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Deutsche Familienbetriebe: Nachfolger gesucht

11. Oktober 2024

Viele mittelständische Betriebe in Deutschland haben ein Problem: Es findet sich niemand, der die Firma weiterführen will, der Boss findet keinen Nachfolger. Das liegt nicht nur an mangelndem Interesse der Erben.

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Symbolbild Unternehmensübernahmen - junge Frau im Büro, gelangweilt, unmotiviert
Symbolbild Unternehmensübernahmen - junge Frau im Büro, gelangweilt, unmotiviertBild: Andriy Popov/PantherMedia/IMAGO

Klaus Eberhardt hatte eine ziemlich ungewöhnliche Idee, als er mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass seine Kinder das von ihm gegründete Technologieunternehmen Iteratec nicht übernehmen wollten. Er beschloss, seine Firma nicht an einen Investor zu verkaufen. Er rief stattdessen seine Angestellten dazu auf, gemeinsam die Firma zu übernehmen.

"Ich hätte mich im Spiegel nicht mehr anschauen können, wenn ich Iteratec nur des Geldes wegen verkauft hätte", sagt der 65-jährige Eberhardt zur DW. Die Münchener IT-Firma gehört nun einer Genossenschaft mit 350 Mitgliedern, die bis dahin bei Eberhardt angestellt waren. Das Unternehmen stellt Software für Konzerne wie BMW oder die Deutsche Bahn her.

Eberhardt ist nicht der einzige deutsche Unternehmer, der Probleme hat, einen Nachfolger zu finden. Für beinahe 70 Prozent der KMU (kleine und mittlere Unternehmen) ist die Nachfolgefrage eine große Herausforderung - das hat ein Bericht der Förderbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) gezeigt.

Portait von Klaus Eberhardt von Iteratec. Er lehnt an einer weißen Mauer, rechts weiße Bücherregale
Klaus Eberhardt hat sein Unternehmen Iteratec an eine Genossenschaft verkauft, die seine früheren Angestellten gegründet habenBild: Thomas Dashuber

Diese KMU bilden den berühmt-bewunderten sogenannten Mittelstand in Deutschland. Der besteht aus einer großen Zahl von familiengeführten Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Sie sind das Herz des Slogans "Made in Germany", der für Begriffe wie Qualität, Zuverlässigkeit und Stabilität steht.

Früher konnten diese KMU ganze Industrien anführen - heute suchen sie verzweifelt jemanden, der sie führen kann. Denn Deutschland erlebt gegenwärtig einen demografischen Wandel, der auf ein schwindendes Interesse der Erbengeneration an der Weiterführung von Familienunternehmen trifft.

Der Generationenwechsel

Ungefähr ein Drittel der Firmenbesitzer, die älter als 60 Jahre sind - also: die Baby-Boomer auf den Chefsesseln - will sich zur Ruhe setzen. Traditionell haben dann immer Familienmitglieder das Ruder übernommen. Ein Geschäft zu erben war so etwas wie ein Glückstreffer, doch nun scheint es eher zu einer Last geworden zu sein.

Ein solcher Fall ist Carolin. Wir haben ihren Namen geändert, weil sie nur unter dieser Bedingung mit der DW reden wollte.

Als potentielle Erbin der Tech-Firma ihrer Familie in Süddeutschland ist sie zutiefst verunsichert, wenn sie an die Zukunft des Geschäftes mit Elektronik-Komponenten für den Automobilzulieferer Bosch denkt. Obwohl das Unternehmen gut im Markt steht, sieht sie keinen Reiz darin, eine Firma zu übernehmen, deren Produkte, so befürchtet sie, bald nicht mehr benötigt würden.

"Wir wissen nicht, wie wir in Deutschland als Unternehmen überleben können. Unsere Kunden sind sich sehr bewusst, dass deutsche Technologie nicht mehr einzigartig ist", sagt die 25-Jährige und fügt hinzu, dass dieselben Produkte in China "sehr viel billiger" produziert werden könnten.

Bosch - Der Namen des des Autozulieferers steht in großen roten Buchstaben an der Wand Stand auf der IAA. Darunter im Vordergrund Besucher verschwommen mit Maske
Das Unternehmen, das "Carolin" nicht übernehmen möchte, arbeitet mit dem globalen Tech-Konzern Bosch zusammenBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Dieses Bewusstsein von Risiko und schwindender Wettbewerbsfähigkeit entfernt immer mehr junge Deutsche von ihrem Familienerbe. So planen weder Carolin noch ihre Schwester, den Eltern nachzufolgen, wenn diese sich zur Ruhe setzen - ein Szenario, das im ganzen Land zu beobachten ist.

