1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschland: Immer mehr Autobahnbrücken sind kaputt

19. Juni 2024

Auf Deutschlands Autobahnen und Fernstraßen sind bis zu 5000 Brücken so marode, dass sie schnellstens saniert oder neu gebaut werden müssten. Doch dafür fehlt das Geld.

https://p.dw.com/p/4hEUv
Deutschland | Belastungstest auf maroder Moseltalbrücke. Eine Luftaufnahme zeigt die roten Lastwagen, die auf der Brücke stehen. Den Großteil der Aufnahme nimmt das grün bewachsene Tal ein, durch das sich der Fluss Mosel zieht.
Was hält die Moseltal-Brücke noch aus? 24 Lastwagen mit einem Gewicht von 960 Tonnen waren Teil der AntwortBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Ende Mai 2024 bot die Moseltalbrücke ein ungewöhnliches Bild. Mitten auf der weiträumig abgesperrten Autobahnbrücke, in 136 Metern Höhe, wurden 24 knallrote Lastwagen dicht beieinander geparkt. Mit der Belastung von insgesamt 960 Tonnen sollte geprüft werden, was die mehr als 50 Jahre alte Brücke noch aushalten kann. Das imposante Bauwerk ist schwer beschädigt. Anfang 2023 wurden in der Stahlkonstruktion Risse entdeckt - über die gesamte Länge von knapp einem Kilometer. Die Auswertung der Prüfung läuft noch.

Die Moseltalbrücke ist kein Einzelfall. In Deutschland sind bis zu 5000 Brücken auf Autobahnen und Fernstraßen in einem so schlechten Zustand, dass sie dringend saniert werden müssen. Insgesamt gibt es in Deutschland schätzungsweise rund 130.000 Brücken. Wichtig für den bundesweiten Verkehr sind die knapp 40.000 auf Autobahnen und Fernstraßen. Alle Brücken werden regelmäßig geprüft und erhalten Noten, die ihren Zustand beschreiben. Schlecht schneiden vor allem die alten Brücken ab, und davon gibt es reichlich.

Zustand deutscher Brücken

Mehr als die Hälfte der 40.000 Brücken im Fernstraßennetz wurde vor 1985 gebaut, darunter fast alle großen Talbrücken in den alten, also den westdeutschen Bundesländern. Größere Neubauten gab es fast ausschließlich in den neuen Bundesländern nach 1990. Geplant für weniger Verkehr und leichtere Fahrzeuge, sind die Brücken heute so überlastet, dass vielerorts vorzeitige Materialermüdung festzustellen ist. Dazu kommt, dass in den zurückliegenden Jahren zu wenig für ihre Erhaltung getan wurde. 

Sie alle gleichzeitig zu sanieren geht nicht. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) spricht von einer Generationenaufgabe, will rund 400 Brücken pro Jahr schaffen. "Wir setzen neue Prioritäten, um die Modernisierung der Brücken strategisch und in der sinnvollsten Reihenfolge anzugehen", sagte er 2022 nach einem ersten "Brückengipfel" in Berlin. 

Strategien zur Brückensanierung

Planungen, Verfahren und Abstimmungen müssten vereinfacht werden, um Sanierung und, wo nötig, Neubauten zu beschleunigen. Bei der Priorisierung wichtig: Wie lange kann eine marode Brücke noch befahren werden? Möglicherweise mit einem Tempolimit und einer Sperrung für schwere Fahrzeuge. Doch auch solche Beschränkungen können einen plötzlichen Kollaps nicht verhindern. 

Ende 2021 wurden an der Talbrücke Rahmede im Bundesland Nordrhein-Westfalen so schwere Schäden festgestellt, dass sie als einsturzgefährdet gesperrt werden musste. 2023 wurde sie gesprengt, der Neubau läuft. Frühestens 2026 soll ein erster Teilabschnitt fertig sein. 

