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DFB: Dem WM-Spektakel 2014 in Brasilien folgt der tiefe Fall

6. Juli 2024

Am 8. Juli 2014 feiert die DFB-Elf bei der WM gegen Gastgeber Brasilien einen historischen Sieg. Das 7:1 im Halbfinale bleibt auch zehn Jahre später unvergessen. Doch nach dem WM-Sieg beginnt eine lange Talfahrt.

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Die deutschen Spieler freuen sich, bei den Brasilianern herrscht Entsetzen
7:1 für Deutschland in Belo Horizonte: Während sich die deutschen Spieler freuen, herrscht bei den Brasilianern blankes EntsetzenBild: Eibner-Pressefoto/picture alliance

Das, was am Abend des 8. Juli 2014 in Belo Horizonte passierte, wird so schnell kein Fußball-Fan vergessen. Tränen auf der einen, ungläubiges Jubeln auf der anderen Seite. Es war ein Fußballspiel für die Geschichtsbücher. Deutschland hatte Brasilien im Halbfinale der Weltmeisterschaft mit sage und schreibe 7:1 besiegt und der Selecao eine historische Niederlage zugefügt. Innerhalb von 29 Minuten hatte das DFB-Team bereits fünf Treffer erzielt und die WM-Gastgeber in ein Tal der Tränen gestürzt.

Die Tore von Thomas Müller und Miroslav Klose, der Doppelpack von Toni Kroos, dann Sami Khedira und die beiden Treffer von André Schürrle machten die 7:1-Schmach perfekt. Brasiliens Oscar hatte noch den Ehrentreffer erzielen können, der aber lediglich statistischen Wert hat. "Das ist die schlimmste Niederlage aller Zeiten, aber das Leben geht weiter", sagte Brasiliens damaliger Trainer Luiz Felipe Scolari. "Wenn ich zurückblicke auf mein Leben als Fußballer und Trainer, dann war das der schlimmste Tag meines Lebens."

Thomas Müller zuckt mit des Achseln gegenüber zwei brasilianischen Spielern nach seinem Tor zum 1:0
Thomas Müller scheint sich bei den brasilianischen Spielern zu entschuldigen nach seinem Tor zum 1:0Bild: Eibner-Pressefoto/picture alliance

Durch den Erfolg ebnete das deutsche Team den Weg ins Finale und fünf Tage später wurde Deutschland im Maracana  gegen Argentinien durch Mario Götzes Siegtor zum 1:0 zum vierten Mal Weltmeister. Es war der Höhepunkt des deutschen Fußballs, der dem DFB aber keinen nachhaltigen Erfolg garantieren sollte.

Löw 2018: "Wir haben es nicht verdient"

Nicht wenige Fachleute hatten Deutschland im Anschluss des WM-Titels weitere erfolgreiche Jahre prophezeit - ähnlich wie Spanien, die den internationalen Fußball von 2008 bis 2012 geprägt hatten. Der WM-Erfolg in Brasilien war auch ein Ergebnis der Reformen, die Jahre zuvor im deutschen Fußball eingeführt wurden. In der Saison 2002/03 startete der Deutsche Fußball-Bund das Projekt "Talentförderung". Es entstanden Stützpunkte, Vereine mussten Nachwuchsleistungszentren (NLZ) etablieren und die Jugend-Bundesligen wurden eingeführt. Das Ergebnis: Der WM-Titel 2014.

Die Voraussetzungen für eine neue erfolgreiche Ära des DFB-Teams schienen perfekt. Doch es kam anders: Nur vier Jahre später lag der deutsche Fußball am Boden. Bei der WM 2018 in Russland schied der damals amtierende Weltmeister in der Vorrunde aus. Bis zu dieser WM-Endrunde hatte Deutschland überhaupt nur drei Mal die Gruppenphase nicht überstanden.

Manuel Neuer geht enttäuscht über den Platz
Nach dem Titelgewinn 2014 scheitert die DFB-Elf um Torwart Manuel Neuer bei der WM 2018 in Russland schon in der VorrundeBild: ULMER/Markus Ulmer/Pressebildagentur/picture alliance

Der damalige Bundestrainer Joachim Löw wurde nach der Blamage deutlich: "Wir haben es einfach nicht verdient gehabt, in dieser Gruppe weiterzukommen." Seine Mannschaft habe die Leichtigkeit und die spielerische Klasse gefehlt, so Löw.

PR-Maschine des DFB wirkungslos

Neben dem schmerzenden sportlichen Tiefschlag, war auch die gigantische Marketing-Kampagne rund um das Team krachend gescheitert. Der damalige Sportdirektor Oliver Bierhoff hatte den Hype um die Weltmeister von 2014 nutzen wollen und aus der DFB-Elf eine PR-Maschine gemacht. Hashtags und die Erfindung des Namens "Die Mannschaft" waren die Folge und wurden vor allem von den Fans lautstark kritisiert. Das größte Versäumnis aber hatte der damalige Bundestrainer zu verantworten.

Löw hatte es verpasst sein Team personell umzubauen, was der er schon nach der glanzlosen EM-Teilnahme 2016 in Frankreich hätte angehen müssen. Viele Spieler hatten ihren Zenit erreicht, waren fehleranfällig und bequem geworden. Die Gier und der unbedingte Wille, die das Team noch 2014 ausgezeichnet hatten, waren verloren gegangen.

