Regierung will kein Museum für Terroropfer
3. März 2009Im Bürgerkrieg zwischen Sicherheitskräften und Guerillagruppen in den 80er und 90er Jahren wurden in Peru über 70.000 Menschen getötet. Zu diesem Ergebnis kam die von der Regierung eingesetzte Wahrheitskommission ihrem 2003 vorgelegten Abschlussbericht. Militärs und Polizisten sind demnach für den Tod von fast der Hälfte der Opfer verantwortlich waren.
Das Ausmaß der Gewalt hat die Wahrheitskommission in einer auch international vielbeachteten Ausstellung dokumentiert. Sie sammelte rund 15.000 Zeitzeugenaussagen und etwa 1.700 teils illegal entstandene Fotografien, die erstmalig 2004 in Lima unter dem Titel "Yuyanapaq" präsentiert wurden.
Um der Ausstellung einen dauerhaften Rahmen hat die Bundesregierung beschlossen, den Bau eines Museums zum Gedenken an die Opfer mit 1,6 Millionen Euro zu unterstützen. Das Museum sollte auch die von der Wahrheitskommission angelegte Datenbank beherbergen, in der rund 59 000 Fälle von Gewalt und Menschenrechtsverbrechen dokumentiert sind. Es handelt sich um Opfer, Verbrecher und Zeugen.
Doch will die Regierung von Präsident Alan García die Spende aus Deutschland umwidmet. Peru habe andere Prioritäten, so Verteidigungsminister Antero Flores-Aráoz gegenüber dem Radiosender RPP in Lima. Was das peruanische Volk brauche seinen "Schulen, Gesundheitsstationen und Krankenhäuser sowie der Ausbau von Straßen und Stromversorgung auf dem Land. Angesichts dieser Notwendigkeiten, die mir tagtäglich begegnen, glaube ich, dass wir mit dem Geld aus Deutschland viele Dinge realisieren könnten, die viel dringender sind, als ein Museum.´
Unbequeme Wahrheiten
Solche Argumente seien nur vorgeschoben, kritisiert Salomón Lerner. Der Philosophieprofessor und Rektor der Katholischen Universität von Lima hat die Wahrheitskommission von 2001 bis 2003 geleitet. Die Regierung versuche mit allen Mitteln, eine offizielle Wahrheit festzuschreiben, "in der verdrängt werden soll, was tatsächlich passiert ist. Was damals geschehen ist, war schrecklich. Auf der einen Seite sind die Terroristen dafür verantwortlich, und das verurteilt die Wahrheitskommission aufs schärfste. Das wird auch in der Ausstellung sehr deutlich. Aber was hier verdrängt werden soll ist die Verantwortung des peruanischen Staates, der die Menschenrechte verletzt hat und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat", so Lerner gegenüber der DW.
In ihrem 2003 vorgelegten Bericht kommt die Wahrheitskommission unmissverständlich zu dem Urteil, dass die maoistische Terrororganisation Leuchtender Pfad die Hauptverantwortung für die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung trägt. 1980 hatte der Sendero Luminoso dem Staat den Krieg erklärt. Polizei und Militär jedoch seien schlecht vorbereitet und ohne eine klar erkennbare Strategie von der Regierung in den Kampf gegen die Aufständischen geschickt worden. Sie seien wahllos und brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen. Die Streitkräfte sind dem Bericht zufolge für fast die Hälfte der 70 000 Opfer in den 80er und 90er Jahren verantwortlich.
Dass die Regierung von Präsident Alan García dem Vorhaben, ein Museum zum Gedenken and die Opfer und zur Dokumentation der Verbrechen einzurichten, wenig abgewinnen kann, überrascht Salomón Lerner nicht. "Von den untersuchten 20 Jahren entfallen fünf auf die erste Amtszeit von Alan García und zehn Jahre auf Fujimori. Also, 15 der 20 Jahre, die in der Ausstellung festgehalten werden, haben mit diesen beiden Personen zu tun." Und in diese Jahre fallen auch die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen durch das Militär, die Polizei und die Todesschwadronen des Geheimdienstes.
