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Den Nahostkonflikt im Fokus

Das Gespräch führte Soraia Vilela14. Februar 2003

Der israelische Regisseur Udi Aloni sprach mit DW-WORLD über seinen Film "Local Angel", der auf der Berlinale 2003 gezeigt wurde.

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Filmszene aus "Local Angel"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Herr Aloni, welche Reaktionen hat Ihr Film in Israel hervorgerufen? Vertreten Sie mit Ihrem Film eine Außenseiterstellung? Oder wird der Film von den Medien weitestgehend ignoriert – was viele Leute glauben?

Meine Position in Israel ist im Moment tatsächlich die einer Minderheit. In der Vergangenheit gab es vielleicht mehr Menschen, die meiner Ansicht waren. Ich denke, das war es auch, was mich dazu brachte, diesen Film zu machen: zu versuchen, mehr über das Fundamentale in unserem Denken zu erfahren. Meinem Gefühl nach hat die Friedensbewegung in Israel keine starke Basis, da sie zwar viel über Frieden spricht, nicht aber über Gerechtigkeit oder über eine zivile Gesellschaft. Die politische Linke hat keine starke Basis.

Mein Film wurde im Fernsehen auf dem Dokumentationskanal gezeigt. Es stellte sich heraus, dass er eine der höchsten Quoten erreichte, die der Kanal jemals aufweisen konnte. Die weiße jüdische Linke benutzt Personen wie mich gerne, um zu beweisen, wie schön die Demokratie in Israel ist.

Nur dafür?

Ich denke schon. Denn als die Palästinenser den Film "Dschenin, Dschenin" herausbrachten – ein Film mit einer Aussage, die weit weniger radikal ist als die meines Films – wurde dieser Film in Israel zensiert. Menschen demonstrierten vor der Cinemathek. Das ist nie vorgekommen, wenn ich meinen Film gezeigt habe. Wenn Palästinenser sprechen, wird ihnen auf keinen Fall zugehört.

Aber jetzt beginnt es sich zu ändern. Der rechte Flügel hat einen Machtzuwachs erhalten und sie sind jetzt auch bereit, jüdische Linksorientierte zu verfolgen. Bis vor kurzem haben viele Menschen gedacht, dass mein Film ein berechtigter Teil des gesellschaftlichen Diskurses sei. Mir wurde vorgeworfen: "Du verstehst überhaupt nichts – warum hast du dich mit Arafat getroffen?" Was ich aber interessant fand, war, dass jeder begeistert von der palästinensischen Pop-Gruppe aus meinem Film war. Sogar Anhänger des rechten Flügels.

Sie haben in Ihrem Film zwei verschiedene Blickwinkel: Auf der einen Seite haben Sie die Rapper mit einer aggressiven und harten Musik. Die israelischen Siedler und die Armee werden ebenfalls wegen ihrer Aggressivität erwähnt. Das sind männliche Positionen. Auf der anderen Seite stellen Sie die Frauen dar. Sie sind sehr stark und in der Lage, mit ihren Argumenten zu überzeugen. Stimmen Sie zu, dass Sie in Ihrem Film zwischen der maskulinen, aggressiven Haltung und der weiblichen, reflektierten Position unterscheiden?

Diese Beschreibung der Geschlechter, die Sie vornehmen, ist sehr interessant. Ich habe diese Frauen, die sehr machtvoll sind, dargestellt. Aber die Rapper, denke ich, gehören auch zu der weiblichen Stimme. Sie sind zwar sehr aggressiv, wählen ihre Position aber gegen Gewalt. Der Fehler, den Leute machen, wenn sie über die Geschlechter sprechen, ist, dass sie in Gegensätzen denken. Und das, was Sie eben beschrieben haben, sind keine Gegensätze, sondern Unterschiede, die aber trotzdem aus einer Gleichheit kommen. Genauso mag ich, dass der Film eine andere Art von Mutterschaft beschreibt. Die Mutterschaft entspricht nicht dem traditionellen Bild, in dem der Mann so bleibt, wie er ist und die Mutter die Opferrolle übernimmt.

Die Rapper sind in einer seltsamen Art und Weise nicht so machohaft und aggressiv, wie wir Rapper kennen. Das Schöne hier ist, dass die Rapper zum Ursprung des Hip Hop vordringen. Sie sind sehr sentimental und sie lehnen die Macho-Position ab.

Ich würde also keine Geschlechtergrenze, wie von Ihnen angesprochen, ziehen. In Bezug auf die Geschlechterfrage gibt es einen Gedanken, den ich in meinem Film kritisieren wollte: Und zwar dieses kühle Rollenverständnis der Israelis in Tel Aviv, diesen übergreifenden Geschlechterbegriff, so kalt, so westlich ... Das Bild der Frauen ist sehr irreführend, weil die Frauen in Tel Aviv dieses feminine Aussehen haben und dann zur Armee gehen und das Gegenteil ausüben, dieses Macho-Verhalten an den Tag legen. Wenn wir über das Geschlechterverhältnis reden, ist es interessant zu beobachten, inwieweit in der israelischen Gesellschaft tatsächlich andere Regeln gelten.

Sie haben Philosophen und Intellektuelle dazu eingeladen, in Ihrem Film zu sprechen. Warum haben Sie nicht auch "normale" Menschen ausgewählt, ihre Meinung zu sagen?

Jeder macht seinen eigenen Film. Man kann nicht alles machen. Ich kenne viele Dokumentationen, die "normale" Personen zeigen, was sie denken, was sie sagen. Aber ich wollte zur Essenz unserer Probleme vordringen, daher brauchte ich Experten, die zu verstehen helfen, was tatsächlich vor sich geht. Es ist ein Film über die Situation in Israel und nicht ein Film, der die Situation beschreibt.

Nach dem Screening Ihres Filmes auf der Berlinale haben Sie die Deutschen dazu aufgerufen, Sharon zu kritisieren und zu verurteilen. In Deutschland finden Sie aber auch einen anderen Blickwinkel, nämlich, dass die Deutschen es sich nicht erlauben können, eben das zu tun. Was denken Sie über diese Art von Tabu?

Ich lade jeden Deutschen, der das jüdische Volk wirklich liebt, dazu ein, Sharon zu verurteilen. Ich möchte, dass niemand das mit antisemitischen Gefühlen tut. Aber ich möchte auch, dass niemand, der das jüdische Volk wirklich liebt, den Mund halten muss – aus Angst vor Antisemitismus. Ich habe diesen Punkt sehr klar gemacht: Jeder Deutsche, der genügend Verantwortung gegenüber den Juden fühlt, sollte Sharon verurteilen und die Friedensbewegung unterstützen. Das sollte kein Tabu bleiben, weil ein Tabu in Deutschland in diesem Falle ein faschistisches Regime unterstützen würde. Und niemand sollte ein faschistisches Regime unterstützen – aus keinem Grund auf der Welt.