Desmond Tutu: Inspiration für ein gespaltenes Land
1. Januar 2022Der am 26. Dezember verstorbene Desmond Tutu wurde am Samstag in seiner Heimatstadt Kapstadt in einer Staatszeremonie beigesetzt. Zuvor hatten Politiker und Staatsführerinnen aus aller Welt den Südafrikanern ihre große Anteilnahme versichert. Denn Tutus Einfluss in Sachen Glauben, Politik und soziale Veränderung reichte weit über Südafrika hinaus. Desmond Tutu inspirierte Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensläufen, insbesondere Künstler und Kreative in der ganzen Welt.
Der ehemalige anglikanische Erzbischof wurde als Ikone und Botschafter des neuen Südafrikas wahrgenommen und er verkörperte die Werte, die er vertrat. Seine hohe Anerkennung erreichte er unter anderem dadurch, dass er verschiedene Künstler dazu inspirierte, ihn bei seiner Mission zu unterstützen, die unterschiedlichen Gruppen seines Heimatlandes zu vereinen.
Erinnerung an einen Versöhner
In Kapstadt, wo er die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte, erinnern zahlreiche Statuen und Wandmalereien an die zentrale Rolle Tutus in Südafrikas Demokratisierung - darunter ein gigantisches Porträt des Nobelpreisträgers, das sich über mehrere Stockwerke des Civic Centre erstreckt.
Doch sein enormer Einfluss ist auch in kleineren, alltäglicheren Dingen sicht- und hörbar. So werden zum Beispiel in der St. George's Mall, Kapstadts zentraler Einkaufsstraße, Tutu-Porträts auf Leinwand an Touristen verkauft, während DJs in- und außerhalb der Stadt bis heute Teile seiner Reden und Predigten aus den 1980er Jahren samplen und sie zu den Beats der Gegenwart mixen. Dabei entstehen Kwaito-Tracks mit Tutus unverwechselbarer Stimme. Es gibt sogar eine berühmte Pop-Band in Pretoria, die sich nach ihm benannt hat: Desmond and the Tutus.
Inspiration über Südafrika hinaus
Desmond Tutus hoffnungsvolle Botschaft von Vergebung und Versöhnung traf zum ersten Mal in den 1980ern einen Nerv, als die Apartheidsgesetze des Landes zu bröckeln begannen und die Chance auf eine neue demokratische Ära am Horizont erschien. Zu jener Zeit predigte Tutu unermüdlich, dass die Menschen im Lande Rache- und Vergeltungsgefühle aufgeben und sich stattdessen darauf konzentrieren sollten, Südafrika als gemeinsame Nation neu aufzubauen.
Seine pazifistische Vision, die er zu so einem enorm wichtigen Zeitpunkt der südafrikanischen Geschichte äußerte, fiel bei zahlreichen Künstlern auf fruchtbaren Boden. In Tutu, dem spirituellen Anführer der Nation, fanden sie ein Vorbild.
Desmond Tutu wurde oft als der "Vater der Regenbogennation" bezeichnet - nicht nur bei seinen zahlreichen öffentlichen Auftritten. Der Beiname ziert auch ein auffälliges Street Art-Porträt des Erzbischofs in Kapstadts Longmarket Street, angefertigt von Brian Rolfe. Tutu ist hier neben ähnlich gestalteten Porträts von Nelson und Winnie Mandela zu sehen.
Dekonstruktion der Unterdrückung
Wenn man Nelson Mandela als das Gehirn der Demokratiebewegung Südafrikas sieht, dann kann man Erzbischof Tutu durchaus als ihr Herz bezeichnen. Tutu lebte nach dem christlichen Grundsatz der Nächstenliebe - und machte dabei keine einzige Ausnahme. 2013 sagte er: "Ich würde mich weigern, einen homophoben Himmel zu betreten. Nein, ich würde sagen: 'Tut mir Leid, ich wäre viel lieber an dem anderen Ort.'"
Sein leidenschaftlicher Kampf für die Rechte von Minderheiten, insbesondere für Südafrikas LGBTQ+-Community und für Menschen mit HIV/AIDS, hat ihm international und in seiner Heimat viel Lob eingebracht. Viele Südafrikaner - besonders aus der Kunst- und Kulturszene - sehen den ehemaligen Kopf der Anglikanischen Kirche Südafrikas als Befreier, dessen sanfte Art geholfen hat, eine ganze Kultur von innen und außen zu verändern.
Als Südafrika 1994 eine Demokratie wurde, hatten Jahrzehnte konservativer weißer Vorherrschaft zu einem Übermaß an repräsentativer und brutalistischer Kunst und Architektur geführt - zu einer Zeit, in der an vielen anderen Orten bereits eine wesentlich inklusivere Ästhetik vorherrschte. Die internationalen Sanktionen gegen das Apartheidregime hatten das Land zusätzlich von internationalen Trends isoliert: ganze Städte wirkten geradezu seelenlos.
Tutu spielte auch eine Rolle darin, Südafrika aktuellen Strömungen zu öffnen - besonders im Kulturbereich - indem er seine Landsleute mit einer neuen Idee bekannt machte: Ubuntu.
Transformation der Kunst durch Ubuntu
Ubuntu stammt aus der Sprache der Zulu und bedeutet in etwa "wir sitzen alle in einem Boot". Desmond Tutu hat mit seiner Ubuntu-Philosophie einige der größten Namen der südafrikanischen Kultur dazu beeinflusst, sich neu zu orientieren.
Abstrakte Konzepte wie Vergebung, Versöhnung und Frieden wurden dank Desmond Tutu zur Inspirationsquelle der neu erwachten kreativen Szene des Landes. Afrikanische Designs wurden gemischt mit europäischen Einflüssen und schufen neue Mode- und Musikstile, die bis heute nachwirken. Afrikaans, die Sprache der ehemaligen Unterdrücker, wurde umfunktioniert, mit dem Ziel, in Musik und Literatur Brücken zu bauen.
Nach den Schrecken der Apartheid machte Ubuntu Südafrika zum hippsten Ort in Sachen Kunst und Kultur auf dem afrikanischen Kontinent, trotz fortlaufender struktureller Herausforderungen aus der rassistischen Vergangenheit des Landes. Wie sehr der stärkende und transformierende Geist des Ubuntu die Menschen in Südafrika beeinflusst hat, drückte der verstorbene Erzbischof selbst am besten aus - in einer Rede in London im Jahr 2013: "Gott wünscht sich, dass wir wissen: Wir wurden für Zusammengehörigkeit geschaffen."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert (pj).