1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Im Zweifel für den Underdog

4. Juli 2018

Wem schenken die deutschen Fußballfans nach dem K.o. der DFB-Elf ihr Herz? Anscheinend drücken sie nicht unbedingt den Favoriten die Daumen. Beobachtungen in einem Kölner Biergarten.

https://p.dw.com/p/30qYK
Fußball WM 2018 Belgien vs Japan
Bild: Imago/Belga/B. Fahy

Als Genki Haraguchi in der 48. Minute des WM-Achtelfinals das 1:0 für Japan gegen Belgien erzielt, flippt der Endzwanziger am Nachbartisch völlig aus. Er reißt sich das T-Shirt vom Leib und wedelt es wild johlend über seinem Kopf. Seine Kollegen, die sich mit ihm nach Feierabend im Außenbereich einer Kölner Kneipe ein oder zwei oder mehr Gläser Bier gönnen, jubeln ebenfalls, wenn auch nicht ganz so enthusiastisch. Das Gelächter über den überschäumenden Torjubel des Mannes ist groß. Es fällt auf, dass fast alle Gäste des Lokals - vor dem ein Lukas Podolski aus Pappmache den WM-Pokal in die Höhe reckt - offenkundig den Japanern die Daumen drücken und nicht den Belgiern.

Weltmeister soll aus Europa kommen

Das widerspricht auf den ersten Blick dem Ergebnis einer Umfrage der Zeitung "Rheinische Post" und des Meinungsforschungsinstituts Civey, die am Montag, also am Tag des Achtelfinals zwischen Belgien und Japan, veröffentlicht wurde. Darin hieß es, dass die Mehrheit der deutschen Fußballfans trotz des blamablen Ausscheidens der DFB-Elf weiterhin die WM-Spiele verfolgen werde - und dass die größte Gruppe unter ihnen (41 Prozent) sich wünsche, dass der nächste Fußball-Weltmeister aus Europa  kommt. Nur 4,5 Prozent der über 5000 Befragten waren für einen Weltmeister aus Asien, also für Japan, denn andere Teams aus Fernost waren in der ersten K.o.-Runde ja nicht mehr dabei. Gehörte der junge Mann mit entblößtem Oberkörper etwa zu dieser Minderheit? Aber warum jubelten dann auch fast alle anderen Besucher der Gaststätte?

Schadenfreude tut gut

Fußball WM 2018 Belgien vs Japan Tor
Himmelhoch jauchzend ...Bild: Reuters/M. Djurica

Vielleicht, weil intensive Schadenfreude bei Fußballfans weit verbreitet ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine Mini-Studie von Lea Boecker, einer Psychologin an der Universität Köln, die nach dem WM-K.o. der deutschen Mannschaft 131 ausländische (vor allem englische!) und 102 deutsche Fans befragt hatte. Kaum überraschend empfanden die internationalen Fans mehr Schadenfreude und weniger Mitleid als die deutschen. Die Schadenfreude trete "vor allem bei Misserfolgen von Personen oder Gruppen mit einem hohen Status auf, die als dominant wahrgenommen werden", sagt Boecker. Sprich: Wenn der Weltmeister auf die Nase fällt, ist das Gelächter besonders groß. Die Dominanz ist nicht nur kleiner geworden, sondern sogar beendet, zumindest für den Moment.

Zwei jubeln für Belgien

Fußball WM 2018 Belgien vs Japan Tor
... zu Tode betrübt.Bild: Reuters/J. Silva

Im Zweifel also für den Underdog. Wie in dem Kölner Biergarten: Beim zweiten Tor der Japaner wird es noch lauter als beim ersten - auch wenn der Mann am Nebentisch diesmal sein T-Shirt anbehält. Als dann die Belgier erst herankommen, anschließend ausgleichen und in der Nachspielzeit sogar den Siegtreffer erzielen, fällt der Torjubel an fast allen Tischen eher verhalten aus. Nur zwei Frauen reißen begeistert die Arme hoch und johlen vor Freude. Belgierinnen.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter