Beethovenfest: Steven Walter im Gespräch
6. Mai 2020Steven Walter sitzt auf den Stufen des Alten Rathauses am Bonner Marktplatz. Eine komfortablere Kulisse für das Interview war in der Corona-Zeit nicht zu finden. Walter, der im Mai 34 Jahre alt wird und ab November 2021 die Intendanz des Beethovenfestes Bonn übernimmt, ist gerade erst mit einem menschenleeren Zug aus Berlin gekommen und muss noch am selben Tag zurückfahren - eine Übernachtung im Hotel ist auch nicht möglich. Dennoch strahlt er.
DW: Steven Walter, Sie übernehmen das Beethovenfest in einer unruhigen Zeit. Welche Vision haben Sie?
Steven Walter: Aus Unruhe kann viel entstehen. Ich möchte einen zukunftsweisenden Ort der Inspiration, Innovation und Begegnung in Bonn schaffen. Ein am Publikum orientiertes Festival, bei dem die spannendsten Ideen und Formate zum Musikschaffen der Zukunft sozusagen unter der geistigen Schirmherrschaft Beethovens zusammenkommen.
Das innovationsbereite, weltoffene und kunstfreundliche Bonn des späten 18. Jahrhunderts war der Ort, wo aus einem Talent ein Beethoven werden konnte. Das ist meine Inspiration für ein Festival als begeisternde Plattform für die Zukunft der klassischen Musik, publikumsnah und auf höchstem Niveau. Die Voraussetzungen sind heute wie damals dafür gegeben.
Natürlich muss ich davon ausgehen, dass die nicht absehbaren Folgen der Corona-Krise auch noch weit in meine Intendanz wirken werden. Aber in Krisen stecken immer auch große Chancen. Wie Churchill so schön sagte: "Never waste a good crisis". Krisen können Veränderungen beschleunigen, die in Zeiten des "business as usual" sehr schwer zu implementieren sind.
Die Beethovenhalle, die Hauptspielstätte des Festivals, wird bis auf Weiteres fehlen, wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Das nehme ich sportlich und mit dem Ehrgeiz, auch das als Chance zu begreifen. Wir müssen mit einer maximalen Kreativität und Offenheit an das Programm, die Formate und die Stadt herangehen. Und ich glaube an die besondere Fähigkeit der Musik, Orte zu verzaubern, egal wie sie sind. Ich habe schon so ziemlich alles bespielt, von Industriehallen bis zu öffentlichen Räumen, das macht viel Spaß und ist faszinierend.
Ein Steckbrief zu Ihrer Person?
Mich hat immer die Neugier geformt, das ist mein primärer Ansporn. Ich bin extrem überzeugt davon, dass Musik eine zentrale Rolle spielen kann und muss.
Gehört Beethoven zu Ihren Lieblingskomponisten?
Ja, absolut - seine Musik ist unsterblich. Beethoven begeistert mich aber auch als Figur, da er so viel interessanter ist als sein Klischee. Er ist eine sehr widersprüchliche Person, und genau diese Widersprüche finde ich so interessant. Man kann sich wunderbar an ihm abarbeiten.
Ich finde den jungen, Bonner Beethoven - den Bohemien und Salonlöwen - besonders faszinierend. Wie er seine Karriere aufgebaut hat, mit Rückschlägen umgegangen ist, dazu seine Vielseitigkeit als Interpret, Improvisator, Unternehmer und Komponist.
Wenn Sie sich Ihrem Beethoven annähern: Wie machen Sie das?
Natürlich zunächst einmal über die Sinnlichkeit der Musik. Ich finde, man hört in ihr aber auch, dass Beethoven ein sehr weltnaher Komponist ist, sehr verbunden mit seiner Welt. Er ist nicht - auch hier ein Klischee - jemand, der nur in seinem verborgenen Kämmerlein die Musik schreibt. Er war jemand, der sich die Hände schmutzig gemacht hat und eben kein über den Dingen schwebender Held und Heiliger.
Ich höre in seiner Musik sehr viel Leben und Kontext, deswegen interessiert mich die Suche nach Lebendigkeit und Kontextualisierung auch für das Beethovenfest so sehr. Wir werden Beethoven meines Erachtens nicht gerecht, wenn wir ihn nur auf sterilen Bühnen und in klinischer Perfektion präsentieren. Da ist mehr Leben drin.
Man weiß, dass Sie in der Wettbewerbsphase eine Festivalwoche programmiert haben, womöglich eine Eröffnungswoche. Was möchten Sie erklingen lassen in Ihrer ersten Saison?
Das war eine abstrakte Übung für den Prozess. Ich werde mich natürlich zunächst sehr viel mehr mit der Stadt und den Gegebenheiten auseinandersetzen wollen, bevor ich mich festlegen will.
Aber ich möchte schon, dass das Eröffnungswochenende ein großes Fest in der ganzen Stadt ist, an unterschiedlichsten Orten und in unterschiedlichsten Formaten. Im Allgemeinen schwebt mir eine Vielfalt der Formate, aber in klar strukturierten Programmreihen vor. Der Diversität des Publikums kann man nur mit einem vielfältigen und trotzdem stringenten, mit einer klaren Signatur versehenen Programm gerecht werden. Dabei suche ich auch den Kontrast zwischen dem sehr nahbaren, intimen Format, und natürlich profilierten, mit großen Namen besetzten Abenden - bei jedem Konzert soll aber spürbar sein, dass es um etwas geht, was ein besonderes Herzensanliegen oder auch Risiko birgt. Das fände ich Beethoven-like.
haben Sie ein Lieblingswerk von Beethoven?
So vieles ist so wunderbar. Auf mich persönlich wirken zum Beispiel die späten Streichquartette immer wie Naturereignisse. Da haben bestimmte Konzerterfahrungen in meiner Jugend meine Gehirnchemie nachhaltig verändert. Man hört, wie sich Beethoven kompositorisch seine Freiheit mal erkämpft, mal ertastet - das finde ich sehr inspirierend.
Sie haben mit PODIUM Esslingen, einer Festival- und Produktionsplattform, viel erreicht. Was war Ihr Impuls für die neue Herausforderung?
Ich habe PODIUM Esslingen gemeinsam mit Minh Schumacher sehr jung gegründet, noch recht früh im Studium. Unser Grundimpuls war, eine Plattform für unsere Fragen an das klassische Musikschaffen zu entwickeln. Wie können wir die Zukunft der klassischen Musik gestalten? Inwiefern interagiert der kuratorische Kontext mit der Musik? Wie kann die Konzertform der Musik am wenigsten im Weg stehen? Wie können wir auch andere Menschen, auch unsere Generation erreichen? Und so fingen wir an, experimentell diese Fragen zu ergründen - und mussten dafür ein Festival, eine Stiftung und schließlich eine recht weit entwickelte, europaweit vernetzte Plattform aufbauen. Der Weggang von der eigenen Gründung fällt immer sehr schwer - aber nach bald 13 Jahren bin ich bereit für den nächsten Schritt.
Sie haben sich vor kurzem beim Beethovenfest beworben. Wenn Sie heute eine Bewerbung im Namen von Beethoven verfassen sollten - was würden Sie schreiben?
Es geht um die Zukunft. Und es gibt nur einen einzigen verlässlichen Weg, die Zukunft vorherzusagen, und das ist die Gestaltung der Gegenwart. Was wir heute tun, wird die Zukunft sein. Und da muss klassische Musik in eine gestaltende Rolle hineinkommen, statt nur zu reagieren und sozusagen "Denkmalschutz" zu betreiben. Wir sind mit unserer Musik nicht Objekte der Geschichte, die irgendwie in die Gegenwart gerettet werden müssen, sondern gestaltende Subjekte der Gegenwart.
Ihre Eltern sind keine Musiker. Warum ist die Musik dennoch Mittelpunkt Ihres Lebens geworden?
Ich bin sehr dankbar, dass ich aus einem Haushalt komme, der für alle möglichen Themen sehr offen war. Das kommt mir heute auch in meinem Musikschaffen sehr zugute, dass ich mich neben der Musik für viele andere Sachen interessiere - Musik ist für mich eine extrem kontextuelle Kunstform, die sich mit allen möglichen anderen Dingen vermengen kann.
Ich bin durch einen sehr engagierten Musiklehrer in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Musik geraten, habe dann zunächst sehr ambitioniert Cello studiert. Ich habe aktiv und auf hohem Niveau erleben dürfen, wie es ist, auf der Bühne zu stehen und welchen Wert das gemeinsame Musizieren hat. Ich sehe mich jetzt in einer ermöglichenden Rolle - aber ich zehre noch immer von diesen aktiven Musikerlebnissen. Das Publikum so nah und intensiv an diese Erfahrung heranzubringen, das treibt mich an. Ein einziger Konzertabend kann Leben verändern - ich habe es oftmals erlebt. Wir dürfen vor lauter Routine niemals dieses Potenzial der Musik vergessen, sondern müssen bewusst und besessen danach suchen.
Das Gespräch führte Anastassia Boutsko.