Deutschland trauert
27. April 2002Der Täter Robert S. war Mitglied in einem Schützenverein. Nach bisherigen Aussagen der Eltern und des Bruders besaß er beide Waffen legal. Er hatte Besitzkarten für Pistolen und langläufige Waffen, dazu zähle auch die Pumpgun, die der Täter auf dem Rücken trug. Aus ihr wurden allerdings keine Schüsse abgegeben - aus der Pistole stammten hingegen über 40 Schüsse. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Amokläufers und auf der Schultoilette wurden erhebliche Mengen Munition sichergestellt.
Die Schüler des Gymnasiums stehen unter Schock. Der 19-jährige Täter, der erst vor kurzem der Schule verwiesen worden war, hatte wild um sich geschossen. 13 Lehrer, ein Polizist, ein 15-jähriger Schüler und eine 14-jährige Schülerin fanden den Tod. Schließlich erschoss sich der Amokläufer selbst. Nach den Worten von Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel war der Täter ein "ausgebildeter Schütze". Viele seiner Opfer hat er durch gezielte Kopfschüsse umgebracht.
"Wir wollten weg, nur weg!"
"Ich habe Schüsse gehört und es erst für einen Scherz gehalten", sagte mit tränenerstickter Stimme die 13-jährige Melanie Steinbrück, die sich aus der Schule retten konnte. "Aber dann sah ich eine Lehrerin tot im Flur zum Klassenraum 209 und sah den schwarzgekleideten Täter mit seiner Waffe."
Ihre Freundin Juliane Blank ergänzte: "Der Typ war total schwarz gekleidet, die Handschuhe, die Mütze, alles schwarz. Er muss wahllos die Türen geöffnet und in die Klassenräume geballert haben. Wir rannten über die Flure. Jeder wollte nur raus. Viele von uns sprangen über die Zäune, wir wollten weg, nur weg! Draußen konnte ich endlich meinen Vater anrufen", sagte die 13-jährige Juliane aus der Klasse 7b.
Den Beamten bot sich ein grauenvolles Bild
Der Horror hatte gegen 11.00 Uhr begonnen - während der Bundestag nach mehreren gescheiterten Anläufen ein verschärftes Waffenrecht verabschiedete. Um 11.05 Uhr rief der Hausmeister der Schule, an der 53 Lehrer 692 Schüler unterrichten, die Polizei an und berichtete von Schüssen. Sofort wurde ein Streifenwagen losgeschickt. Einer der zu Hilfe eilenden Polizisten fand bei der Ankunft um 11.10 Uhr den Tod: Der 1960 geborene Vater zweier Kinder wurde beim Betreten des Schulgebäudes erschossen - am Geburtstag eines seiner Kinder.
Um 11.43 Uhr stürmte ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei die Schule. Den Beamten bot sich ein grauenvolles Bild, das alles bisher Dagewesene übertrifft: In den Gängen, Klassenzimmern und einer Toilette lagen Leichen, der tote Kollege, Lehrer und zwei Schüler - insgesamt 16 ermordete Menschen.
Der Täter tötete sich selbst
Die Beamten durchkämmten das Gebäude, in dem sich Robert S. verbarrikadiert hatte. Der Amokläufer ist nach Angaben der Polizei von einem Lehrer an weiteren Taten
gehindert und gestoppt worden. Der Lehrer habe den Schützen aufgehalten und in ein Zimmer gesperrt, sagte eine Polizeisprecherin. In diesem Zimmer habe sich der
19-Jährige später erschossen. Dem Lehrer ist nichts passiert.
Zwischen 11.10 Uhr und dem Eindringen des SEK waren nach Erkenntnissen der Polizei keine Schüsse gefallen - der Täter muss seine Opfer bereits zuvor getötet haben. Das schnelle Erscheinen der Polizei hat vermutlich ein noch größeres Massaker verhindert. Dem Gerücht, dass es möglichweise einen Mittäter gegeben hat, wird weiter nachgegangen.
Erfurt im Schock
Das vorbereitete Stofftransparent mit der ironischen Aufschrift "Abi 2002 - trotz Pisa" über dem Haupteingang des Gymnasiums wirkt nach der Bluttat fehl am Platze. Im Laufe der Nacht zum Samstag (27. April 2002) wurden alle Leichen aus dem Schulgebäude in die Gerichtsmedizin gebracht.
Die Erfurter Bürger haben am Eingang des Gutenberg-Gymnasiums Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den Ort des Geschehens noch vor Beginn des Gedenkgottesdienstes besucht. Die Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs soll am 3. Mai in Erfurt stattfinden. (pg/fro)