Bundestrainer Joachim Löw schleicht gedankenverloren über den Platz
Bei der EURO 2016 in Frankreich scheitert das Team von Bundestrainer Joachim Löw (Mitte) im Halbfinale chancenlos gegen den GastgeberBild: Christina Pahnke/sampics/picture alliance

Spätestens nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland hätte es nun den erforderlichen Neuanfang geben müsse. Doch der DFB schenkte Löw und seinem Team auch für die folgende EM 2021 in zehn europäischen Städten und der asiatischen Stadt Baku erneut das Vertrauen und verzichtete auf große Einschnitte. Die Folge: Man scheiterte erneut! Die DFB-Elf schied verdient im Achtelfinale der EURO gegen England aus.

Die Erinnerungen an das glorreiche 7:1 verblassten immer mehr, das deutsche Team hatte nur noch wenige Momente, die an 2014 erinnerten. Stattdessen lieferte die Nationalmannschaft sportlich immer mehr schlechte Leistungen ab. Mit dem Ergebnis, dass nach dem EM-Aus 2021 auch die Amtszeit von Joachim Löw nach 15 Jahren und 198 Länderspielen endete. Der Bundestrainer hatte sich bei seiner letzten Pressekonferenz mit emotionalen Worten verabschiedet: "Mein Herz schlägt weiter Schwarz, Rot, Gold."

Sturm und Abwehr ohne Qualität

Das erneute frühe Scheitern bei einem großen Turnier offenbarte die markantesten deutschen Problemstellen, mit denen Löw schon seit Jahren zu kämpfen hatte: Der Sturm und die Abwehr hatten nicht die Qualität, um in der Weltspitze mitzuhalten. Seit WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose 2014 seinen Rücktritt erklärt hatte, war es dem DFB nicht gelungen einen echten Stürmer in der Nationalmannschaft zu etablieren.

Der jubelnde Miroslav Klose im Porträt
Durch seinen 16. Treffer bei einer WM, hier sein 2:0 gegen Brasilien 2014, ist Miro Klose der erfolgreichste WM-Torjäger aller ZeitenBild: Fernando Bizerra Jr./dpa/picture alliance

Auch in der Bundesliga zeigte sich das Problem, auch dort waren echte Stürmer Mangelware. Zwar probierte Hansi Flick, der Löw als Bundestrainer ersetzte, immer wieder neue Spieler in der Offensive aus, doch eine Lösung fand auch er nicht.

Zudem wackelte die deutsche Defensive immer wieder und machte es vermeintlich kleinen Teams einfach, Tore gegen Nationaltorwart Manuel Neuer zu erzielen. Bei der WM in Katar 2022 musste das DFB-Team in drei Spielen fünf Gegentore hinnehmen - die Gegner hießen Costa Rica, Japan und Spanien.

Im Erfolg passieren Fehler

Viele Gründe für das zweite Vorrunden-Aus bei einer Weltmeisterschaft in Folge sind im Jahr 2014 zu finden. Durch das historische 7:1-Spiel gegen Brasilien und den Gewinn des WM-Titels ließen sich die Verantwortlichen im Verband blenden. Aus einem guten und soliden Team, das mit Kampf und Einsatzwillen Weltmeister wurde, wurde eine Übermannschaft gemacht. Und im Erfolg werden bekanntlich die größten Fehler gemacht.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft schleicht niedergeschlagen vom Platz
Bei der WM in Katar 2022 erlebt das DFB-Team einen erneuten Tiefpunkt und scheitert in der GruppenphaseBild: Markus Gilliar/GES/picture alliance

Deutschland fehlte es auch im WM-Jahr 2014 schon an herausragenden Ausnahmespielern, doch mit Mentalität und Teamgeist konnte damals noch vieles wett gemacht werden. Ein weiteres Problem lag auch im Training, bei dem in den vergangenen Jahren bereits im Jugendbereich mehr auf taktische Feinheiten als auf Spielfreude und individuelle Fähigkeiten geachtet wurde. Auch deshalb fehlte es der Nationalmannschaft in den Jahren nach der WM 2014 an neuen Top-Spielern.

DFB zieht die Reißleine und wird belohnt

Das Turnier in Katar war der Tiefpunkt einer langen Talfahrt. Der DFB war am Ende angekommen und reagierte. Hansi Flicks Nachfolger Julian Nagelsmann änderte einige Dinge und setzte bei der Zusammenstellung seiner Mannschaft klar auf das Leistungsprinzip. Er hat für die Heim-EM zwei echte Stürmer mit Niclas Füllkrug und Deniz Undav im Kader und in der Abwehr die aktuell wohl besten beiden Innenverteidiger im Team: Jonathan Tah und Antonio Rüdiger.

Zudem sind Spieler wie Robert Andrich, Undav oder eben Füllkrug im Kader, die kein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen haben und eine andere spielerische und menschliche Note mitbringen. Jamal Musiala, Kai Havertz, Florian Wirtz und Rückkehrer Toni Kroos können die Unterschiedspieler sein, die dem DFB-Team in den letzten Jahren gefehlt haben.

Auch wenn es viele Jahre und einige schmerzhafte Turniererfahrungen gedauert hat, so hat der DFB mit seinen letzten Entscheidungen vieles richtig gemacht und die Nationalmannschaft wieder in die Erfolgspur gebracht. Wie beim 7:1 vor zehn Jahren begeistert das DFB-Team wieder die Menschen und muss sich aktuell vor keiner anderen Mannschaft verstecken.