Der Blick auf das Wesentliche: Der Regisseur Reinhard Hauff
Das Münchner Filmfest ehrt in diesem Jahr den deutschen Regisseur Reinhard Hauff mit einer Hommage. Hauff gehörte einst zu den wichtigsten politischen Regisseuren - einige seiner Stoffe sind heute wieder aktuell.
Politisch engagiert: Reinhard Hauff
Als den "unbekanntesten aller bekannten Regisseure des Neuen Deutschen Films" stellt ihn das Münchner Filmfest vor - und hat damit nicht ganz Unrecht. Anders als etwa Volker Schlöndorff, Wim Wenders oder Werner Herzog dreht Hauff schon lange keine Filme mehr. Doch in den 1970er und 1980er Jahren war er einer der besten Regisseure des deutschen Kinos - und zudem einer der engagiertesten.
Blick auf Außenseiter
Nach seinem Anfang im Bereich TV-Unterhaltung begann Hauff ab 1970 Filme für die große Leinwand zu drehen. Sein Thema: der Aufstand des Individuums - sowohl im Privaten in der Familie als auch in der Gesellschaft oder im Staat. "Die Verrohung des Franz Blum" (1974) zeigte einen Versicherungsangestellten, der aus bürgerlichen Bahnen ausbricht. In der Hauptrolle: der junge Jürgen Prochnow.
Geschlagene Kreaturen
"Die Verrohung des Franz Blum" war beispielhaft für das spätere Werk des Regisseurs. Wie in dieser Szene, die Schauspieler Burkhard Driest als Schwerverbrecher im Gefängnis zeigt, blickten Hauffs Filme oft auf Männer am Boden, geschlagen und verfolgt. Dazu waren seine Filme sehr authentisch. Für "Franz Blum" hatte Driest das Drehbuch verfasst. Er saß selber über drei Jahre im Zuchthaus.
Zwischen Film und Alltag
Ein weiteres Merkmal der Filme dieses Regisseurs war die Arbeit mit Laiendarstellern. Im Film "Der Hauptdarsteller" von 1977 wurde das auch zum Thema. Der Bauernjunge Pepe (Michael Schweiger, links neben Mario Adorf) wird von einer Filmcrew entdeckt und engagiert. Nachdem die Dreharbeiten zu Ende sind, kommt der Junge nicht mehr mit dem Alltag zurecht.
Der deutsche heiße Herbst
Im Jahr darauf, die Bundesrepublik stand unter dem Schock des Links-Terrorismus, drehte Hauff "Messer im Kopf": Bei einem Polizeieinsatz in einem Jugendzentrum wird ein Wissenschaftler irrtümlich angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Der Mann (Bruno Ganz) findet nur mühsam ins Leben zurück. Hauff gelang es damals, die überhitzte gesellschaftliche Atmosphäre in der BRD widerzuspiegeln.
Ohnmacht des Individuums
"Messer im Kopf" wurde Ende der 1970er Jahre zu einem großen Erfolg im deutschen Film und etablierte Reinhard Hauff als wichtigen deutschen Kinoregisseur. Wie der von Bruno Ganz gespielte Wissenschaftler standen die Charaktere in Hauffs Filmen oft vor schwerwiegenden Entscheidungen: Wie sollen sie sich einfinden in die Gesellschaft - zwischen Widerstand und Anpassung.
Deutschlandtanz, Teil 1
1982 drehte Reinhard Hauff den Film "Der Mann auf der Mauer" - und nahm die deutsch-deutsche Teilung unter die Lupe. Der Film mit Hauptdarsteller Marius Müller-Westernhagen entstand sieben Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer. Sieht man ihn heute wieder, erscheint die absurde Tragikomödie in einem anderen Licht. Damals kam der Film bei der Presse schlecht weg - heute wirkt er fast "seherisch".
Blick in die gesamtdeutsche Zukunft
"Der Mann auf der Mauer" ist heute in mehrfacher Hinsicht eine bemerkenswerte Wiederentdeckung. Zum einen zeichnet er ein präzises Bild der Stadt Berlin in den frühen 1980er Jahren: So kennt man die ehemals geteilte Stadt heute kaum noch. Und zum anderen zeigt "Der Mann auf der Mauer", welch großartiger Schauspieler der junge Marius Müller-Westernhagen damals war.
Deutschland hinter Gittern
1986, knapp zehn Jahre nach dem deutschen heißen Herbst, wagte sich Hauff an einen Spielfilm über den spektakulären Prozess gegen die Hauptangeklagten der RAF in Stuttgart Stammheim. Der kühl und nüchtern inszenierte Gerichtsfilm spaltete das Publikum - und auch die Berlinale-Jury. "Stammheim" gewann den Goldenen Bären - trotz des öffentlichen Protests der Jury-Vorsitzenden Gina Lollobrigida.
Justiz, Macht und Strafverfolgung
Reinhard Hauff gelang es in "Stammheim" ein hochbrisantes, aktuelles Thema auf die Leinwand zu bringen. Der Regisseur packte das Publikum trotz des kammerspielähnlichen Settings. Gleichzeitig war "Stammheim" ein Film, der zur politischen Diskussion anregte. Hauff war auf dem Höhepunkt seiner Karriere - und doch auch umstritten wegen seiner politisch geprägten Filme.
Deutschlandtanz, Teil 2
Zwei Jahre später wirkte es dann wie eine Art Erholung, als sich Hauff mit seinem nächsten Film etwas völlig anderem zuwandte: der Musicalverfilmung "Linie 1". Zugleich führte der Film, der nach dem Bühnenstück von Volker Ludwig entstand, den Regisseur auch wieder zu seinen Wurzeln zurück. Hauff hatte beim Fernsehen begonnen und sich vornehmlich mit Unterhaltungsformaten beschäftigt.
Multikulti in Berlin
Wie "Der Mann auf der Mauer" lässt sich "Linie 1" heute auch als eine Art Dokumentation aus dem Berlin der Vorwendezeit betrachten. Zwar ist der Film ein ästhetisch überhöhtes Musical, doch Typenarsenal, Mode, Szenerie und Ausstattung des Films zeichneten ein treffliches Zeitbild der damals noch geteilten Stadt.
Nicht blauäugig: Der Filmemacher Reinhard Hauff
Im Wendejahr 1989 drehte der Regisseur, der sich während seiner Karriere so oft mit der Historie seiner Heimat auseinandersetzte, in Südamerika. In "Blauäugig" erzählt Hauff die Geschichte eines deutschen Geschäftsmannes vor dem Hintergrund der Militärdiktatur in Argentinien. Die deutsche NS-Vergangenheit und die Flucht vieler Nazis nach Südamerika wird mit der aktuellen Geschichte verzahnt.
Blick über die Grenzen
Mit "Blauäugig" gelang Hauff noch einmal ein Film, der all die Fähigkeiten des Regisseurs zum Tragen brachte: eine Politstory zu inszenieren, die größere Publikumsschichten anspricht, und trotzdem tiefschürfend historische, gesellschaftliche und soziale Themen auf die Leinwand bringt.