardt der DW so mit: "In fünf Jahren wären wir fünfeinhalb Prozent ärmer, als wenn wir in der EU blieben. Das ist eine schwere Wirtschaftskrise mit Ansage." Das wäre natürlich besonders schädlich für Unternehmen, die von Märkten und Lieferanten in anderen EU-Ländern abhängig sind, ergänzte er.
Ronald Gläser von der AfD ist der Meinung, dass eine alternative Struktur den Freihandel trotzdem sichern könnte: "Warum sollten die Unternehmen oder die privaten Nachfrager in Italien, Frankreich, Schweden oder sonst wo keine deutschen Produkte mehr nachfragen, nur weil wir nicht mehr in der Europäischen Union sind? Die Schweiz ist auch nicht in der Europäischen Union und sie exportiert in diese Länder."
Bardt hat allerdings nichts übrig für den "Dexit"-Plan der AfD, die EU durch eine andere Wirtschaftsgemeinschaft zu ersetzen: "Ich halte dies für eine inhaltsleere und unrealistische Vorstellung oder Verschleierung. Die EU zu zerstören, wird nicht dazu führen, dass dann ein neues, besseres Integrationsmodell entsteht."
Die Anti-EU-Wurzeln der AfD
Auch in der deutschen Bevölkerung ist ein "Dexit" nicht populär: Eine Anfang des Jahres veröffentlichte Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der konservativen Christlich-Demokratischen Union (CDU) nahesteht, ergab, dass 87 Prozent der Deutschen bei einem Referendum für den Verbleib in der EU stimmen würden.
Warum also hat die AfD beschlossen, eine so drastische und unpopuläre Maßnahme in ihr Wahlprogramm aufzunehmen? AfD-Politiker Gläser betont, dass ein Austritt aus der EU gut für die Deutschen wäre, ob sie ihn nun wollten oder nicht: "Wir machen keine Politik nach Umfragen, sondern wir wollen das Richtige und Notwendige umsetzen."
Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Universität Kassel, weist darauf hin, dass die Haltung der AfD stimmig sei mit ihrer Gründungsidee: Die Partei entstand 2013 zunächst als Partei von Ökonomen, die die EU-Rettungsmaßnahmen nach der Euro-Krise kritisierten. Seitdem ist sie weiter nach rechts und gegen die Einwanderung gedriftet, aber ihre Euroskepsis ist geblieben - auch wenn sie jetzt weniger offensichtlich ist.
"Erstens ist die AfD eine nationalistische Partei", sagt Schroeder der DW. "Sie kämpft gegen die Globalisierung. Daraus ergibt sich ein skeptisches Verhältnis gegenüber übergeordneten Instanzen: EU und UN (Vereinte Nationen) sind (für sie) Instanzen mit anderen Zielen, die anderen Werten verpflichtet sind und daher eine Gefahr für den wahren Willen des Volkes."
Aber meint es die AfD ernst mit ihrem Vorschlag, die EU durch eine andere Art internationaler Gemeinschaft zu ersetzen - angesichts der wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Probleme, die dies verursachen würde?
Schroeder analysiert: "Man kann sagen, sie nehmen es nicht ernst, weil sie wissen, dass sie da nur eine kleine Minderheitsposition vertreten. Insofern können sie das so formulieren, um eine andere Welt anzudeuten. Es kostet sie nichts."
Der Politikwissenschaftler hält die Position der AfD für eine Art billige Langzeitwette: "Sie setzen darauf, dass es zunehmend mehr Länder gibt, die diesem Euro-Skeptizismus zustimmen, und dass es so eine neue Entwicklung gibt, die in Richtung Eurasien geht." Dort könnten sich neue Perspektiven auftun: wirtschaftlich und politisch.
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.