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Der "Fall Bobetko" ist kein "Fall Kroatien" und darf es auch nie werden

27. September 2002

- Fernsehansprache von Präsident Stjepan Mesic

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Köln, 26.9.2002, DW-radio / Kroatisch

Am Montag erhielt die Regierung in Zagreb offiziell die Anklageschrift gegen General Janko Bobetko vom internationalen Kriegsverbrechertribunal in den Haag. Nach einem Aufschrei im Land und heftigen Debatten erklärte die Regierung, sie werde dem Auslieferungsersuchen zunächst nicht nachkommen und überprüfen, ob alle Teile der Anklageschrift mit der kroatischen Verfassung übereinstimmten. Am Mittwoch Abend (25.9.) wandte sich der kroatische Präsident Stjepan Mesic mit einer Fernsehrede an die Kroaten. Auszüge aus der Rede und die ersten Reaktionen aus Zagreb in unserem Bericht von Gordana Simonovic:

"Im Fall der Anklageschrift gegen General Bobetko geht es weder darum, dass die Frage der Legitimität des Vaterlandskrieges gestellt werden soll, noch darum, dass die Existenz des kroatischen Staates dadurch bedroht ist. Das möchte ich besonders unterstreichen. Denn extreme politische Kreise, die in den letzten Tagen immer lauter und aggressiver werden, wiederholen hartnäckig die These, dass die Welt, die vermeintlich keinen kroatischen Staat möchte, mit der Anklage gegen General Bobetko dessen Grundlage (des Staates - MD) zerstören möchte. Ich wiederhole: das ist schlichtweg nicht die Wahrheit.

Der General ist auf der Grundlage der sogenannten Befehlsverantwortung sehr konkreter Verbrechen angeklagt, die sich zweifelsohne abgespielt haben, in einer bestimmten Zeit, beziehungsweise nach einer bestimmten militärischen Operation, und die - leider - genauso zweifelsohne von der kroatischen Seite begangen worden sind.

Wenn aber in unserer Regierung wer auch immer bereits vor Monaten gewusst hat, dass eine Anklage gegen General Bobetko vorbereitet wird, dann muss ich auch an diese Adresse den Vorwurf richten, warum man nicht sofort beim Haager Tribunal um eine Möglichkeit von Vorgesprächen mit dem ehemaligen Oberbefehlshaber nachgesucht hat.

Extreme politische Kräfte in Kroatien, die nämlich, die die Ergebnisse der (Parlaments-, MD) Wahlen im Jahr 2000 als Niederlage erleben mussten, sind ohne irgendwelche Skrupel bereit, den Fall Bobetko auszunutzen, um zu versuchen, nicht nur die Beziehungen Kroatiens zum Haager Tribunal zu verändern, sondern auch die ganze Entwicklung Kroatiens in eine Richtung zu lenken, die der heute eingeschlagenen völlig entgegen steht.

Niemand hat das Mandat, Kroatien in eine neue Isolation zu führen. Niemand hat das Mandat, das Schicksal eines Menschen, wer immer es auch sei, zu mißbrauchen, um die eigene Position zu verteidigen. Der ‚Fall Bobetko‘ ist kein ‚Fall Kroatien‘ und darf es auch nie werden. Aber, und das muss ich äußerst klar sagen, es gibt jene, die den ‚Fall Bobetko‘ dazu ausnutzen wollen, um aus Kroatien einen ‚Fall‘ zu machen."

Präsident Mesic erklärte in seiner Rede an die Öffentlickeit, dass er auf der Grundlage der Bestimmungen des an die Verfassung gebundenen Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal im Prozess gegen Slobodan Milosevic über den Teil, der die in Kroatien begangenen Kriegsverbrechen betrifft, aussagen werde.

Erste Reaktionen auf die Rede des Präsidenten reichen von äußerster Zustimmung bis absoluter Zurückweisung. So behauptet die HNS (Kroatische Volkspartei – MD), dass die Rede von Mesic eine staatsmännische Spitzenleistung sei, die SDP (Sozialdemokratische Partei – MD) meint, dass es sich nicht um eine Meinungsverschiedenheit mit der Regierung handelt, sondern um eine Unterstützungsrede. Nach Einschätzung der LS (Liberale Partei – MD) handelt es sich um eine gemeinsame Taktik von Präsident und Regierung bezüglich der Beziehung zum Tribunal. Im Unterschied zur LS meint die HSS (Kroatische Bauernpartei – MD), dass die Rede von Mesic im Gegensatz zu den Bemühungen von Regierung und Parlament stehe, mit rechtlichen Mitteln die inakzeptable Einschätzung des Vaterlandskrieges zu verdeutlichen. Die HSLS (Kroatische Sozialliberale Partei – MD) interpretiert die Rede als eine Entfremdung des Präsidenten von der Mehrheit des kroatischen Volkes, die DC (Demokratisches Zentrum – MD) als dramatische Zuspitzung gegenüber der Regierung und der weit verbreiteten Stimmung der Bürger. Für die HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft – MD) ist die Rede völlig inakzeptabel, weil sie der Spur der These folge, dass sich jeder bei jedem entschuldigen müsse. Die HDZ erinnert daran, dass sich 85 Prozent der Bürger gegen eine Auslieferung Bobetkos ausgesprochen haben. Für die HSP (Kroatische Rechtspartei – MD) und den Kroatischen Block ist die Rede von Mesic ein skandalöser Ausfall und äußerst bedauerlich. (md)