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Der Stehaufmann

12. August 2016

Erst war er nur Ersatzmann, jetzt führt er Deutschland zu Gold: Ruderer Hans Gruhne krönt in Rio seine sportliche Karriere, die schon fast vorbei war. Der Grund: ein Burnout, wie Joscha Weber aus Rio berichtet.

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Rio Momente 11 08 Rudern Hans Gruhne
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Immer wieder ballt er die Faust. Erst für sich, dann für die Fotografen und für die Kamerateams. Hans Gruhne weiß nicht wohin mit seiner Freude. Er fletscht die Zähne, reißt die Arme hoch und fällt dann wieder in die Arme seiner Teamkollegen. "So richtig begreifen kann ich es noch nicht. Dafür brauche ich noch ein paar Stunden", sagt er kurz darauf strahlend und versucht beim Reden zu realisieren, was gerade geschehen ist. "Wir wollten eine Medaille, aber dass es jetzt Gold wird? Unglaublich!"

Kurz zuvor im Boot. Der deutsche Doppelvierer ist schnell gestartet, hat gleich ein paar Meter zwischen sich und den Rest des Finalfeldes gebracht. Und genau das war auch der Plan: Gleich einmal ein Zeichen der Stärke setzen, die Konkurrenz beeindrucken. "Wir wussten, dass wir die besten Starter sind und wollten unsere Gegner gleich unter Druck zu setzen, sie gar nicht erst ins Rennen kommen lassen", beschreibt Gruhne den Start. Doch dann arbeiten sich die favorisierten Australier langsam vor, kommen dem deutschen Boot immer näher. Philipp Wende, Lauritz Schoof, Karl Schulze und Schlagmann Hans Gruhne fahren jetzt in den Tunnel, wie Gruhne es nennt. Sie sehen kein links und kein rechts mehr. Die letzten 250 Meter. Es wird eng.

Das deutsche Boot ist immer noch leicht vorne, doch Australien macht Druck. Gruhne spürt jetzt "nichts mehr außer Schmerzen". Die Muskeln sind längst übersäuert, wollen nicht mehr. Ein paar Meter noch, dann fährt das deutsche Boot tatsächlich als Erstes durchs Ziel. "Ehrlich gesagt wussten wir gar nicht, wievielter wir geworden sind. Ich musste erst einmal auf die Anzeigetafel schauen." Dort steht: Deutschland und dahinter ist eine Goldmedaille. Dann jubelt Gruhne und will überhaupt nicht mehr aufhören. All die Zweifel der letzten Monate sind plötzlich weg.

"Ich war einfach ausgebrannt"

Rückblende: An einem tristen Tag im März droht der Traum von einer Olympiamedaille für Hans Gruhne zu platzen. Im Training merkt der 1,93 Meter große Modellathlet, dass sein Körper streikt. Er kann keine Leistung mehr bringen. Abends im Bett kommt er nicht zur Ruhe. Sein Herz schlägt zu schnell. Zwischen 90 und 100 Schlägen, normal beträgt sein Ruhepuls die Hälfte. Diagnose: Überlastung. "Ich war einfach ausgebrannt. Wir waren ständig irgendwo im Trainingslager und im Wettkampf. Plötzlich konnte ich nicht mehr und brauchte eine Pause", erinnert sich der 28-jährige Berliner. Eine Woche lang liegt er nur auf der Couch und versucht, neue Kräfte zu sammeln.

Jubel beim Doppelvierer über Gold (Foto: Getty)
EIn langer, harter Weg liegt hinter dem deutschen Doppelvierer. Insbesondere für Schlagmann Hans Gruhne ist Gold eine Genugtuung.Bild: Getty Images/M. Hangst

Der sportliche Burnout kommt zu einem schlechten Zeitpunkt. Die nationale Olympiaqualifikation steht an und Gruhne ist erstmal raus aus dem Olympiaboot. Er reist zum nächsten Weltcup nach Luzern nur als Ersatzmann. Sein Job: Den Kollegen Trinkflaschen anreichen und anfeuern. In den Pausen trainiert er hart für sein Comeback. Mit Erfolg: "Ich bekam vom Trainer die Chance und habe sie ergriffen." Hans Gruhne rudert wieder schnell und wird Schlagmann. Er trägt die Verantwortung für den Rhythmus. Und er hat den größten Druck. 2015 ist das Team Weltmeister im Doppelvierer geworden. Jetzt soll es auch bei Olympia mit dem ganz großen Wurf klappen. Dafür tut das Quartett um Gruhne in den Monaten vor den Spielen alles.

Keine Zeit für Familie und Freunde

Es folgen weitere Trainingslager. Ihre Familien sehen die vier selten. Privates muss hinten anstehen. Stattdessen feilen sie immer wieder am Zusammenspiel. Auch noch in Rio. "Wir haben uns nichts angeschaut, wollten uns professionell auf unseren Wettkampf vorbereiten." Und das war auch nötig. Denn noch im Vorlauf läuft der Doppelvierer nicht rund. Sie stecken noch einmal die Köpfe zusammen und bügeln die Fehler aus. Dann am Tag X funktioniert alles. "Wir sind ein unglaubliches Rennen gefahren, Wahnsinn", freut sich Gruhne und die Endorphine springen förmlich aus ihm heraus. "Die Goldmedaille ist jetzt der Lohn für all die Entbehrungen."