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PolitikAsien

Decoding China: Wie Peking die Taiwan-Wahl beeinflussen will

Dang Yuan
11. Januar 2024

Die Regierung in Peking will die Präsidentschaftswahlen in Taiwan in ihre Richtung lenken. Die Methoden: Kriegsdrohung, Handelsbeschränkungen und pragmatischer Schulterschluss mit der Opposition.

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Taiwan | Präsidentschaftswahlen
Am Samstag (13.01.24) wählt Taiwan einen neuen PräsidentenBild: Ichiro Ohara/Yomiuri Shimbun/AP Photo/picture alliance

Am Dienstagnachmittag um 15:14 Uhr schlugen alle Handys auf Taiwan Alarm, viermal hintereinander. "Luftangriffsalarm! Rakete überfliegt den Raum Taiwan, Achtung", ("Air Raid Alert! Missile flyover Taiwan space, be aware".) warnte das taiwanesische Verteidigungsministerium auf Englisch.

Greift das Festland die in dessen Augen abtrünnige Provinz Taiwan vier Tage vor den Präsidentschaftswahlen an? Die Warnmeldung erreichte auch zahlreiche ausländische Journalisten, unter anderem den DW-Reporter Richard Walker - bei einem Gespräch mit Taiwans Außenminister Joseph Wu. Doch er konnte alle beruhigen.

Denn im chinesischsprachigen Text wurde die Sachlage klarer beschrieben: "China hat um 15:04 Uhr einen Satelliten gestartet, der den südlichen Luftraum (von Taiwan) überflogen hat. Informieren Sie die örtliche Polizei und Feuerwehr, wenn unbekannte Flugkörper vom Himmel fallen."

Allerdings verstand auch Wu anfangs die Warnmeldung in Chinesisch falsch. "Ein Satellit wurde in Richtung Vietnam geschossen", sagte er vor laufender Kamera. "Kein Grund zur Panik." Der Fehler war auf einen unglücklichen Zeilenumbruch in der SMS zurückzuführen. Doch seine Nervosität über ein Konfliktszenario mit dem Festland war spürbar, auch als er sich berichtigen musste.

China hat eigenen Angaben zufolge einen Satelliten für astronomische Beobachtungen in den Weltraum geschossen. Er soll zum Beispiel die Gravitationswellen und die Röntgenstrahlen bei Entstehung oder Fusionen von Schwarzlöchern oder den ersten Lichtstrahl einer Supernova-Explosion einfangen. Und Peking hatte den Start schon Wochen vorher angekündigt.

Sind die Behörden auf Taiwan vor den Wahlen besonders nervös? Oder handeln sie gar taktisch und machen Panik in der Öffentlichkeit als Anschub für ihren Wahlkampf?

Taiwan | Präsidentschaftswahlen
KMT-Spitzenkandidat Hou Yu-ilBild: Chiang Ying-ying/AP Photo/picture alliance

Peking liebäugelt mit KMT-Präsident

Der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Peking wäre es lieber, wenn der Spitzenkandidat der oppositionellen Nationalen Volkspartei KMT Hou Yu-ih die Wahl auf Taiwan gewinnen würde. Der Kandidat der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei DPP strebt nämlich offensichtlich einen politischen Kurs in Richtung der Unabhängigkeit Taiwans an. William Lai Ching-te, aktuell Vizepräsident der Republik China, bezeichnete sich als "politischen Beamten, der sich für die Unabhängigkeit Taiwans einsetzt". Damit wäre die rote Linie für Peking überschritten. 

"Die KPCh versucht einen Präsidenten Lai zu verhindern", sagt die Journalistin Angela Köckritz, die lange Jahre auf Taiwan gelebt und auch beim Berliner China-Institut Merics geforscht hat. "Aber das gesamtgesellschaftliche Umfeld hat sich gravierend verändert. Selbst ein KMT-Präsident würde nicht das tun können, was der KPCh genehm ist."

Der dritte Kandidat Ko Wen-je von der jungen Taiwanesischen Volkspartei TPP erhält nach den jüngsten Umfragen als Alternative knapp 20 Prozent Unterstützung. Praktisch hat er aber keine Chance auf das Präsidentenamt. In Taiwan reicht bei den Wahlen eine einfache Mehrheit in der ersten Runde.

Taiwan | Präsidentschaftswahlen
DPP-Spitzenkandidat William Lai Ching-teBild: Chiang Ying-ying/AP Photo/picture alliance

Zuckerbrot und Peitsche

Vor diesem Hintergrund wird der Staatspräsident der Volksrepublik China, Xi Jinping, am kommenden Samstag, den 13. Januar, gespannt auf das Briefing zur ersten Hochrechnung warten, wenn die Wahllokale auf Taiwan um 16 Uhr Ortszeit (9 Uhr MEZ) geschlossen sein werden. Xi hat während seiner Amtszeit die Wiedervereinigung auf seiner politische Agenda gesetzt. Die Wiedervereinigung sei  "eine historische Verpflichtung", betonte er auch kürzlich in seinem Neujahrsgrußwort.

