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Der Händler seines Misstrauens

Stefan Reccius16. Oktober 2015

"Ich habe nicht bekommen, wofür ich bezahlt habe": In den USA klagen die ersten Kunden gegen Volkswagen. Unterwegs mit einem, der sich hintergangen und im Stich gelassen fühlt.

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Mark Hardman (Foto: DW/G. Schließ)
Enttäuschter VW-Kunde Mark HardmanBild: DW/G. Schließ

"Das ist Volkswagen, das nennt man Kundenservice", schimpft Mark Hardman, nachdem er vor dem VW-Autohaus in Gaithersburg im US-Bundesstaat Maryland in seinen Golf gestiegen ist und vom Parkplatz fährt. Zum dritten Mal binnen weniger Tage ist er unsanft hinauskomplimentiert und an die VW-Zentrale verwiesen worden. Wieder muss er unverrichteter Dinge die Heimfahrt antreten. Ob er frustriert sei? "Ich bin einfach nur ziemlich misstrauisch, nachdem sie mich so behandelt haben."

Dabei hat Hardman, bislang ein treuer VW-Kunde, nur um ein persönliches Gespräch bei seinem Händler gebeten. Schließlich hat er hier im Juni sein neues Dieselauto gekauft - bereits seinen fünften Volkswagen. Es sollte das Familienauto für ihn, seine Frau und ihre mittlerweile vier Monate alte Tochter werden. Zweimal hatte man ihn hier schon abgewiesen. Erzürnt schrieb er Briefe an seinen Händler und den Volkswagen-Konzern in den USA, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Fast 30.000 Dollar (ca. 26.000 Euro) hat ihn das Auto gekostet. Das gesamte Geld möchte er nun zurück. "Ich habe nicht bekommen, wofür ich bezahlt habe: ein sparsames, umweltverträgliches Auto für meine Familie", sagt Hardman.

Abgasmessung am Auspuff (Foto: picture-alliance/dpa/P. Pleul)
Mehr Tote durch zu hohe Abgase?Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Der Gesundheitsaspekt

Der 34-Jährige mit dem freundlichen Auftreten wirkt nicht wie einer, der es auf Streit anlegt. Doch von VW belogen worden zu sein, hat ihn spürbar hart getroffen. Jeden Tag radelt er zu seiner Arbeitsstelle in einem Krankenhaus. In einem seiner Briefe schreibt er von Ausflügen in Nationalparks, wo die junge Familie mit ihrem bescheidenen Golf neben den großen amerikanischen Spritschluckern mit Allradantrieb "ein Gefühl von Zufriedenheit" hatte. Mark Hardman war sich sicher: Er tut etwas Gutes für die Umwelt und seinen Nachwuchs. Denn Autoabgase, gibt der angehende Mediziner zu bedenken, erhöhten gerade für kleine Kinder nun einmal das Risiko, an Asthma zu erkranken.

Der Schaden für Mensch und Natur - auch das ist einer der vielen Aspekte, um die es bei diesem Skandal geht. Schon kursieren in den Vereinigten Staaten Schätzungen, die die Folgen für die menschliche Gesundheit abschätzen. Statistisch gesehen, könnten die von den Dieselautos zusätzlich - und regelwidrig - ausgestoßenen Schadstoffe demnach zwischen einem Dutzend und fast einhundert Menschen in den USA das Leben gekostet haben. Einerseits sind solche Zahlen mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Es sind allenfalls Hochrechnungen anhand von Statistiken - und damit kaum direkt mit persönlichen Schicksalen zu verbinden wie etwa im Fall von General Motors; hier führten fehlerhafte Zündschlösser zu mehr als hundert tödlichen Unfällen. Andererseits werfen sie ein Schlaglicht darauf, dass es bei den Betrügereien nicht ausschließlich um Geld, sondern auch um die Gesundheit geht.

Der Abgasskandal sei "eindeutig ein Grund zur Besorgnis um Luftqualität und Gesundheit", sagt etwa Janet McCabe von der US-Umweltschutzbehörde EPA. An den Ermittlungen in den USA ist auch das Justizministerium beteiligt. Näheres zum Stand der Untersuchungen teilt zwar auch das Ministerium nicht mit, lässt aber einen Sprecher ausrichten, man nehme "die Anschuldigungen und auch die möglichen Auswirkungen auf Gesundheit und Luftqualität sehr ernst". In Texas wurde VW wegen der Umweltsünden sogar schon von einem Landkreis auf hundert Millionen Dollar (ca. 87 Mio. Euro) verklagt.

Für Mark Hardman zählen diese Begleitumstände zu den Hauptgründen, weshalb er seinen Golf zurückgeben will. "Ich habe mir nie etwas dabei gedacht, unsere Tochter hinten im Auto mitzunehmen", sagt Hardman. Für ihn ist es keine Option, auf eine Nachrüstung zu warten. Er hat sehr genau zugehört, was der US-Chef von VW, Michael Horn, kürzlich bei einer Anhörung im Kongress gesagt hat: Ein, zwei Jahre könne es mindestens dauern, bis alle Autos repariert seien. "Ich will nicht solange weiter die Umwelt verschmutzen und meine Tochter dem aussetzen“, klagt er. "Und ganz ehrlich: Ich traue Volkswagen nicht mehr."

VW-Messestand (Foto: F. J. Brown/AFP/Getty Images)
Der Ruf von VW in den USA ist ramponiert.Bild: F. J. Brown/AFP/Getty Images

Vertrauensbruch

Die Autos seien laut den Behörden trotz allem "legal und sicher" zu fahren, auch das hatte Topmanager Horn im Kongress gesagt. Beschwichtigen konnte er Kunden wie Mark Hardman damit nicht. Hardman steht stellvertretend für jene, die sich nicht mit einer Reparatur zufrieden geben wollen; die befürchten, dass entweder ihr Auto an Leistung verlieren oder weiter ungebührlich die Umwelt belasten wird oder beides; und die daher den vollen Preis für ihren Wagen erstattet haben wollen.

Damit nimmt der für VW wohl schwierigste Teil der Affäre Fahrt auf: die Konfrontation mit den Kunden. Während in Deutschland viele Kunden ihre ungebrochene Loyalität mit Volkswagen bekunden, dürfte gerade in den USA einiges auf VW zukommen. Für den Autoexperten Dan Becker von der Verbraucherschutzorganisation Center for Auto Safety liegen die Dinge klar: "Volkswagen muss die Kunden vollständig entschädigen. Wer den Rückruf nicht in Anspruch nehmen will, sollte die Rückerstattung des vollen Kaufpreises einfordern", sagt Becker. Notfalls würden Gerichte dies von VW erzwingen.

Diesen Weg hat Mark Hardman bereits eingeschlagen. Er hat am Bezirksgericht von Maryland eine erste Klage eingereicht: 4.500 Dollar (ca. 4.000 Euro) will er bekommen - Schadenersatz für die Differenz zwischen seinem Dieselauto und einem vergleichbaren Modell mit Benzinmotor. Mit einem Urteil rechnet er bereits in einigen Wochen. Es wäre ein erster Erfolg. Bis die Sammelklagen gegen Volkswagen in den USA entschieden sind, werden wohl 30 Monate vergehen, erwartet Hardman, der selbst einmal als Anwalt gearbeitet hat. Sein Auto hat er derweil auf einer Internetplattform zum Verkauf angeboten. Einen Volkswagen, sagt er, "werde ich nie wieder kaufen".