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Der gefallene Volksheld

20. Oktober 2009

Jan Ullrich hat gedopt, bestätigt nun auch das Bundeskriminalamt. Die gesammelten Beweise entlarven den Radstar als Lügner. Doch auch sein Umfeld trägt Verantwortung für den tiefen Fall des Radstars, meint Joscha Weber.

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Jan Ullrich 2002 (Foto: dpa)
Ob er damals schon ein schlechtes Gewissen hatte?Bild: AP

Nein, wirklich überraschend war sie nicht mehr, die Nachricht, dass Jan Ullrich Stammkunde beim spanischen Dopingarzt Fuentes war. Die vor gut drei Jahren in Madrid gefundenen Unterlagen hatten den Profi bereits schwer belastet. Als schließlich neun bei Fuentes entdeckte Blutbeutel per DNA-Test dem Toursieger von 1997 zugeordnet werden konnten, war klar, dass Ullrich Teil des Blutdoping-Netzwerks war.

Der Bericht des Bundeskriminalamtes hat also nur die letzten Ruinen des Lügengebildes von Jan Ullrich eingerissen. Dass der einstige Vorzeige-Sportler seine Dopingpraktiken immer noch leugnet, ist unverständlich und zugleich eine vertane Chance: Mit einem frühzeitigen Geständnis wäre Ullrich heute wahrscheinlich nicht nur wieder im Radsportsystem aktiv wie seine geständigen Kollegen Aldag und Zabel. Nein, Jan Ullrich hätte kraft seiner Prominenz in einem Geständnis auch all jene zur Rechenschaft ziehen können, die von seinen gedopten Leistungen profitierten.

Viele sonnten sich im strahlenden Licht des Radstars

Joscha Weber, Volontär der Deutschen Welle (Foto: DW)
Joscha WeberBild: DW

So zahlte sein Sponsor T-Mobile Ullrich kurz nach der fristlosen Kündigung eine Abfindung von 250.000 Euro. Für die Ermittler ein Schweigegeld, das sie zu dem Schluss kommen lässt, dass der Sponsor T-Mobile sowie das gleichnamige Team bestens über Ullrichs Dopingmachenschaften Bescheid wussten. Es wäre an der Zeit, dass die Mitwisser und Profiteure zu ihrer Verantwortung im Dopingfall Ullrich stehen. Über Jahre haben sich Sponsoren wie Telekom-Chef Ron Sommer, Politiker wie Rudolf Scharping oder auch Radsportjournalisten im strahlenden Licht des Radstars gesonnt. Zweifel gab es keine. Dafür war ihnen der Werbeträger und Quotengarant Jan Ullrich viel zu wertvoll.

Rund drei Millionen Euro ließ sich T-Mobile die Dienste Ullrichs jährlich kosten und sprach dennoch von einem "optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis". Auch die Medien profitierten: Bis zu 9 Millionen Zuschauer verfolgten seine epischen Duelle mit Lance Armstrong im Fernsehen und die ARD zahlte dem Olympiasieger für exklusive Interviews insgesamt rund 790.000 Euro. Hatte Ullrich angesichts dieser gewaltigen Interessen an seiner Person eine andere Wahl als Doping? Wohl kaum. Er kam als junges Talent in ein Milieu, in dem Doping normal, ja, von den Gründerjahren an Teil der Radsportkultur war. Bereits als 22-Jähriger soll Ullrich nach Aussage des Betreuers Jef d'Hondt beim Team Telekom mit EPO gedopt haben. Die Sozialisation war vollzogen. Zu Fuentes ging er 2003 wohl erst, als er nach einer Dopingsperre das Team Telekom verließ und somit nicht mehr in den zweifelhaften Genuss der medizinischen Betreuung durch die Uniklinik Freiburg kam.

Mitleid mit Jan Ullrich ist unangebracht

Und dennoch ist Mitleid mit dem gefallenen Helden unangebracht: Um das große Geheimnis um seine Fabel-Leistungen zu wahren, log Jan Ullrich, bis sich die Balken bogen – sogar vor Gericht. Schließlich hat Ullrich viel zu verlieren: Hohe Gagen und auch seine beiden Olympiamedaillen könnten zurückgefordert werden. Und so schweigt Jan Ullrich mit der gleichen stoischen Ruhe, mit der er einst am Berg im Sattel sitzen blieb.

Autor: Joscha Weber

Redaktion: Wolfgang van Kann