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"Der Europarat erwartet, dass die Personen entweder ein faires Verfahren bekommen oder freigelassen werden"

24. Juli 2003

- Rudolf Bindig (MDB SPD), Vertreter Deutschlands bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, spricht von 280 politischen Gefangenen in Aserbaidschan

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Köln, DW-radio / Russisch, 23.7.2003, Pavel Los

Frage:

Herr Bindig, wie schätzen Sie das Vorgehen der aserbaidschanischen Justizbehörden ein? War das eine demonstrative Ablehnung der Entscheidungen des Europarates?

Bindig:

Es müsste eigentlich in ganz Aserbaidschan den Verantwortlichen bekannt sein, dass der Europarat zutiefst besorgt darüber ist, dass es noch politische Gefangene gibt. Und man hat von dort aus verlangt, dass neue, faire Prozesse gemacht werden. Und wenn es jetzt trotzdem wieder zu härtesten Strafen gekommen ist, nämlich zu einer lebenslangen Haftstrafe für Herrn Ali Kham Gumantow (ph) und elf Jahre Haft für Herrn Iskandar Gamidow (ph), dann zeigt das, dass offensichtlich die Behörden dort nicht bereit sind, sich ernsthaft mit den Problemen der politischen Gefangenen auseinander zu setzen.

Frage:

Die aserbaidschanischen Behörden erklären, dass es keine politische Gefangenen im Lande gibt. Genau das Gegenteil behaupten Oppositionelle und Menschenrechtler. Ihrer Meinung nach sind mehrere Gefangene aus politischen Gründen verurteilt worden, aber die offizielle Anklage lautet ganz anders. Was meinen Sie, entsprechen die Behauptungen der Opposition der Wirklichkeit?

Antwort: Es ist so, dass der Europarat eine neutrale Position hat und das sehr sorgfältig geprüft hat. Nach den Erkenntnissen des Europarates gibt es rund 280 Leute, die als politische Gefangene einzustufen sind. Es mag sein, dass die auch noch Delikte begangen haben. Aber es ist so, dass sie im Kern verfolgt werden, weil sei eine politische Funktion hatten und das aus politischen Gründen geschieht. Das ist alles sehr sorgfältig überprüft worden. Und es sind eine Reihe von besonderen Fällen untersucht worden, von neutralen Beobachtern, anerkannten Experten auch des internationalen Rechtes. Und sie haben gesagt, das sind politische Gefangene und deshalb erwartet der Europarat auch, dass die Personen entweder ein faires Verfahren bekommen oder freigelassen werden.

Frage:

Ist die Ankündigung des belgischen Abgeordneten Georges Clerfayt (der in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Berichterstatter für Aserbaidschan zuständig ist), der mit einem "sehr rigiden Beschluss" drohte, ernst zu nehmen? (Damit sind zweifelsohne Sanktionen gegen Aserbaidschan gemeint, und zwar von der möglichen Aberkennung des Stimmrechts der Abgeordneten Aserbaidschans bis zum Ausschluss des Landes aus dem Europarat.)

Antwort:

Das ist sehr ernst gemeint. Wir haben nämlich auf unserer letzten Sitzung des Europarates Ende Juni darüber gesprochen. Und wir haben gesagt, Aserbaidschan soll noch einmal eine letzte Chance bekommen, sich ernsthaft mit den Dingen zu befassen. Deshalb ist das damals vertagt worden. Und deshalb hat Herr Clerfayt aus Belgien schon recht, dass jetzt der Europarat handeln muss. Und da gibt es einige Möglichkeiten und man wird sicherlich ganz ernsthaft jetzt darüber debattieren müssen, ob den aserbaidschanischen Abgeordneten das Stimmrecht in der Versammlung entzogen wird - als eine denkbare Sanktionsmaßnahme.

Frage:

Ist es nicht zu spät? Finden doch in Aserbaidschan im Oktober neue Wahlen statt?

Antwort:

Der Europarat tagt nur in größeren Abständen. Die nächste Sitzung der Versammlung wird stattfinden Ende September. Vielleicht besteht eine Möglichkeit, bei der Sitzung der Leitungsgremien des Europarates, welche bereits Anfang September in Neapel stattfindet, die Thematik zu erörtern und dort bereits Beschlüsse zu fassen. Aber bindende Beschlüsse kann nur die Versammlung als Ganzes Ende September fassen.

Frage:

Es geht um Ali Kham Gumantow. Er ist ein Anführer der Separatisten, die für die Unabhängigkeit eines kleinen Talisch-Volkes antreten. Anfang der 90-er Jahre provozierte er bewaffnete Unruhen in diesem Gebiet und nahm hochrangigen Staatsbeamte als Geiseln. Gehören solche Menschen Ihrer Meinung nach wirklich zu politischen Gefangenen?

Antwort:

Da mischen sich kriminelle Elemente mit politischen Inhalten. Und solche Fälle sind immer besonders schwierig zu behandeln. Dennoch ist es gerade in diesen Fällen notwendig, dass man erkennt, dass es auch politische Gründe gibt, die entsprechende Person zu verfolgen. Und deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass hier ein unabhängiges Verfahren stattfindet, und nicht die eine Seite eine Siegerjustiz über die andere Seite macht. (lr)