Zahnarzt der Indianer
9. August 2007DW-WORLD.DE: Herr Garve, Sie besuchen als Zahnarzt alle möglichen Naturvölker, um deren Zahnschmerzen zu lindern. Warum brauchen diese Menschen Zahnbehandlungen?
Roland Garve: Früher dachte ich auch, dass Indianer bessere Zähne haben als wir. Ich habe aber genau das Gegenteil erlebt. Gerade im Xingú, wo ich gerade war, haben die Indios außerordentlich schlechte Zähne. Sie nehmen stark zuckerhaltige und manchmal alkoholhaltige Getränke zu sich, die sie aus Pflanzen machen und haben keine Zahnbürsten. Es gibt niemanden, der ihnen kaputte Zähne entfernt oder Füllungen legt. Manche sterben sogar an Folgen ihrer Zahnprobleme. Aber egal ob Südamerika, Neu-Guinea oder Afrika: Es gab überall zum Teil verheerende Zahnprobleme. Ärzte kommen zwar hin und wieder zu den Indios, aber die wissen meistens nicht, wie man Zähne zieht. Bei den brasilianischen Zo'é-Indianern, die einen Holzpflock durch die Unterlippe tragen, entsteht zum Beispiel ein permanenter Druck auf die Unterkieferzähne. Die biegen sich nach innen und werden irgendwann locker und fallen fast von selbst raus.
Müssen Sie als Zahnarzt bei solchen Bräuchen nicht aufschreien?
Hier heißt es umdenken. Kulturelle Besonderheiten bei anderen Völkern muss man respektieren. Man darf diesem Volk das Tragen des Lippenpflockes nicht verbieten. Das steht uns nicht zu, auch wenn wir wissen: das ist ungesund. Das ist ihr Identifikationsmerkmal, ihr Stammeszeichen. Nur jemand, der so einen Holzpflock trägt ist ein Zo'é - ein Mensch in ihren Augen. Wenn sie den Holzpflock nicht mehr tragen, fällt die ganze Kultur in sich zusammen.
Sind die Ureinwohner Brasiliens in der Bevölkerung akzeptiert?
Suchen sie mal in einem normalen brasilianischen Buchgeschäft ein Buch über Amazonasindianer. Ich denke, sie werden fast nichts finden. Auch gibt es nur sehr kleine, unbedeutende Museen über die Indios. Es wird in Brasilien so getan, als hätte die Geschichte erst um 1500 mit der Kolonialisierung des Landes begonnen. Ich habe den Eindruck, als würden die Brasilianer sehr stark auf die Indianer herabblicken. Viele sehen nicht ein, warum diese Minderheiten riesige Gebiete beanspruchen sollen, wo doch so viele arme Brasilianer gar nichts besitzen. Es gibt da einen gewissen Neid. In der Rangfolge stehen Indianer meistens ganz unten.
Können unter diesen Umständen die Indianer in Zukunft ausreichend geschützt werden?
Es gibt ein riesiges Regenwald-Schutzprogramm, bei dem ein Teil aus der Errichtung von Schutzzonen besteht. Über 100 Gebiete sind inzwischen schon demarkiert worden - die EU hat da den Hauptteil gezahlt. Natürlich gibt es permanent Reibereien, zum Beispiel wird befürchtet, dass ein Teil des Geldes durch Korruption verschwindet. Außerdem ist es schwierig, die riesigen Gebiete zu kontrollieren, da besteht noch Nachholbedarf. Meine letzte Reise ging ins Xingú-Reservat im Amazonasbecken. Der Schutz dieses Gebietes funktioniert recht gut. Die Leute in den Dörfern haben alle Radios und Funk und stehen in Verbindung mit den Behörden. Wenn Holzfäller, Goldsucher oder Gummisammler das Gebiet betreten, halten die Indianer sie fest und schlagen Alarm.
Können Sie etwas zur Biopiraterie im Regenwald sagen?
Die Indianer besitzen ein uraltes Wissen über die Pflanzen im Urwald und ihre Heilkräfte, das ihnen gehört und zusteht. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel der Kautschuk, den die Indianer schon immer nutzten und der dann von den Europäern entdeckt wurde. Vor allem die Pharmaindustrie ist bestrebt, Wirkstoffe für bestimmte Krankheiten zu finden. So wurde beispielsweise entdeckt, dass das Hautsekrete eines bestimmten Frosches, das die Indianer als Aufputsch-Mittel nutzen, gegen Alzheimer wirken kann. In den USA wurde der Stoff sofort patentiert. Das ist Biopiraterie, man hätte die Indianer fragen müssen. Mittlerweile achtet die brasilianische Naturschutzbehörde IBAMA darauf, dass keine Pflanzen, Tiere oder Insekten mehr aus dem Regenwald entwendet werden. Man kann zum Beispiel auch keinen Federschmuck mehr kaufen.
Wohin geht Ihre nächste Exkursion?
Wahrscheinlich nach Neu-Guinea. Dort gibt es auch ein kleines Völkchen, das Probleme mit den Zähnen hat. Ich hatte im März schon mit der Behandlung begonnen, allerdings gingen mir die Medikamente aus.