Der Rubel-Schachzug
24. März 2022Die Ankündigung hatte es in sich: Gaslieferungen aus Russland in Richtung Westen sollen die Empfängerstaaten künftig in Rubel bezahlen. Das hat der russische Präsident Vladimir Putin in einer Fernsehansprache angekündigt. Russland werde seinen Lieferverpflichtungen aber nach wie vor nachkommen. Gazprom beispielsweise schickt auch an diesem Donnerstag wieder 104 Millionen Kubikmeter Gas durch Pipelines in der Ukraine in Richtung Europa.
Die Bundesregierung zeigt sich besorgt. "Die Ankündigung in Rubel zu bezahlen, ist erst einmal ein Bruch der Verträge", hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch am Mittwochabend auf die Ankündigung reagiert.
Putin hat seine Regierung und die Zentralbank in Moskau angewiesen, die genauen Details einer Umstellung der Zahlungsweise innerhalb einer Woche auszuarbeiten. Der staatliche Gaskonzern Gazprom soll Vorbereitungen treffen, die Verträge entsprechend zu ändern. "Indirekt ist das vielleicht eine Antwort auf die Regierungserklärung von Olaf Scholz, der gesagt hat, wir wollen die Gaslieferungen nicht antasten, sonst werde das für Deutschland zu teuer", sagte Jens Südekum gegenüber DW. Er ist Professor am Institut für Wettbewerbsökonomie an der Universität Düsseldorf. Zugleich ist Südekum Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. "Das beantwortet Putin jetzt, indem er sagt: 'Gut, ihr könnt Gas haben - aber nur noch zu meinen Bedingungen'".
Klarer Bruch von geschlossenen Verträgen
Freilich sehen viele Rechtsexperten die Sache kritisch. "Verträge werden zwischen zwei Parteien geschlossen, und sie lauten in der Regel auf US-Dollar oder Euro. Wenn also eine Partei einseitig sagt: 'Nein, Sie werden in dieser Währung zahlen', dann gibt es keinen Vertrag", sagte Tim Harcourt, Volkswirt an der University of Technology in Sydney, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Mikhail Krutikhin, ist Gründer und führender Analyst von RusEnergy Moscow. Im DW-Gespräch bewertete er Putin Volte als "eine Art Propaganda, die sich meiner Meinung nach an das heimische Publikum richtet". Deutschland und andere westliche Länder hätten den Vorschlag des Kremls mit der Begründung abgelehnt, er käme einem Vertragsbruch gleich - eine Ansicht, die Krutichin teilt.
Bezüglich der Beweggründe von Putin vermutet Krutichin: "Vielleicht denkt er, dass die Kunden von Gazprom mit den [russischen] Banken, die derzeit unter Sanktionen stehen, Geschäfte machen und harte Währung zu [diesen] Banken bringen müssen. Eine solche Zwangstransaktion könnte dazu dienen, sowohl die Banken selbst als auch den schwächelnden russischen Rubel zu stützen." Krutichin warnt jedoch davor, dass der Plan nach hinten losgehen könnte. Es würde zu Chaos auf dem Gasmarkt führen. "Und es wird sehr schwer zu verstehen sein, was der tatsächliche Preis für russisches Gas zu einem bestimmten Zeitpunkt ist."
Von der Maßnahme getroffen werden sollen aus Sicht Moskaus "unfreundliche" Staaten; Länder also, die Sanktionen gegen Unternehmen oder Personen in Russland verhängt haben. Dazu zählen unter anderem die EU mit Deutschland, die USA und Kanada, Großbritannien, Japan, Norwegen, Singapur, Südkorea oder auch die Schweiz.
Der Rubel finanziert den Krieg
Die Maßnahme dürften auch den Hintergrund haben, dass Russland und sein Präsident wegen der verhängten Sanktionen ohnehin wenig mit Währungen wie dem Dollar oder dem Euro anfangen kann. "Russland kann natürlich noch immer versuchen, mit anderen Ländern wie Indien und China Devisen zu tauschen. Aber im Westen kann er aktuell natürlich nichts damit anfangen", sagte der Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski, der DW. "Doch braucht er Rubel: Er muss den Krieg mit Rubel finanzieren, da ist das aus seiner Sicht ein sehr geschickter Schachzug."
Zudem hätte eine Umstellung der Zahlungen in Rubel noch weitreichendere Folgen und Vorteile für Russland. Es würde damit nämlich zum einen der Rubel gestärkt und die russische Zentralbank wieder gestützt. Denn die ist durch die westlichen Sanktionen quasi von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten. "Jetzt würde Putin sie wieder in eine zentrale Position befördern, weil wir sie dann zwingend brauchen, um überhaupt Gas bezahlen zu können", so Jens Südekum.
Denn bei den Zahlungen der Gaslieferungen handelt es sich um große Summen, die sich nicht so leicht an den Devisenmärkten beschaffen lassen, vor allem nicht in der jetzigen Lage. Gasabnehmer müssten dann also bei der russischen Zentralbank Devisen gegen Rubel eintauschen. Das aber würde die eigenen Sanktionen gegen die russische Zentralbank unterlaufen. Energieversorger wie die österreichische OMV haben bereits angekündigt, weiter in Euro zu bezahlen. Man werde vorerst nicht von Euro auf Rubel umstellen. "Ich dürfte so etwas gar nicht", sagte OMV-Chef Alfred Stern am Mittwoch dem TV-Sender Puls 24. Laut Vertrag seien die Rechnungen nämlich in Euro zu begleichen.
Rubel-Verfall gestoppt
Dennoch genügte schon die Ankündigung Putins, um den Rubel zu stützen. Der Kursanstieg begann am späten Mittwochnachmittag nach der Fernsehansprache des Präsidenten und setzte sich am Donnerstag fort. Denn natürlich setzt die Ankündigung eine verstärkte Nachfrage nach Rubel in Gang. In Folge des Krieges und der Sanktionen war der Rubel abgestürzt, die russische Zentralbank hat den Leitzins auf 20 Prozent hochgesetzt, um die Geldentwertung zu stoppen.
Zugleich signalisiert die russische Regierung mit diesem Schritt, dass sie auf laufende Dollar- und Euro-Einnahmen aus Gasverkäufen verzichten kann. Sie sieht sich demnach in der Lage, fällige Zinsen und Schulden in den jeweiligen ausländischen Devisen bezahlen zu können. Noch vor wenigen Tagen war in dieser Hinsicht über einen möglichen Zahlungsausfall Russlands spekuliert worden.
Und schließlich bringt die Ankündigung vor allem Berlin und Brüssel in eine schwierige Lage. Denn ein Boykott russischer Energielieferungen würde die ohnehin hohen Energiepreise noch einmal explosiv verteuern. Die Regierungen etwa in Berlin und Paris steuern bereits jetzt mit massiven Finanzhilfen gegen, um Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen zu entlasten.
Abgesehen davon ist die Abhängigkeit von russischem Gas bekanntlich extrem hoch. So warnt der Energieverband BDEW vor einer Verschlechterung der Gasversorgungslage in Deutschland. "Der BDEW fordert die Bundesregierung auf, die Frühwarnstufe im nationalen Notfallplan Gas auszurufen", sagte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Verbandes, Kerstin Andreae, am Donnerstag. Dieser Notfallplan regelt die Prioritäten, wem wann das Gas abgestellt wird, falls es zu Engpässen und Lieferstopps käme.