Der deutsche Tanker fährt stabil
28. Dezember 2015Seit 40 Jahren befragt das IW Köln am Jahresende die Wirtschaftsverbände zu ihrer Lageeinschätzung, Produktion, Investitionen und Beschäftigung für das kommende Jahr. Inzwischen sind es 46 Branchenverbände, die an der Umfrage teilnehmen. "Diese Branchen decken in der Tat die deutsche Wirtschaft in ihrer Vielfalt ab, und die Jahresvergleichbarkeit ist dadurch auch gegeben", sagt IW-Direktor Michael Hüther. Wenn man das neue Ergebnis mit denen der beiden Vorjahre vergleiche, dann ergebe sich das Bild eines Tankers, der den Kurs halte. "Ohne große zusätzliche Dynamik, aber auch ohne Dynamikverluste", so Hüther gegenüber der DW.
Also ein Bild des eingeschränkten Optimismus. So attestieren zwölf Verbände eine bessere Stimmung in ihrer Branche, 13 eine schlechtere; auch bei der Beschäftigung hält sich die Waage: Zwölf Verbände rechnen mit mehr Beschäftigten, ebenfalls zwölf mit weniger Mitarbeitern; 17 Verbände sehen bei den Investitionen für 2016 Luft nach oben, nur fünf erwarten weniger Spielraum. Besonders schwer haben es die Banken, "weil sie durch regulatorische Auflagen enorme Kosten haben. Auf der anderen Seite lassen die niedrigen Zinsen die Erträge schwinden", meint Hüther.
Mehr Produktion
Bei der Einschätzung der Produktion dominiert die positive Sicht: 29 Branchen gehen von einer höheren Produktion in ihren Unternehmen aus, nur sieben rechnen mit einem Rückgang. Handwerk, Einzelhandel und Gastgewerbe profitieren besonders von der starken Inlandsnachfrage: "Die Leute haben Kaufkraft, die Arbeitsplätze sind sicher. Die Inflation ist nahe Null. Da gibt man auch gerne das Geld aus", sagt der IW-Direktor.
Bei den Exportbranchen sei das Bild gemischt. Die Chemie- und Elektroindustrie blieben stabil, aber ohne große Impulse. Außerordentlich optimistisch sei - VW-Skandal hin, Dieselgate her - die Automobilindustrie. Hüther erklärt den Grund: "Im Jahr 2015 war es das erste Mal seit zehn Jahren, dass der Zuwachs der Inlandsproduktion stärker war als der Zuwachs der Auslandsproduktion. Das zeigt, dass die starke Inlandsnachfrage durchaus auch für Exportbranchen bedeutsam ist, weil sie auch den heimischen Absatzmarkt wieder mit bedienen können."
Integration der Flüchtlinge kostet Zeit und Geld
Die Bauwirtschaft wird vom Immobilienboom befeuert, leidet aber bereits unter dem Fachkräftemangel. Die Flüchtlinge würden da keine schnelle Abhilfe schaffen, meint Hüther. Denn erst wenn Flüchtlinge als solche anerkannt würden, stünden sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Dann müsse erst die Sprachkompetenz erworben und eine Ausbildung abgeschlossen werden. Das könne vier, fünf Jahre dauern: "Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Die Integration ist einfach zeitintensiv, und sie kostet."
Die deutsche Wirtschaft leiste einen großen Beitrag durch Praktikumsplätze und Tests auf Beschäftigungsfähigkeit, gleichzeitig seien die Unternehmen durch die Unwägbarkeiten in der Flüchtlingskrise verunsichert, so der Kölner Ökonom. Ihre größte Sorge gelte aber den Schwellenländern, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch ihre Dynamik die Expansion der deutschen Wirtschaft mit ermöglicht hätten. Doch nun stünden Fragezeichen im Raum, vor allem im Falle China: "Wie gelingt der Umbau des Entwicklungsmodells einer so großen Volkswirtschaft? Indien hat weiterhin erhebliche Probleme. Russland gerät unter doppelten Druck: durch den niedrigen Ölpreis und die Sanktionen." Auch Brasilien und die Türkei hätten schwere Zeiten vor sich.
Die neuen Sorgen um die Zukunft der Schwellenländer, um die Integration der Flüchtlinge und die jüngsten Terrorrisiken haben die alten um Griechenland und die Ukraine ersetzt. Anders ausgedrückt: Die deutsche Wirtschaft bleibt weiterhin robust, nur die Krisenherde außerhalb des Landes wechseln sich ab. Das sieht auch IW-Chef Michael Hüther so: "Man ist beim Gesamtbild in der Tat geneigt, zu sagen: Dieser Tanker fährt irgendwie. Er ist sehr robust, hat seine Fahrlinie und seine Grundgeschwindigkeit. Was rund um die Weltmeere passiert, wird zwar mit Sorgen zur Kenntnis genommen, aber man kann damit umgehen."