Desinformation: Deutschland im Visier russischer Kampagnen
16. Oktober 2024Deutschland bleibt ein zentrales Ziel russischer Desinformationskampagnen – und sowohl deren Umfang als auch Intensität nehmen weiter zu. So lautete die Warnung durch hochrangige Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden und Abgeordnete während einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, das die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert.
"Wir sehen seit Jahren auch die Bedrohung Deutschlands durch Einflussnahme ausländischer Staaten und hybride Kriegsführung, insbesondere durch Russland", sagte Konstantin von Notz von den Grünen, Vorsitzender des Gremiums: "Zuletzt beobachten wir allerdings eine neue Intensität – eine Entwicklung, die uns hier allen größte Sorge bereitet."
Deutschland ein "Feind" des Kremls
Die Chefs von Deutschlands bundesweiten Nachrichtendiensten teilen seine Einschätzung. Deutschland – das sich seit Beginn der russischen Großinvasion 2022 als einer der stärksten Unterstützer der Ukraine hervorgetan hat – werde vom Kreml zunehmend "als Feind" wahrgenommen und auch so behandelt, sagte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, den Abgeordneten.
Russlands Präsident Wladimir Putin führe seit langem einen "hybriden Krieg" gegen westliche Länder. Ziel sei, "eine neue Weltordnung zu schaffen". Dafür setze Putin die russischen Geheimdienste "als Speerspitze im Kampf gegen den Westen mit einem staatlichen Auftrag, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ohne rechtliche Beschränkung und vor allem ohne jegliche Skrupel" ein. Vor diesem Hintergrund beobachte seine Behörde eine "in Anzahl und Qualität dramatisch angestiegene Cyberangriffe durch russische staatliche Akteure und ihre Proxys."
Gleichzeitig sind Cyberangriffe nur eine Methode, mit der Russland seinen Einfluss im Netz geltend macht. Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, warnte gleichzeitig eindringlich vor prorussischen Desinformationskampagnen: der koordinierten Verbreitung falscher oder irreführender Narrative, um die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen.
Als Beispiel nannte er eine kürzlich aufgedeckte Kampagne, die unter dem Namen "Doppelgänger" bekannt wurde: ein großangelegter Versuch, etablierte europäische Medien durch geklonte Websites, gefälschte Artikel und gefälschte Beiträge in sozialen Medien zu imitieren, um so prorussische Narrative zu verbreiten.
Wachsender Einfluss kremlfreundlicher Stimmen
Die meisten kremlfreundlichen Desinformationskampagnen, die auf die deutsche Öffentlichkeit abzielen, verfolgen laut Analysten eines von drei Zielen: die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen, das öffentliche Ansehen der NATO zu beschädigen oder prorussischen Stimmen in Deutschland mehr Gehör zu verschaffen.
"Wir sehen, dass die Ziele dieser Strategie nach und nach erfüllt werden und sich die öffentliche Debatte in Deutschland immer mehr in eine Richtung entwickelt, die im Interesse des Kreml ist", sagt Felix Kartte, politischer Analyst und Senior Fellow bei der Stiftung Mercator, der DW.
"So sind zwei Parteien, die Kreml-freundliche Positionen vertreten — die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) — mittlerweile auch in traditionellen Medien stark vertreten", sagt Kartte. In Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern haben die in Teilen rechtsextreme AfD und das populistische, links-konservative BSW diesen Herbst gemeinsam fast die Hälfte der Stimmen geholt.
Wo steht der Kampf gegen Desinformationen?
Gleichzeitig hat Deutschland laut Analyst Kartte bisher noch keine "regierungsweite Strategie, die diese Kampagnen in ihrer Gänze erkennt, analysiert und dann Kräfte der gesellschaftlichen Gegenwehr freisetzt."
Eine solche Strategie zur Bekämpfung russischer Einflussnahme müsse auf verschiedenen Ebenen ansetzen, so Kartte: "Das reicht von der besseren Regulierung von Online-Plattformen bis hin zur Stärkung unabhängiger Medien, gerade im Lokaljournalismus, und einer besseren Analyse der Finanzierung prominenter pro-Kreml Akteure in Deutschland durch Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste."