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Der kleine Tempel in unserer Straße

4. Juli 2015

Japan und Deutschland haben viel gemeinsam. Aber Jan Schäfer hat bei seinem Besuch während des Obonfestes auch Unterschiede erlebt, wie den anderen Umgang mit Religion. Für die evangelische Kirche berichtet er davon.

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Japan Obon Fest
Obon Fest in JapanBild: picture-alliance/dpa/F. Duenzl

Der kleine Tempel in unserer Straße

Fahr nach Japan
Lange hatte ich mich gesträubt. Japan als Urlaubsziel war mir einfach zu weit. Und irgendwie zu anders und zu fremd. Mit einer Sprache, bei der ich überhaupt nichts verstehe. Nach Jahren des Weigerns und Zögerns war es nun doch soweit: Japan mitten im Sommer. Den Ausschlag gegeben hatte der Bericht einer Freundin. Sie hatte einige Wochen im Land der aufgehenden Sonne verbracht. Begeistert und überwältigt schwärmte sie von der Schönheit des Landes. Von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen. Von der Pünktlichkeit der Züge, von der Freude am Eintauchen in eine andere Kultur. Ihr Bericht war der Anstoß den ich gebraucht hatte. Er weckte meine Neugier und zerstreute meine Zweifel.

Unterwegs zum Feiern
Nach fast 11 Stunden im Flugzeug bin ich da. Überall fremde Schriftzeichen, fremde Worte. Zum Glück entdecke ich Hinweisschilder auf Englisch. Kurz danach steht die erste Hürde bevor. Im Flughafenbahnhof möchte ich Reservierungen für die Reiseroute vornehmen. Das ist wichtig. Die Sommerzeit ist nämlich auch in Japan Reisezeit. Und eine ganz besondere Festzeit: das Obon-Fest wird gefeiert. Eines der wichtigsten religiösen Feste. Kreuz und quer fahren die Menschen aus allen Teilen des Landes in ihre Heimatorte. Züge, Flüge, Busse sind auf Wochen ausgebucht. Unglaublich ist der Andrang. Deshalb wird Obon sogar in zwei Phasen gefeiert. Je nach Region im Juli oder im August.

Im Dschungel der Neon-Reklamen
Der Andrang am Bahnschalter ist groß. Warten ist angesagt. Niemand meckert oder zeigt Ungeduld. Also übe auch ich mich in Demut. Der Mann am Schalter nimmt sich viel Zeit für jeden Einzelnen. Auch für mich. Über eine Stunde stehe ich an. Noch einmal so lange dauert das Buchen der Fahrkarten. Ein Glücksgefühl stellt sich bei mir ein, ich halte meine Fahrkarten in der Hand. Nun kann es richtig losgehen. Mit dem Zug geht es nach Osaka. Die bunten Lichter der riesigen Neon-Reklamen blinken mir ein Willkommen zu.
Stück für Stück erkunde ich in den nächsten Tagen die Sehenswürdigkeiten. Bei allen kulturellen Unterschieden haben die Menschen in Japan und in Deutschland vieles gemeinsam. Der Lebensstil ist ähnlich: Musik, Literatur, Mode, die Bedeutung von Technik und Wissenschaft haben eine große Schnittmenge, in beiden Gesellschaften spielt der Konsum eine wichtige Rolle. Einkaufen, schoppen, reisen, die Freizeit gestalten, ausgehen.

Die Ahnen kommen nach Hause
Fasziniert bin ich von den vielen buddhistischen Tempeln. Viele sind alt und gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Doch viele sind auch neu. Die großen Tempelbezirke fallen schon von weitem auf. Aber in fast jeder Straße gibt es kleinere Tempel. Und – sie sind immer voller Leben. Ganz besonders an Obon. Die Menschen feiern, dass die Verstorbenen zu den Lebenden zurückkehren. Am Abend sind viele Orte ein Lichtermeer. Überall leuchten Papierlaternen. Sie weisen den Verstorbenen den Weg.
In den Tempel zu gehen ist nichts besonders. Das wird auch nicht besonders geplant. Die Frömmigkeit vieler Menschen ist hier fest in ihren Tagesablauf integriert. Am Tempel gehen die Menschen einfach vorbei. Am Morgen, am Mittag, am Abend. Nicht nur die Älteren. Auch die Jüngeren. Religion und religiöse Orte sind keine spirituelle Parallelwelt. Die Trennung zwischen dem Glauben und der Religion und dem normalen Leben scheint es so deutlich nicht zu geben. Das Leben mit der Religion ist das normale Leben. Ich finde das bemerkenswert.
Nach drei Wochen in Japan sitze ich müde, aber voller neuer Eindrücke wieder im Flugzeug. Ich durfte eintauchen in ein fremdes Land. Ich durfte Einblicke erleben in großes buddhistisches Fest. Ich habe erfahren, dass es bei aller Ähnlichkeit auch eine große Unterschiedlichkeit gibt. Die unzähligen kleinen und großen Tempel Japans sind in den Alltag integriert. Religion ist nichts esoterisches, sondern so notwendig und alltäglich wie ein Kaufhaus. Ich bete darum, dass mir das auch gelingt, Tag für Tag.

Evangelischer Pfarrer Jan Schäfer, Frankfurt am Main
Pfarrer Jan Schäfer, Frankfurt am MainBild: privat

Zum Autor:
Jan Schäfer: Geboren 1965 in Siegen und aufgewachsen in Koblenz. Nach dem Studium in Mainz, Marburg und Bonn arbeitete er seit 1996 als Pfarrer im Taunus, in den USA und in Frankfurt/Main. Seit 2009 ist er als Pfarrer im Schuldienst an einer Berufsschule in Frankfurt/Main tätig. Jan Schäfer ist verheiratet.

Redaktionelle Verantwortung: Pfarrer Frank-Michael Theuer