Zweckgebundene Mittel
Das Bundesentwicklungsministerium, das die Spende in Höhe von 1,6 Millionen Euro zum Bau des Museums zugesagt hat, hält sich in dieser Angelegenheit zurück. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es lediglich: "Die peruanische Regierung hat sich entschieden, das Angebot vorläufig nicht anzunehmen. Unser Angebot der finanziellen Unterstützung gilt weiterhin. Die angebotenen Mittel stehen ausschließlich für den Bau des Museums zur Verfügung."
Die Frage nach dem Umgang mit der Vergangenheit in Peru sei für die peruanische Gesellschaft und Politik "ein äußerst sensibles und immer wieder kontrovers diskutiertes Thema", so das BMZ in seiner Erklärung. Salomón Lerner sieht die Sensibilität vor allem auf Seiten der Regierung von Alan García und den nach wie vor einflussreichen Kreisen, die dem früheren Präsidenten Alberto Fujimori nahestehen. Letzterer steht zur Zeit in Lima vor Gericht und muss sich für 2 Massaker verantworten bei denen Anfang der 90er Jahre 25 Personen von staatlichen Sicherheitskräften ermordet worden waren, unter ihnen ein Universitätsprofessor und 9 Stundenten, deren Leichen erst ein Jahr später in einem Massengrab auftauchten.
Beide Ereignisse sind in der Ausstellung "Yuyanapaq" dokumentiert, der Salomón Lerner bescheinigt, absolut "objektiv und unparteiisch" zu sein. Doch gerade das bereite Fujimori Sorgen, so Lerner im Gespräch mit der DW: "Weder er noch seine Anhänger wollen in der Ausstellung Fotos sehen, die die schrecklichen Ereignisse von damals dokumentieren, Bilder von den Massakern die zwar von Geheimdienstchef Montesinos angeordnet wurden, aber von denen Fujimori wusste und die er unterstützt hat. Und unter der Regierung von Präsident García gab es ebenfalls viele Opfer. In seine Amtszeit fällt die Bombardierung der Häftlinge im Gefängnis El Frontón – auch davon gibt es Fotos."
Alan García war bei seinem Amtsantritt 1985 mit 36 Jahren der jüngste Präsident in der Geschichte Perus. In seine Amtszeit fielen die Hyperinflation von bis zu 7000 Prozent, der Zusammenbruch der peruanischen Wirtschaft, Korruption und Vetternwirtschaft und die schwersten Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkrieges. Bei der Erstürmung der Haftanstalt El Frontón nach einer Meuterei der Insassen wurden 200 Gefangene des Leuchtenden Pfades durch Marineeinheiten ermordet.
Schleppende Aufarbeitung der Vergangenheit
Die Empfehlungen der Wahrheitskommission sind bis heute nur zum Teil umgesetzt worden. Zwar hat der damalige Präsident Alejandro Toledo 2004 im Namen des Staates um Verzeihung für die Opfer des Bürgerkrieges gebeten und den 10. Dezember, den internationalen Tag der Menschenrechte, zum nationalen Wiedergutmachungstag erklärt. Eine Stellungnahme der peruanischen Streitkräfte und der Polizei zu ihrer Rolle während des Bürgerkrieges steht noch aus. Entschädigungen in Form von Pensionen oder individuellen Wiedergutmachungsleistungen wurden bis heute nicht ausgezahlt.
Das Bundesentwicklungsministerium unterstützt in den einst besonders vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten der Aufbau der sozialen Infrastruktur. Dazu zählt der Bau von Dorfschulen, Straßen und Gesundheitsstationen. Darüber hinaus arbeitet Deutschland mit Peru in den Bereichen good governance, Landwirtschaft und Umweltschutz sowie der Wasser- und Abwasserversorgung zusammen.
Doch mit Geld allein lassen sich die Wunden der Vergangenheit nicht heilen, betonte der peruanische Maler Fernando de Szyszolo gegenüber dem Radiosender RPP: "Ein Volk kann sich nicht entwickeln, wenn es nicht gleichzeitig seine Kultur entwickelt, wenn es seinen Geist und seine Seele nicht entwickelt. Die Erinnerung ist ein wertvoller Schatz, und es tut mir sehr Leid, dass Peru dieses wichtige Angebot aus Deutschland abgelehnt hat."