Deutschlands Autobauer vor der großen Wende
2. Januar 2025Dass es der deutschen Wirtschaft zum Jahresbeginn 2025 gar nicht gut geht, ist nicht zu übersehen. Gerade die wohl wichtigste Branche, die Automobilindustrie, hat es schwer getroffen. So plante der größte deutsche Autobauer, VW, sogar in Deutschland Werke zu schließen, was in der jahrzehntelangen Firmengeschichte noch nie vorgekommen ist.
Zwar gelang kurz vor den Feiertagen noch eine Einigung mit den Gewerkschaften. Dieser als "Weihnachtswunder" gefeierte Kompromiss sieht den Abbau von über 35.000 Arbeitsplätzen und eine Reduzierung der Produktion um fast ein Viertel vor, allerdings ohne unmittelbare Entlassungen oder gar
Werksschließungen. Doch stehen Massenentlassungen bei anderen Autofirmen und bei vielen Zulieferbetrieben noch im Raum.
Die Diagnose ist unstrittig, lediglich bei der Frage nach den Gründen unterscheiden sich Marktbeobachter und Wettbewerber noch. So nennt der Automobilexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) eine "Kombination von Schwierigkeiten, eine deutsche Polykrise."
Dazu gehöre, dass "neue Kompetenzen bei der Transformation der Branche erst erlernt werden müssten: Hin zur E-Mobilität, zu Software-definierten Fahrzeugen, zum autonomen Fahren." Und dazu, sagte er im DW-Gespräch, komme auch "ein neues Wettbewerbsumfeld. Und das sind nicht nur Tesla und die Chinesen."
Eine Sprecherin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) nahm gegenüber der DW auch die Politik in die Verantwortung: "Zudem dämpft die im Dezember 2023 ausgelaufene Förderung von E-Pkw und nicht ausreichende Ladeinfrastruktur die aktuellen Absatzzahlen und die gegenwärtige Lage." Ferdinand Dudenhöffer vom renommierten Car-Institut sieht das im Gespräch mit der Deutschen Welle ähnlich und kritisierte den Typus "Politiker, der einmal Elektroautos haben möchte und dann Verbrenner predigt und Menschen verunsichert."
Tiefschlaf in der Chefetage
Dass die Zukunft des Individualverkehrs nicht in der Neu- oder Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren liegt, scheint schon seit Jahren ausgemachte Sache zu sein. Dabei ist es egal, ob diese mit fossilen Energieträgern oder synthetischen Brennstoffen betrieben werden: Der Trend geht ganz eindeutig zur E-Mobilität.
Der Autoexperte Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automotive Management an der Fachhochschule des Mittelstandes, sieht daher "bei dem einen oder anderen Hersteller gravierende Management-Fehlentscheidungen". Die Chefs hätten wohl die Köpfe in den Sand gesteckt und "gehofft, dass alles gut geht."
Aber es geht eben nicht gut, stellt Stefan Bratzel fest. Der Standort Deutschland sei im internationalen Wettbewerb deutlich zurückgefallen. Zu den Gründen zählten "hohe Arbeitskosten, inklusive hohen Krankheitskosten und viele Urlaubstage. So lange man besser war, innovativer war als andere, ging das noch."
Vieles ist schiefgelaufen
Damit legt der CAM-Experte den Finger in die Wunde. Beim herkömmlichen Auto, für dessen Betrieb man fossile Brennstoffe braucht, seien die hiesigen Autobauer weltweit Spitze: Ventile und Vergaser, das können die Deutschen - aber was ist mit elektronischen Bauteilen? Ferdinand Dudenhöffer bescheinigt den deutschen Autoschmieden, sie verstünden "das Auto von heute sehr gut, aber beim Auto von Morgen spielen Tech-Unternehmen führende Rollen."
Stefan Bratzel würde dem zustimmen. Dumm gelaufen für die in die Jahre gekommenen Platzhirsche, könnte man sagen: "Diese Erosion von alten Paradigmen, von altem Wissen, das ist schon tragisch."
Auch für Dirk Dohse vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) liegt hier der Kern des Problems. Zwar gehörten "deutsche Entwickler und Ingenieure nach wie vor zur weltweiten Spitzengruppe." Aber, sagte er der DW: "Es fehlt an Flexibilität, gerade im Management, um neue Kundengruppen, wie etwa technologiebegeisterte junge Menschen in Asien, zu gewinnen".
Es ist nicht nur China
Tatsächlich liegt die Zukunft des Automobilverkehrs in elektrischen Antrieben, und da liegt China eindeutig vorn. Das beobachtet auch IfW-Ökonom Dohse: "Der chinesische Markt für E-Autos ist der größte Markt der Welt und der, der sich am dynamischsten entwickelt. Dies spricht eher dafür, dass China noch weiter enteilen wird."
Keine guten Aussichten für VW, BMW, Mercedes und Porsche also. Denn allein die schiere Größe des chinesischen Marktes sorgt für eine immense Marktmacht. Und noch schlimmer für deutsche Produzenten: China ist nicht allein, so Stefan Bratzel. "Mittelfristig werden sich in Indien auch stärkere Player herausbilden - nach chinesischem Vorbild. Zunächst werden viele Akteure aus China und Korea nach Indien gehen - vielleicht in Joint-Venture-Form."
Einen gewissen Hoffnungsschimmer sieht Frank Schwope hingegen bei der Entwicklung von Batterien, deren Entwicklung noch am Anfang steht. Der DW gegenüber meinte er: "Die Batterien für die Elektromobilität sind bei weitem nicht ausgereift. Hier sind noch große Sprünge möglich. Zudem dürfte es Ende der Dekade einen Sprung hin zur Feststoffbatterie geben, wodurch die Karten neu gemischt werden könnten."
Wehe, wenn nicht ...
Im kommenden Jahr muss die deutsche Automobilindustrie aufholen und dabei, so CAM-Experte Bratzel, gehe es nicht nur um die Verbesserung von Rahmenbedingungen, sondern auch um Mut und Fantasie. Es sei nötig, "dass man in Deutschland mindestens so viel innovativer sein muss, als man teurer ist".
Um zu verdeutlichen, was sonst geschehen könnte, zitiert die Sprecherin des Branchenverbandes der Autoindustrie eine aktuelle Prognos-Studie im Auftrag des VDA. Diese zeige, "dass der Wandel hin zur Elektromobilität zu Beschäftigungsverlusten führen wird." Setze sich der gegenwärtige Trend fort, läge die Beschäftigung in der Autoindustrie in Deutschland im Jahr 2035 um 186.000 Personen niedriger als im Jahr 2019. "46.000 Arbeitsplätze sind in den Jahren 2019 bis 2023 bereits weggefallen, rund 140.000 weitere werden voraussichtlich bis zum Jahr 2035 entfallen."
Daher fordert die Verbands-Sprecherin die Politik zu schnellem Handeln auf: "Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuer- und Abgabensystem und einfachere und schnelle Genehmigungsverfahren."
Die Zeiten werden hart
Aber selbst wenn die Politik die nötigen Bedingungen schafft und der Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird, ist nicht gleich wieder alles in Butter. Stefan Bratzel: "Die nächsten zwei, drei Jahre werden eine große Herausforderung, wo man viele Strukturprobleme gleichzeitig anpacken muss." Tröstend aber: "Inzwischen hat auch die Politik die deutsche Polykrise erkannt."
Auch IfW-Experte Dirk Dohse deutet an, dass es erst mal noch schlimmer kommen wird, bevor sich die Lage wieder bessern kann: "Ich denke, dies wird ein sehr schwieriges Jahr für die deutsche Autoindustrie. Es wird aber auch ein Jahr, in dem die Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden müssen."
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer weist die Richtung, in die es jetzt gehen muss: Zum einen hoffend nach Osten und zum anderen bangend nach Amerika: "Deshalb ist es sehr, sehr wichtig, dass wir dorthin gehen, wo diese neue Welle entsteht. Das ist zum Teil China, es kann zum Teil Amerika sein. Da muss man schauen, ob es unter Donald Trump nicht zurückgeht in die 80er Jahre mit Verbrennungsmotoren."
Das Schlusswort soll Hochschuldozent Frank Schwope haben, der wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont der deutschen Autobauer ausgemacht hat. Sein Blick in das neue Jahr ist eine "Mischung aus Skepsis und Hoffnung! Ich gehe schon davon aus, dass die Elektromobilität in Europa im Jahr 2025, spätestens 2026 deutlich anziehen wird!"