Deutschland | Sprengung Talbrücke Rahmede. Nach der erfolgreichen Sprengung liegt die Rahmedetalbrücke auf dem Boden, Teile der Fahrbahn sind zu sehen.
Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid nach der SprengungBild: Markus Klümper/dpa/picture alliance

Verkehrschaos durch Brückensperrungen

Für die Region ist das ein Desaster. Täglich fuhren vor der Sperrung rund 48.000 Autos und knapp 16.000 Lastwagen über die Brücke. Obwohl der Autobahnverkehr weiträumig umgeleitet wird, wälzen sich täglich tausende Fahrzeuge durch die kleine Stadt Lüdenscheid und die angrenzenden Ortschaften. 

Es kommt zu kilometerlangen Staus, die Anwohner klagen über extreme Lärm- und Abgasbelästigung. Die fehlende Talbrücke hat zudem dazu geführt, dass die Ausweich- und Umleitungsstrecken in der Region überlastet sind. Die Folge: Sechs weitere Brücken halten nicht länger stand, mussten gesperrt werden oder sind nur noch eingeschränkt befahrbar. 

Wirtschaftliche Folgen der Infrastrukturprobleme

Die regionale Wirtschaft klagt über spürbare Einbußen. Unternehmen sind schlechter erreichbar, Fahrten dauern länger, Geschäfte brechen ein. Das gilt auch für Einzelhandel und Gastronomie an den stark befahrenen Strecken in der Innenstadt, wo zu viel Verkehr potenzielle Kunden abschreckt. 

Deutschland Lüdenscheid. Das Foto zeigt eine Aufnahme aus der Innenstadt von Lüdenscheid. Autos und Lastwagen fahren auf mehreren Fahrspuren hintereinander durch die Stadt.
Ein nicht enden wollender Strom von Autos und Lastwagen fährt täglich durch die Innenstadt von LüdenscheidBild: Rüdiger Wölk/IMAGO

2022 legte das Institut der deutschen Wirtschaft eine "ökonomische Schadensbetrachtung" vor. Darin heißt es, dass die Unternehmen im Märkischen Kreis, wie die Region um Lüdenscheid heißt, zwei Prozent weniger Arbeitskräfte beschäftigen würden. Die Wirtschaftskraft sei um 300 Millionen Euro pro Jahr zurückgegangen. 

Herausforderungen bei Infrastrukturprojekten

"Die negativen Effekte durch die Brückensperrung addieren sich in den nächsten fünf Jahren auf mindestens 1,8 Milliarden Euro", heißt es in der Studie. "Jedes Jahr, in dem die Brücke früher fertiggestellt werden kann, werden Summen in dreistelliger Millionenhöhe eingespart."

Doch es ist nicht so einfach, den Bau zu beschleunigen. Bei großen Infrastrukturvorhaben dauern schon im Vorfeld die Planungen oft jahrelang. In Deutschland gibt es Gesetze und Auflagen, die genaue und oft langwierige Prüfungen vorschreiben. Vor allem, wenn etwas neu oder größer gebaut wird. 

Planungsprozesse und öffentliche Beteiligung

Die Belange und Einwände von angrenzenden Kommunen, Bürgerinnen und Bürgern müssen angehört und die Umwelt- und Naturschutzverträglichkeit geprüft werden. Planfeststellungsverfahren nennt sich das. Die Idee dahinter: Je mehr Mitspracherecht es gibt, umso größer ist die öffentliche Akzeptanz für große Infrastrukturmaßnahmen am Ende. 

Mit 400 Kilogramm Sprengstoff wurde am 8.3.1997 eine über die Bundesautobahn 2 in Niedersachsen bei Hannover führende Brücke gesprengt. Die Aufnahme zeigt, wie die Betonteile auseinanderfliegen und Staubwolken aufsteigen
400 Kilogramm Sprengstoff für 3000 Tonnen Stahlbeton. Eine spektakuläre Aufnahme von einer Brückensprengung aus dem Jahr 1997. Damals wurde schneller gebaut als heute, auch weil es noch nicht so viele Vorschriften gabBild: Holger Hollemann/dpa/picture alliance

Doch das zieht Bauprojekte enorm in die Länge, auch im internationalen Vergleich. Ein Beispiel: Der Bau des Fehmarnbelt-Tunnels durch die Ostsee zwischen Deutschland und Dänemark. Auf deutscher Seite verzeichneten die Behörden im Bundesland Schleswig-Holstein 3.100 Einwendungen und Stellungnahmen, die 41 Aktenordner füllten. 

