Deutschland: Keine Lust auf Wettrüsten
22. Oktober 2018Ursprünge im 19. Jahrhundert
Friedensorganisationen gibt es in Deutschland schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Unter anderem Bertha von Suttner gründet beispielsweise schon 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG). Die DFG ist die erste Vereinigung mit dem Anspruch, die Pazifisten im gesamten Deutschen Kaiserreich zu repräsentieren. Ihre Nachfolgeorganisation DFG-VK zählt noch heute zu den größten Verbänden der Friedensbewegung. Richtig an Fahrt gewinnt die Friedensbewegung allerdings erst Mitte des 20. Jahrhunderts. Das liegt auch an der geographischen Lage der beiden deutschen Staaten im Kalten Krieg. Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik sind die beiden europäischen Frontstaaten im Konflikt zwischen den atomaren Supermächten USA und Sowjetunion.
Göttinger 18 und Ostermärsche
1955 schlägt die Geburtsstunde der Bundeswehr. Große Teile der Bevölkerung protestieren gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik nur zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1957 wenden sich 18 hochangesehene Atomforscher, die sogenannten "Göttinger 18", gegen Pläne der Bundesregierung, die Bundeswehr atomar aufzurüsten. Ausgehend von dieser Erklärung, entsteht die "Kampf-dem-Atomtod"-Bewegung. Im Wesentlichen wird diese getragen von der SPD, den Gewerkschaften und Teilen der Evangelischen Kirche. Durch die Orientierung der SPD in Richtung politischer Mitte ab Ende der 50er Jahre (Godesberger Programm) organisiert sich der Protest gegen Atomwaffen mehr und mehr unabhängig. Die sogenannten "Ostermärsche" richten sich unter anderem gegen den Vietnamkrieg und 1968 auch gegen die Notstandsgesetze. Diese sollen die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen, wie Naturkatastrophen, Aufstand und Krieg, sichern.
Großdemonstrationen gegen Rüstungswettlauf
Vor dem Hintergrund des Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der Sowjetunion knüpft die Friedensbewegung in den 80er Jahren an diese Protestkultur an. Treibende Kraft sind diesmal im Kern die Grünen, Gewerkschaften sowie Teile der SPD und der Kirchen. Im November 1980 veröffentlichen Vertreter dieser Gruppen den "Krefelder Appell". In diesem wird die Bundesregierung aufgefordert, ihre Zustimmung zur Stationierung neuer amerikanischer nuklearer Marschflugkörper und Pershing-II-Raketen, zurückzuziehen. Auch weil die beiden deutschen Staaten von einem atomaren Konflikt zwischen den Supermächten zuerst betroffen wären, wird die Protestaktion, die sich auch gegen die Blockkonfrontation richtet, zur größten Massenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik. Als der Bundestag im Herbst 1983 die Raketen-Stationierung gemäß des NATO-Doppelbeschlusses verabschiedet, gehen bei allein vier parallelen Großdemonstrationen deutschlandweit rund eine Millionen Menschen gleichzeitig auf die Straße. Die Menschen fordern von den Regierungen Friedenssicherung durch Rüstungskontrolle und Abrüstung. Auch in der DDR - als einzigem Land des Ostblocks - entsteht eine vom Staat und seinen Parteien unabhängige Friedensbewegung.
Nach der Wiedervereinigung
Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Abschluss der Abrüstungsverträge zwischen den USA und der Sowjetunion schwindet die Angst vor einem Atomkrieg, und das Kernanliegen der Friedensbewegung geht verloren. Andere Themen, wie Rüstungsexporte oder Kampf gegen Rassismus oder für den Erhalt des Asylrechts, rücken ins Zentrum. Auch der Protest gegen die beiden Irak-Kriege zu Beginn der 90er und 2000er Jahre bringt noch einmal mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland auf die Straße. An die Popularität der Achtzigerjahre kann die Bewegung jedoch nicht anknüpfen. Durch die Drohung von Donald Trump, den Atom-Abrüstungsvertrag mit Russland aufzukündigen, könnte sich das jedoch bald wieder ändern.