Einer Untersuchung des Ifo-Institutes zufolge haben mehr als 40 Prozent der befragten Familienbetriebe keinen Nachfolger in der eigenen Familie gefunden.

Scheuen die Jungen das Risiko?

Benjamin Schöfer kommt das sehr bekannt vor. Als Experte für Firmennachfolge beim Unternehmensverband Deutscher Mittelstands-Bund (DMB) berät er Firmen, wie sie die Eigentümer-Nachfolge organisieren.

"Trotz der großen Möglichkeiten, ist das Geschäftsumfeld in Deutschland für junge Firmenleiter unattraktiver geworden", sagt er der DW. Er verweist auf hohe Unternehmenssteuern, steigende Energiekosten und schwindende Wettbewerbsfähigkeit.

Dazu kämen noch "Bürokratie, Gesetze und Regulierungen" in Deutschland und der EU, die langfristige Planungen erschweren. "Viele Firmen müssen Spezialisten einstellen, nur um einen Weg durch die Labyrinthe der Regeln und Finanzoptionen zu finden." Schöfer beschreibt die Regeln als einen "Dschungel", besonders wenn es um Förderprogramme geht, die eigentlich helfen sollen, aber oft zu kompliziert sind.

In ihrem Bericht beschreibt auch die KfW-Bank die bürokratischen Hindernisse als Abschreckung für potentielle Erben. Gleichzeitig wird "ein Mangel an Interesse bei jüngeren Familienmitgliedern" als Hauptgrund ausgemacht, dem Familiengeschäft den Rücken zu kehren.

Wanderin in einem Fichtenwald
Luxusproblem: Lieber mit dem Rucksack durch die Welt, als den heimischen Chefsessel plattsitzen?Bild: Gregor Jeric Gjeric/imagebroker/IMAGO

Mangel an Fähigkeiten und Ausdauer

Moritz, der seinen Familiennamen hier nicht lesen möchte, glaubt, dass die meisten jungen Menschen "lieber zur Universität gehen möchten, als sich die Hände schmutzig zu machen."

Die Familie des 29-jährigen ist seit mehr als 300 Jahren im Möbelgeschäft. Doch anders als seine Vorfahren wurde Moritz niemals ermutigt, das Familiengeschäft zu übernehmen. Er durfte immer seinen Interessen folgen, ging zur Universität und bereiste die Welt, anstatt die Grundzüge des Möbelgeschäftes zu lernen.

Nun, da Moritz' Onkel sich bald zurückziehen möchte, steht die Familie vor einem Dilemma: Moritz fehlen die Fähigkeiten und Qualifikationen, die es braucht, um die Firma zu übernehmen. "Ich bin mit dem Rucksack um die Welt gereist und habe einen Uni-Abschluss - aber ich habe nie ein Stück Holz gehobelt", gesteht er selbstkritisch.

"Es ist niemals zu spät."

Benny Hahn hingegen zögerte nicht, als ihm eine Führungsrolle in der Software-Firma, für die er arbeitete, angeboten wurde. Keiner der Erben des früheren Eigentümers wollte den Job - Hahn, gerade 27 Jahre alt, ergriff die Gelegenheit.

Er sieht sich selbst als einen "Pionier" und ist nach einem Modell vorgegangen, das Wissenschaftler der Stanford University in den USA entwickelt haben. Es soll junge Unternehmer befähigen, bestehende Firmen zu übernehmen, statt bei Null anzufangen.

Die größte Herausforderung, sagt Hahn, war es, Banken in Deutschland von seinem Geschäft zu überzeugen. "Verschiedene Banken wiesen mich ab, weil sie unser Geschäftsmodell nicht verstanden. Sie erwarteten physisch vorhandene Sicherheiten - aber unser Wert liegt in der Software." Außerdem, sagt Hahn, seien viele Institutionen noch in einem "das-haben-wir-aber immer-so-gemacht"-Denken gefangen.

Aber werden sich genügend junge Deutsche finden, die bereit und fähig sind, weiterhin das Rückgrat der deutschen Wirtschaft zu stärken?

Carolin, die mögliche Erbin des Autoteile-Herstellers aus der Nähe von Stuttgart, sagt, bessere Anleitung könnte das ändern: "Wenn es sich weniger riskant anfühlen würde, würde ich das Geschäft übernehmen."

Auch Moritz steht dem Möbelgeschäft nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. "Es würde mich wenigsten sieben Jahre kosten, das Holz-Handwerk zu erlernen und dann würde ich noch ein Diplom machen müssen", sagt er. Aber dann fügt er hinzu: "Es ist niemals zu spät."
 

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

DW Akademie | Volontariat Jahrgang 2024 - 2025 | Aline Spantig
Aline Spantig Multimedia-Journalistin mit Fokus auf Gesundheit, Menschenrechte und globale Themen.