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Führt Rezession zum Ausverkauf?

Dirk Kaufmann
9. Oktober 2024

Die deutsche Wirtschaft kommt einfach nicht auf die Beine - auch in diesem Jahr wächst sie nicht mehr. Und der Standort Deutschland wird unattraktiver. Schon gelten einige deutsche Firmen als Übernahmekandidaten.

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Hamburger Hafen Containerterminal am Abend
Die Bundesregierung rechnet einem Zeitungsbericht zufolge für 2024 mit dem zweiten Rezessionsjahr in FolgeBild: Joern Pollex/Getty Images

Die Lage ist schlecht, die Aussichten düster. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am vergangenen Wochenende, dass das Bundeswirtschaftsministerium ein weiteres Rezessionsjahr für Deutschland erwarte. Die Wirtschaft werde 2024 um 0,2 Prozent schrumpfen, zuvor hatte Berlin ein leichtes Wachstum in Höhe von 0,3 Prozent erwartet. Das Wirtschaftsministerium hat inzwischen bestätigt, dass die Bundesregierung die Konjunkturprognose für 2024 nach unten korrigieren wird.

Auch Bundesbankchef Joachim Nagel ist pessimistisch. Statt mit Wachstum sei eher mit einer Rezession zu rechnen, sagte er am Dienstag in Berlin.

Im September hielt auch der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Institutes schlechte Daten bereit: "Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker unter Druck", erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest der Agentur AFP zufolge den vierten Index-Rückgang in Folge. Die Unternehmen seien mit der aktuellen Lage unzufrieden und ihre Erwartungen pessimistisch.

Auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung senkte seinen Konjunkturausblick: 2024 werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Wachstum von 0,0 Prozent auf der Stelle treten. Angesichts dessen bezeichnete Christoph Swonke von der DZ Bank gegenüber Reuters Deutschland bereits als "neues Sorgenkind der Euroländer".

Beim Logistikunternehmen DB Schenker wirfd ein LKW beladen
Die defizitäre Deutsche Bahn trennt sich von ihrer Logistiktochter SchenkerBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Deutsche Unternehmen sind für ausländische Firmen interessant

Ein Umfeld, wie es Deutschland zurzeit bietet, ist wirtschaftlich nicht sehr interessant. Da schaut man sich gerne im Ausland nach finanzstarker Hilfe um. Wie etwa die Deutsche Bahn, die ihr Speditionsunternehmen Schenker verkaufen möchte. Gerade hat der Aufsichtsrat dem geplanten Verkauf der profitablen Logistiktochter zugestimmt - und zwar für gut 14 Milliarden Euro an den dänischen Logistikkonzern DSV. Ein warmer Geldregen für das defizitäre deutsche Staatsunternehmen.

Ein anderes  Beispiel ist die Commerzbank, die in der Wirtschaftskrise von der Bundesregierung vor dem Untergang gerettet worden war - und noch immer hält Berlin rund 12 Prozent der Bankpapiere. Im September ist die italienische Unicredit bei der Commerzbank eingestiegen und möchte die Bank gerne komplett übernehmen. Die EZB, die eine solche Übernahme genehmigen müsste, hat bereits ihr grundsätzliches Einverständnis formuliert, das will die Nachrichtenagentur Reuters von Insidern erfahren haben.

Auch andere Konzerne planen Standorte im Ausland oder werden für fremdes Kapital immer interessanter: So der Chemiegigant BASF, der für zehn Milliarden Euro einen Standort in China aufbauen will oder etwa der mittelständische Energiedienstleister Techem. Der soll jetzt von seinem schweizerischen Eigentümer Partners Group an den US-Investor TPG verkauft werden.

Carsten Brzeski,  Chefvolkswirt ING DIBA , bei einem Vortrag in Frankfurt
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bankl: "Wirtschaftliche Stagnation hat Folgen für Unternehmen"Bild: Hoffmann/imago images

"Firmen haben keinen Pass"

Eine Übernahme deutscher Unternehmen, an denen sogar der deutsche Steuerzahler noch beteiligt ist? Für viele Beobachter ein ganz natürlicher Prozess. Für Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-Bank, ist klar, dass "wirtschaftliche Stagnation und Strukturwandel natürlich auch Folgen für Unternehmen haben." Der DW sagte er: "In solchen Zeiten kommt es auch zu Übernahmen - innerhalb eines Landes oder auch von außen."

Stefan Kooths ist Direktor beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), er bringt das auf die kurze Formel: "Unternehmen haben keinen Pass." Er ist der Ansicht: "für den Wohlstand eines Landes ist nicht die Nationalität der Unternehmenseigentümer entscheidend, sondern die Qualität des Standorts."

Kooths beobachtet auch, dass "die im Trend rückläufigen Direktinvestitionen nach Deutschland ein weiteres Indiz für die hiesigen Standortschwächen sind". Starke Standorte würden ausländisches Kapital anziehen, sagt er, "um schwache Standorte machen Investoren einen großen Bogen."

Und ein Einstieg nicht-deutschen Kapitals auf dem heimischen Markt sei auch nicht schlimm, meint IfW-Direktor Kooths. Im Gegenteil: "Wenn ausländische Investoren bessere Ideen haben, wie sich die Ressourcen in Deutschland nutzen lassen, kommt das letztlich auch den hiesigen Akteuren über Produktivitätsfortschritte zu Gute."

Lächelnde BASF-Mitarbeiter im chinesischen Nanjing 2004
"Firmen haben keinen Pass" - BASF-Mitarbeiter im chinesischen Nanjing 2004 Bild: BASF/dpa/picture-alliance

Bürokratieabbau - das ewige Versprechen

Seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts versprechen alle Regierungen, sie wollten die Bürokratie abbauen, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Doch seit Jahrzehnten warte man da auf einen Durchbruch: "Das Bemühen ist erkennbar, aber es leitet nicht konsequent das Handeln", sagt Stefan Kooths und fügt hinzu, dass gerade "mit der Wachstumsinitiative wieder neue Bürokratie" geschaffen werde.

Dafür sei aber nicht nur Berlin verantwortlich, sondern auch die EU. Bei bürokratischen Lasten trage sie eine Mitschuld: "Insbesondere mit dem ausufernden Berichtswesen - von der EU-Taxonomie bis zur Lieferkettenregulierung - stehen sich die Akteure im Binnenmarkt immer mehr selbst im Weg."

Für Carsten Brzeski  ist der Abbau von Bürokratie zwar auch ein richtiger Weg, der sei aber "lange noch nicht beendet". Der Ökonom hat dazu eine konkrete Forderung: "Wir brauchen sehr dringend mehr E-Government. Das würde den Bürokratieabbau beschleunigen und auch dem Fachkräftemangel in vielen Behörden entgegenwirken."

Wirtschaftsminister Robert Habeck besucht VW-Werk in Emden
Laut "Süddeutscher Zeitung" ist Wirtschaftsminister Robert Habeck für diebeiden kommenden Jahre jedoch etwas optimistischer als zuletzt. Er rechnet für 2025 mit einem BIP-Anstieg von 1,1 Prozent (bisher ein Prozent). 2026 soll das Plus 1,6 Prozentbetragen. Bild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Ist der "Grüne Weg" zielführend?

In Deutschland ist der Wirtschaftsminister auch für den Umweltschutz zuständig, in Brüssel versucht die EU-Kommission einen "Grünen Weg" in die Zukunft zu weisen. Doch dass ein Primat der Ökologie auch der Ökonomie helfen kann, glauben beide befragten Experten nicht. "Generell gilt: Aus der Dekarbonisierung kann keine Wachstumsstory werden", so Kooths, denn die "Dekarbonisierungspolitik leidet unter zu viel Interventionismus."

ING-Ökonom Brzeski sieht das ähnlich: "Die Konzentration auf grüne Technologien hat bisher zu wenig Investitionen freigesetzt. Alles nur auf die Karte
"Grün" zu setzen, wäre kurzsichtig. Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten zehn Jahren enorm an Wettbewerbsfähigkeit verloren, hier gilt es jetzt anzusetzen."

Stefan Kooths bei Vorstellung der Frühjahrsdiagnose 2024
Stefan Kooths, Direktor beim IfW Kiel: "Wachstum muss man nicht ankurbeln, sondern ermöglichen"Bild: Metodi Popow/IMAGO

Warnung vor Kapitalprotektionismus

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist auch für Stefan Kooths der Schlüssel zur Rückkehr auf den Wachstumspfad. Doch warnt er energisch vor Aktionismus: "Wachstum muss man nicht ankurbeln, sondern ermöglichen."

Konjunkturprogramme, sagt er zu DW, seien dazu nicht nötig und auch die aktuelle Wachstumsinitiative weise lediglich "in die richtige Richtung, eine Trendwende wird sie aber nicht herbeiführen können. Dafür bräuchte es einen grundlegenden Kurswechsel weg von interventionistischer Industriepolitik hin zu standortstärkender Ordnungspolitik."

Die Bundesregierung sollte nichts gegen einen drohenden Ausverkauf deutscher Unternehmen unternehmen, stellt Stefan Kooths kategorisch fest und warnt dabei vor einem "Kapitalprotektionismus". Stattdessen verweist er auf die Gesetze des Marktes, nach denen Unternehmen dann zu Übernahmekandidaten werden, "wenn ihre Strukturen dem Wettbewerb nicht mehr gewachsen sind."