1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschlands Nationalmannschaft und die AfD

30. Juni 2024

Bei der Fußball-EM 2024 zeigen sich auch viele Politiker als Fans der deutschen Nationalelf. Eine Ausnahme bilden dagegen einige Mitglieder der AfD, denen das DFB-Team zu woke, zu vielfältig und zu undeutsch ist.

https://p.dw.com/p/4hh69
deutsche Nationalspieler stehen untergehakt und singen Nationalhymne
Neun Spieler der aktuellen deutschen Mannschaft haben ausländische Wurzeln - zum Missfallen einiger AfD-PolitikerBild: Silas Schueller/DeFodi/picture alliance

Karl Lauterbach ist eigentlich immer dabei. Der Bundesgesundheitsminister war beim zweiten Vorrundenspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Stuttgart gegen Ungarn im Stadion, beim dritten Gruppenspiel in Frankfurt gegen die Schweiz und auch beim Achtelfinal-Sieg gegen Dänemark.

Stets postete der Politiker der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) auf X einige Selfies. Neben ihm waren in wechselnder Choreographie andere Mitglieder der Bundesregierung zu sehen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock oder Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Auch Außenministerin Baerbock twittert regelmäßig zur EURO und zur Nationalmannschaft, Faeser ebenso. Bundeskanzler Scholz hält sich auf Social Media eher zurück, wird aber immer wieder mal zum DFB-Team und seinen Eindrücken und Erwartungen an die Mannschaft interviewt, wobei man heraushören kann, dass die Begeisterung für das DFB-Team seine Fußball-Fachkenntnis möglicherweise übertrifft.

Insgesamt aber reihen sich Deutschlands Spitzenpolitiker in das Stimmungsbild ein, das im Land derzeit vorherrscht: Die Fußball-EM ist eine tolle Veranstaltung, die Laune hervorragend, man erfreut sich an den friedlich feiernden Gästen aus Schottland, den Niederlanden und anderen Teilnehmerländern und feiert auch sich selbst und die deutsche Mannschaft.

Ein bisschen ist die Hoffnung auf ein neues Sommermärchen tatsächlich in Erfüllung gegangen. Die Deutschen präsentieren sich als gute Gastgeber, sind auch sportlich erfolgreich, die Fanzonen sind voll, überall wehen Deutschland-Fahnen. Ausgebremst werden die deutschen Fans nur manchmal vom schlechten Wetter.

Ablehnung der Nationalmannschaft in Teilen der AfD

Ganz anders sieht es mit der Begeisterung für die deutsche Nationalmannschaft dagegen bei vielen Politikerinnen und Politikern der Partei Alternative für Deutschland (AfD) aus. Die AfD ist eine rechtspopulistische und in Teilen sogar rechtsextremistische Partei. Besonders stark ist sie im Osten der Bundesrepublik. Sie war bei der Europawahl große Gewinnerin.

Die AfD setzt sich für strengere Asyl- und Zuwanderungsregelungen ein, hat ein konservatives Familien- und Gesellschaftsbild und unterstützt im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eher die russische Seite.  

AfD-Politiker Bernd Höcke reißt die Augen auf
AfD-Politiker Björn Höcke schaut sich nach eigenen Angaben seit 2014 keine Spiele der Nationalmannschaft mehr anBild: Ronny Hartmann/dpa/picture alliance

Wenig Verständnis herrscht bei einigen AfD-Spitzenpolitikerinnen und -politikern offenbar für die deutsche Mannschaft, die ihnen zu wenig weiß, zu wenig deutsch, zu woke [woke = wachsam; umgangssprachlich verwendet für Aufmerksamkeit auf Diskriminierung von Minderheiten, Anm.d.Red.] und zu vielfältig ist.

Maximilian Krah, der bei der Europawahl Spitzenkandidat der AfD war, nannte die deutsche Mannschaft vor dem Start der EM auf TikTok eine "politisch korrekte Söldnertruppe". Die EM sei ihm egal. "Es ist die Regenbogenmannschaft, die Pride-Mannschaft", sagte er. "Wir können es ignorieren."

Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im ostdeutschen Bundesland Thüringen, äußerte sich während der EM in der Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" gegen einen Fußball, "dem aus jeder Pore die Regenbogenideologie quillt". Er habe den deutschen Weltmeistertitel 1990 in Italien und die Heim-WM 2006 als "Glücksmomente" erlebt. "Heute kann ich mich nicht mehr mit unserer Nationalmannschaft identifizieren", so Höcke.

EM-Kader als Spiegel der Gesellschaft

Tatsächlich spielen einige Spieler bei der EM für Deutschland, die auch ausländische Wurzeln haben. Jonathan Tah hat eine deutsche Mutter, sein Vater stammt von der Elfenbeinküste. Benjamin Henrichs ist Sohn eines deutschen Vaters und einer Mutter aus Ghana. Antonio Rüdiger hat einen Vater aus Deutschland, seine Mutter stammt aus Sierra Leone. Kapitän Ilkay Gündogan, Emre Can und Deniz Undav haben türkische Wurzeln, Waldemar Anton russische. Leroy Sanés Vater ist aus dem Senegal, der Vater von Jamal Musiala aus Nigeria.

Deutschlands Nationalspieler Jonathan Tah
Genau wie seine Schwarzen Teamkollegen wurde Jonathan Tah schon oft rassistisch beleidigt Bild: Revierfoto/IMAGO

Das DFB-Team ist damit ein Spiegel der deutschen Gesellschaft und im Grunde genauso vielfältig wie die meisten durchschnittlichen Kindergartengruppen oder Schulklassen hierzulande. Deutschland hat ziemlich genau 84 Millionen Einwohner, etwa 25 Millionen haben einen Migrationshintergrund und rund 15 Prozent der Bevölkerung besitzt nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.

Vielen Mitgliedern und Anhängern der AfD und auch anderen Menschen in Deutschland, die nicht unbedingt die AfD wählen, gefällt das nicht. Sie sind skeptisch und ablehnend gegenüber allem Fremden und haben mitunter auch Angst vor wirtschaftlichen und sozialen Nachteilen durch zu viel Migration. Andere sind extremer und offen ausländerfeindlich. Entsprechend fallen regelmäßig auch die Kommentare auf Social Media aus, wenn Schwarze Spieler wie Tah, Rüdiger, Sané oder Henrichs in Posts auftauchen. Rassistische Beleidigungen sind an der Tagesordnung.

Stolz oder Ablehnung?

Vor der Europameisterschaft hatte eine Umfrage für Aufregung gesorgt, bei der die Frage gestellt worden war, ob man sich mehr Spieler mit weißer Hautfarbe in der deutschen Nationalmannschaft wünsche. 21 Prozent der Befragten bejahten das.

Die Umfrage war von einem renommierten Meinungsforschungsinstitut im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks gestellt und im Rahmen der Dokumentation "Einigkeit und Recht und Vielfalt" präsentiert worden. Der Anteil der Befürworter war bei den AfD-Wählern mit 47 Prozent besonders hoch. Spätestens seitdem wird über die Ablehnung des DFB-Teams durch viele AfD-Anhänger diskutiert.

deutsche Nationalspieler klatschen und bedanken sich bei den Fans
Schwenken die Kritiker der deutschen Mannschaft um, wenn sie tatsächlich den Titel holt?Bild: BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl/picture alliance

"Ich würde fast die Wette eingehen, dass die selbsternannten Patrioten, AfD, fast täglich beten, damit die Nationalmannschaft rausfliegt", sagte die CDU-Politikerin Serap Güler einige Tage vor dem Achtelfinalspiel der deutschen Mannschaft in der Fernseh-Talkshow "Markus Lanz". Güler ist als Kind türkischer Gastarbeiter in Deutschland geboren und aufgewachsen. "Damit sie sagen können: 'Seht ihr, wir haben es doch gesagt, das sind keine echten Deutschen. Deshalb sind wir rausgeflogen.'"

Tatsächlich wird interessant sein, wie die AfD-Anhänger reagieren, sollte die deutsche Mannschaft am Ende tatsächlich den EM-Titel holen und Europameister werden. Überwiegt dann der Stolz, Europas beste Fußballnation zu sein, oder doch die Ablehnung der "ausländischen Spieler" mit "falscher Hautfarbe" und "zu woker politischer Einstellung", die auf dem Platz dazu beigetragen haben?