Demo gegen Putin: Russlands Opposition geeint in Berlin
16. November 2024"Nein zu Putin! Nein zum Krieg! Freiheit für die politischen Gefangenen!" Mit diesem Dreiklang wollen russische Oppositionelle an diesem Sonntag in Berlin demonstrieren. Geplant ist ein Umzug bis zur russischen Botschaft nahe des Brandenburger Tors. Aufgerufen haben die prominenten Oppositionspolitiker Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa, die im August bei dem Aufsehen erregenden Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen freikamen. Mit dabei ist auch Julia Nawalnaja, die Witwe des in Haft verstobenen Kreml-Kritikers und Oppositionsführers Alexej Nawalny. Seit seinem Tod im Februar sucht sie zunehmend die Öffentlichkeit, um die Ziele ihres Mannes weiter zu verfolgen.
Streit um die russische Flagge
Wer in Russland gegen den Krieg in der Ukraine protestiert, riskiert lange Haftstrafen. Demos gab es nur zu Beginn der großen Invasion 2022, seitdem wurden die Gesetze drastisch verschärft. Im Ausland lebende oppositionelle Russen haben dieses Problem zwar nicht, werden aber mit dem Vorwurf konfrontiert, kaum sichtbar zu sein. Vor allem ukrainische Aktivisten, die regelmäßig in Europa und vor allem in Deutschland Flagge gegen den russischen Krieg zeigen, fragen sich: Wo bleiben die russischen Kriegsgegner?
Apropos, Flagge: Schon im Vorfeld der Demo gab es Streit in sozialen Netzwerken, ob man mit der russischen Trikolore durch Berlin laufen könne. Die Ankündigung für den Protestmarsch zeigte Bilder einer oppositionellen Demo in Moskau gegen die Krim-Annexion aus dem Jahr 2014 - damals mit russischen und ukrainischen Flaggen. Kritiker meinen, durch den brutalen Krieg seien die russischen Farben inzwischen diskreditiert. "Unter dieser Flagge marschieren Kriegsverbrecher und Mittäter", sagt Ksenia Larina, eine Journalistin, die Russland noch vor dem Angriffskrieg verlassen hat. Der Politologe Alexander Kynew widerspricht: Wer zusätzliche Bedingungen aufstelle, seien es Flaggen, Musik oder Kleidung, trage dazu bei, dass weniger Leute kommen. Das führe zu "Spaltungen", so Kynew.
Ein Teil der russischen Opposition verwendet eine weiß-blau-weiße Flagge, um sich von Putins Russland sichtbar zu unterscheiden. Für Ilja Jaschin, einen der Veranstalter der Berliner Demo, gibt es keine Vorschriften: "Wir haben das (Thema Flagge) ausgeklammert, das ist nicht wichtig." Wladimir Putin habe keine Rechte auf die russische Trikolore, so Jaschin im DW-Gespräch.
Zwei Lager in der russischen Exil-Opposition
Die Flagge ist nur ein Beispiel für die zerstrittene russische Exil-Opposition, die sich auch hinter unterschiedliche Führungsfiguren schart. Eine Gruppe unterstützt Julia Nawalnaja und das bekannteste Projekt ihres Mannes: die Stiftung gegen Korruption (FBK). Vor allem mit aufwendigen Dokus sollen Bürger in Russland über YouTube und andere soziale Netzwerke erreicht werden.
Andere stehen zum Kreis um Michail Chodorkowskij, den früheren Ölbaron und prominenten Kreml-Kritiker, der zehn Jahre in Lagerhaft verbracht hatte. Beide Gruppen konkurrieren um die Führungsrolle und organisieren auch separate Veranstaltungen. So fand ein Forum von Nawalnaja Anfang November im litauischen Vilnius statt, gleichzeitig mit der Tagung des "Anti-Kriegs-Komitees" in Berlin, bei dem auch Chodorkowskij Mitglied ist.
Iranische Opposition in Berlin als Vorbild
Ob der Protest in Berlin die alten Streitereien vergessen lässt? Jaschin hofft es. "Die Lage in der Opposition ist nicht einfach. Ich rufe nicht einfach so zur Konsolidierung auf, da gibt es Defizite. Es gibt viele Konflikte in der Opposition, der Konkurrenzkampf wird nicht immer anständig geführt", räumt der Oppositionspolitiker ein. "Unklar ist jedoch, warum."
Man dürfe den Streit und die Uneinigkeit nicht überbewerten, meint der russische Oppositionelle Dmitri Gudkow: "Es gibt keinen Raum für einen realen Machtkampf." Sobald etwas auf dem Spiel stehen würde, würden sich die politischen Gegner der russischen Opposition "an einem runden Tisch" versammeln, sagt Gudkow der DW.
Chodorkowskij hat den Aufmarsch in einem Bild-Interview zwar unterstützt, beklagte aber die aus seiner Sicht unzureichenden Absprachen. Solchen Streit hätte Jaschin gern vermieden, vielmehr solle die Demo in Berlin auch Kriegsgegnern in Russland eine Stimme geben, die "mundtot gemacht werden". Deshalb habe man sich auf unumstrittene Kernforderungen geeinigt. Eine davon lautet, den russischen Präsidenten Putin vor Gericht zu stellen.
Wie es weitergeht mit der russischen Opposition, bleibt offen. "Es scheint mir, dass niemand einen Plan hat", sagte Julia Nawalnaja in einem Interview für den TV-Sender "Doschd" (Regen). "Hätte jemand einen Plan, hätten wir ihn alle akzeptiert und umgesetzt." Man solle jeden Tag "etwas Nützliches" tun.
"Wir orientieren uns an den Erfahrungen der iranischen Opposition. Sie hatte unter ähnlichen Bedingungen in Berlin Demos mit 50.000 Teilnehmern veranstaltet", sagt Jaschin. Seitdem werde sie "als politische Kraft" wahrgenommen.