1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das große Töten am 38. Breitengrad

25. Juni 2010

Der Koreakrieg war der erste große Krieg nach dem 2. Weltkrieg und die erste 'heiße' Schlacht im Kalten Krieg. Und doch wird er "der vergessene Krieg" genannt. Dabei ist der Koreakrieg offiziell noch nicht beendet.

https://p.dw.com/p/O36O
Marine Sgt. William T. Hathaway of Danville, Virginia, looks over the wreckage of Hanjung, Korea, Dec. 20, 1950, before the withdrawal from that city by U.N. forces now compressed into the Hungnam beachhead in northeast Korea. (AP Photo)
Nach drei Jahren Krieg liegt Korea in Schutt und AscheBild: AP

Besuch empfangen Han-Kyung Lee und seine Frau Chung-Ja Yoo auf der Terasse ihres Häuschens am Rand von Berlin. Hier haben sie sich ein kleines Idyll erschaffen. Im Garten plätschert ein Goldfischteich und dahinter bauen die Rentner Fenchel, Möhren und koreanisches Gemüse an. Han-Kyung Lee trägt kurze Jeans und ein bedrucktes T-Shirt. Das Motiv darauf ist der Umriss der Koreanischen Halbinsel. Die schnurgerade Linie entlang des 38. Breitengrads, an der die Grenze von Nord- von Südkorea verläuft, ist darauf nicht markiert.

Der Koreaner Han-Kyung Lee kam 1965 nach Deutschland
"Berlin ist meine zweite Heimat": Han-Kyung Lee kam 1965 als BergarbeiterBild: Rebecca Sumy Roth

Diese willkürlich gezogene Grenzlinie führt genau durch das Dorf, in dem Han-Kyung Lee aufgewachsen ist. "Unser Dorf wurde halbiert, meine Schulfreunde lebten plötzlich auf der anderen Seite als ich", erzählt der 72-Jährige. Er war damals in der ersten Klasse, als er erlebte, wie sein Dorf geteilt wurde. Da kamen Russen und Amerikaner mit ihren Autos und stellten ein Schild auf. "Hier verläuft der 38. Breitengrad," stand darauf.

Spielball der Großmächte

Mit sieben Jahren konnte Han-Kyung Lee die politische Dimension der Grenze nicht verstehen. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird das ehemals von Japan besetzte Korea geteilt. Russland kontrolliert das Gebiet nördlich des 38. Breitengrades, die USA die Hälfte südlich davon.

Im August 1948 ruft im Süden der von den Amerikanern gestützte Syngman Rhee die Republik Korea aus. Darauf hin gründet im Norden der von der Sowjetunion protegierte General Kim Il Sung die Demokratische Volksrepublik Korea. Doch Kim Il Sung beansprucht das ganze Land. Und so marschieren am 25. Juni 1950 nordkoreanische Soldaten über den 38. Breitengrad nach Südkorea ein.

Der Kampf um die koreanische Halbinsel beginnt

An diesen Tag kann sich Han-Kyung Lee noch genau erinnern:

"Der 25. Juni war ein Sonntag. Morgens früh krachte es an der Grenze. Wir wussten nicht was los ist. Und dann kamen nach ein paar Stunden schon die ersten südkoreanischen Soldaten. Sie waren auf dem Rückzug nach Süden." In nur drei Tagen überrennen die Nordkoreaner Seoul und nehmen fast den gesamten Süden ein. Daraufhin erlaubt die UNO den Einmarsch alliierter Truppen. Unter dem Kommando der USA erobern diese weite Teile Koreas zurück. Im Oktober 1950 scheint der Krieg schon vorbei zu sein. Doch dann schickt China Truppen zur Unterstützung für Nordkorea.

Karte von Korea nach dem Krieg DW-Grafik: Per Sander
Der 38. Breitengrad: die willkürlich von den Großmächten gezogene Linie trennte Korea nach dem 2. Weltkrieg in Nord und Süd

Im Norden fürchtet man, dass Amerika Atombomben einsetzen könnte. Millionen Männer, Frauen und Kinder fliehen daher in Richtung Süden. Auch Han-Kyun Lees Ehefrau Chung-Ja Yoo, damals acht Jahre alt, ist mit ihrer Familie auf der Flucht.

"Wir sind zu Fuß von Seoul in die Provinz Chungcheong" gelaufen und waren wochenlang unterwegs, erzählt die zierliche Frau, die bis dahin still am Gartentisch gesessen und ihrem Mann zugehört hat. Doch es fällt ihr nicht leicht über die Angst und den Hunger damals zu sprechen und die grausamen Szenen, die ihr vor Augen stehen. Wie eines Tages auf der Flucht große Stücke vom Himmel fallen. Wie alle hinrennen, im Glauben es seien Hilfspakete mit Essen. Doch stattdessen sind es Bomben.

Die Amerikaner bombardieren flächendeckend mit Streubomben und Napalm. Han-Kyung Lee erlebt damals, wie seine Stadt in Feuer aufging. Nach dem Bombenhagel war sie nicht nur sehr beschädigt. "Da gab es kein einziges heiles Haus mehr. Auf einmal waren alle weg."

Die Frontstaaten im Kalten Krieg kooperieren

Die Ruinen einer nordkoreanischen Division nach einem Angriff durch eine amerikanische B-29 (Foto: AP)
Eine nordkoreanische Division nach einem US-LuftangriffBild: AP

Nach dem Waffenstillstand von 1953 liegt das Land in Schutt und Asche. Es gibt kaum noch etwas zu Essen und keine Arbeit. In dieser Lage bieten beide deutsche Staaten den jeweiligen Bruderländern Entwicklungshilfe an. Ab 1963 holen die Bundesrepublik Deutschland 20.000 Südkoreanerinnen als Krankenschwestern und 8000 Südkoreaner als Bergarbeiter ins Land. Sie sollen mit dem in Deutschland verdienten Geld die Heimat aufbauen helfen. Auch Han-Kyung Lee ließ sich als Gastarbeiter anwerben, obwohl er von Bergbau keine Ahnung hatte. "Im Ausland zu arbeiten, war ein verlockendes Angebot. Ich war damals jung, unter 30, damit stand die Welt für mich offen."

Han-Kyung Lee ist in Deutschland geblieben und hat sich einbürgern lassen. In sein Heimatdorf kann er nicht mehr zurückkehren. Es liegt heute irgendwo im Niemandsland zwischen Nord- und Südkorea. Doch das ist ihm nicht so wichtig, meint der Rentner lächelnd. Man müsse nach vorne schauen. Und seine zweite Heimat, die sei jetzt Berlin.

Autorin: Rebecca Roth

Redaktion: Sven Töniges