Vorbild Dänemark

Im dänischen Anhörungsverfahren gingen insgesamt nur 42 Stellungnahmen von Behörden, Unternehmen und Bürgern ein. Allerdings wird in Dänemark für jedes Infrastrukturvorhaben ein eigenes Baugesetz erlassen. Das gilt, wenn es verabschiedet ist. 

Die Bundesregierung will die Verfahren auch in Deutschland beschleunigen und vereinfachen. Angesichts der massiven Schäden in der deutschen Verkehrsinfrastruktur sei manches nicht mehr tragbar. 

Beschleunigung von Bauprojekten

Ende 2023 wurde ein Gesetz auf den Weg gebracht, durch das Genehmigungspflichten für Brücken entfallen, die im Zuge der Sanierung auf mehr Fahrspuren erweitert werden sollen. Auch die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung fällt weg. Damit werde der gesamte Planungs- und Genehmigungszeitraum halbiert, heißt es. 

Während eines Belastungstests unter der beschädigten Emschertalbrücke vermessen Experten das Bauwerk. Zwei Männer und eine Frau in orangefarbener Arbeitskleidung stehen mit Messanlagen unter der Brücke am Fluss Emscher.
Messungen sollen zeigen, wie lange die Emscher-Talbrücke noch standhält. Die Stahlträger sind wegen der hohen Belastung durch schwere Lastwagen durchgebogen Bild: /dpa/picture alliance

Das bedeutet aber nicht, dass Verkehrsminister Wissing seine Brücken-Sanierungspläne nun ohne Probleme durchziehen kann. Es fehlt das nötige Geld. 

Finanzierungshürden bei der Brückensanierung

Deutschland muss ab 2025 massiv sparen, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wieder einhalten zu können. Gleichzeitig hat die Inflation die Preise für Baumaterialien in die Höhe getrieben, die Personalkosten sind ebenfalls gestiegen. 

Im laufenden Jahr sind 4,6 Milliarden Euro für die Sanierung von Autobahnen, Fernstraßen und den dazugehörigen Brücken veranschlagt. Ab 2025 sollen es nach bisherigen Planungen fünf Milliarden Euro jährlich sein. Zum einen ist von der bundeseigenen Autobahn-GmbH aber schon zu hören, dass für die Jahre 2025 bis 2028 rund 5,5 Milliarden Euro zusätzlich nötig wären. Zum anderen steht bei den laufenden Haushaltsberatungen für 2025 auch der Etat des Verkehrsministers auf der Liste der Sparvorhaben,  und es ist durchgesickert, dass Wissing die Gelder für die Sanierung von Autobahnen und Brücken kürzen will. 

Zukunft der deutschen Infrastrukturfinanzierung

Der Bundesrechnungshof findet das falsch. Bereits im Januar 2024 mahnte er, der Bund drohe seine Ziele bei der Sanierung von Brücken deutlich zu verfehlen. Der Aufgabe sei daher Vorrang einzuräumen, sonst müsse mit weiterem Verfall und Sperrungen gerechnet werden. 

Einen Ausweg aus der Misere sieht Verkehrsminister Wissing in einem neuen Infrastrukturfonds, für den der FDP-Politiker auch privates Kapital mobilisieren will. Investoren aber erwarten Renditen. Ob Autofahrer für die Nutzung einer Brücke dann bezahlen müssten? Konkrete Planungen zu dem Fonds gibt es noch nicht.

Legende Deutsche Autobahn