Babylonische Sprachgewirr
25. September 200723 Amtsprachen und 60 regionale Sprachen gibt es in der Europäischen Union. Damit Finnen, Spanier, Griechen und Deutsche miteinander sprechen können, sollen sie Fremdsprachen lernen. Daran erinnert die EU ihre Bürger, wenn sie am Mittwoch (26.9.) in Brüssel den "Tag der Sprachen" begeht.
Auf diese Ziel habe sich die EU bereits 2002 offiziell geeinigt, sagt der EU-Kommissar für Vielsprachigkeit, Leonard Orban. Die Staats- und Regierungschefs verfolgten damals ein ehrgeiziges Ziel: Jeder EU-Bürger sollte seine Muttersprache plus mindestens zwei Fremdsprachen lernen.
Keine klaren Vorgaben aus Brüssel
Doch nur etwa die Hälfte aller Kinder und jungen Erwachsenen in der EU lernt in der Schule zwei Fremdsprachen. In den meisten Fällen ist darunter auch Englisch. Auf eine offizielle Verkehrssprache (Lingua franca) konnten sich die 27 Mitgliedsstaaten aber bislang nicht einigen.
Orban spricht neben Rumänisch auch Französisch, ein bisschen Italienisch sowie Englisch beherrscht. Er betont: "Wir sind gegen eine Lingua franca. Wir fördern alle Sprachen, die in der EU gesprochen werden. Wir geben nicht vor, welche erste Fremdsprache gelehrt wird und was die zweite Sprache sein soll."
Sprachenvielfalt kommt EU teuer zu stehen
So fördert und finanziert die EU-Kommission eine ganze Reihe von Lernprojekten. Es gibt Fremdsprachenkurse in öffentlichen Verkehrsmitteln, Theaterprojekte für Vorschulgruppen oder Radio-Sprachkurse, an denen auch die Deutsche Welle beteiligt ist. Mit nur einer Sprache in der EU wäre vieles leichter, aber die Kultur würde verarmen, glaubt Orban.
Deshalb leistet sich die EU-Kommission für 1,5 Milliarden Euro jährlich einen großen Übersetzungs- und Dolmetscherdienst, der die 23 offiziellen Sprachen entschlüsselt: Die EU habe die Pflicht, in alle Sprachen zu übersetzen, glaubt Leonard Orban. Nur die Hälfte aller EU-Bürger spräche zurzeit eine Fremdsprache, deshalb habe jeder Bürger das Recht auf Informationen in seiner Muttersprache.
Englisch durch die Hintertür
Unterdessen beklagen viele Politiker in Deutschland, dass Deutsch in der EU immer mehr an Bedeutung verliere. Wichtige Dokumente würden nur mit langer Verzögerung auch im Deutschen vorliegen. Leonard Orban kontert, er habe nicht genügend Geld, um alle Texte 180.000 Seiten pro Jahr - in alle drei Arbeitssprachen der EU-Kommission, Englisch, Französisch und Deutsch, übersetzen zu lassen. Zudem sei ohnehin Englisch die erste Sprache, was die Kommunikation innerhalb der EU-Kommission anbelangt.
Also doch eine Lingua franca durch die Hintertür? Sprache, das hat der 46-jährige Orban auf seinem Posten gelernt, kann hochpolitisch sein. Denn Sprache ist "immer eng mit der nationalen Identität verbunden. Das ist ein sehr empfindlicher Bereich der Politik. Sprache kann als Brücke benutzt werden, aber auch als Instrument der Teilung."
EU kurz vorm Sprachenkollaps?
Das gilt im besonderen Maße für die Bewerber um einen EU-Beitritt auf dem Balkan. Welche Sprachen später Amtssprachen werden, ist noch nicht entschieden. Denn die Unterschiede zwischen den Sprachen, die in Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien gesprochen werden, sind eher gering. Dennoch bestehen alle Regierungen aus Gründen der Souveränität auf einer eigenen Amtssprache.
Der Kommissar für Vielsprachigkeit muss nun organisieren, dass die EU auch mit fast 30 Amtssprachen noch arbeiten kann. Dabei potenziert sich mit jeder neuen Sprache die Zahl der möglichen Kombinationen, in denen übersetzt werden muss.
Türkisch schon bald offizielle EU-Sprache?
In der Warteschlange steht auch noch die Sprache Türkisch. Diese könnte schon vor einem Beitritt der Türkei zur EU aktuell werden, sagt Leonard Orban. "Türkisch könnte früher eine offizielle Sprache der EU werden. Wenn es eine politische Lösung des Zypernproblems gibt, dann ist es wahrscheinlich, dass Türkisch eine offizielle Sprache wird."
Türkisch wird im Nordteil der geteilten Insel gesprochen, die seit 2004 zur Europäischen Union gehört. Bislang erkennt die Türkei aber die griechischsprachige Republik Zypern nicht als Staat an.