Seitdem die Taiwaner im Jahr 1996 erstmals direkt einen Präsidenten direkt gewählt haben, versuche die KPCh Einfluss auf die taiwanische Öffentlichkeit, vor allem aber die taiwanischen Wahlen zu nehmen. “Sie will den politischen Prozess in Taiwan in ihrem Sinne steuern", sagt Journalistin Köckritz im DW-Interview.

Dabei sind die Pekinger Methoden denkbar einfach: Kriegsdrohung, Handelsboykott und Tuchfühlung mit der KMT.

Mit der KMT pflegt die KPCh eine pragmatische Beziehung. Denn beide Parteien wenden sich gegen ein unabhängiges Taiwan und wollen auf jeden Fall nur "Ein China", obgleich KPCh dabei die Volksrepublik China (PRC) und die KMT die Republik China (ROC) im Sinne haben. Ein Höhepunkt diese pragmatischen Schulterschlusses war das Treffen zwischen Chinas Präsident Xi und dem damaligen Präsidenten der Republik China Ma Ying-jeou im November 2015 in Singapur. Diese Begegnung wurde allgemein als Unterstützung des Festland-Chinas für die KMT bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2016 gewertet. Doch das half nicht. KMT verlor die Wahl. Die DPP-Spitzenkandidatin Tsai Ing-wen gewann.

Singapur Treffen Xi und Ma Ying-jeou Präsident Taiwan 2015
Historische Begegung zwischen KPCh und KMT: Ma Ying-jeou (i.) und Xi Jinping am 7.11.2015 in SingapurBild: ROSLAN RAHMAN/AFP

Aber auch im letzten Sommer besuchte Ex-Präsident und Ex-KMT-Chef Ma Ying-jeou - nun als Privatperson - das Festland. Der Vizechef der KMT, Andrew Hsia, war 2023 dreimal auf dem Festland zu Besuch, zuletzt vier Wochen vor den Wahlen. Er traf Geschäftsleute aus Taiwan, aber auch hochrangige Kader der KPCh wie Wang Huning, ständiges Mitglied im Politbüro und Nummer vier in der Pekinger Macht-Hierarchie.

Der eigentliche KMT-Spitzenkandidat Hou You-il hält formell Abstand zum Festland. Seine Friedenspolitik fasst Hou mit 3-'D's zusammen: Deterrence (zu Deutsch Abschreckung), Dialog und Deeskalation. Das sei die politische Kontinuität der KMT, sagte auch Ex-Präsident Ma im Exklusivinterview mit der DW. "Im Grunde genommen hat die neue 3-"D"-Strategie von Hou die gleichen Inhalte wie meine Standpunkte: Keine Unabhängigkeit, keine Wiedervereinigung und keine Waffengewalt."

Taiwan Taipeh | DW Interview mit Ex-Präsident Ma Ying-jeou
Taiwans Ex-Präsident Ma Ying-jeou im Exklusivinterview mit DW-Reportern Richard Walker und Tsou Tzung-han (v.l.n.r.)Bild: DW

Abbau von Handelserleichterungen

Trotz der politischen Feindseligkeiten während der achtjährigen Präsidentschaft von Tsai Ing-wen (2016-2024) bleiben beide Volkswirtschaften eng miteinander verflochten. Allerdings erschweren beide Regierungen den Ausbau bestehender wirtschaftlicher Zusammenarbeit.

Unter der vorherigen Präsidentschaft von Ma Ying-jeou von der KMT hatten Peking und Taipeh, beide als Mitglied der Welthandelsorganisation WTO, noch das Rahmenabkommen ECFA zum Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen unterzeichnet. Bei einer Vielzahl von taiwanesischen Produkten werden beim Export nach China ein ermäßigter oder gar kein Zoll erhoben.

Die gegenwärtige DPP-Regierung habe aber mit einem Dekret die Ausfuhr von 2.509 Waren ans Festland eingeschränkt, stellte das Pekinger Handelsministerium kurz vor Weihnachten nach monatelangen Untersuchungen fest. Das seien "Handelsbarrieren", heißt es im Fazit. Sie könnten Gegenmaßnahmen legitimieren, die dann die Exportgeschäfte von Taiwan maßgeblich beeinträchtigen. Nach Angaben des Statistischen Amts von Peking belief sich 2022 der taiwanesische Export an China, Macau und Hongkong auf 238 Milliarden US-Dollar. Das war das Doppelte von deutschen Exporten nach China im selben Zeitraum.

In Pekings Fadenkreuz: Taiwans bedrohte Inseln

Zu Neujahr 2024 setzt das Festland deswegen die Zollbefreiung und Zollermäßigung für taiwanesischen Import von zwölf Produkten aus, darunter vor allem Chemikalien. Vier Tage vor den Wahlen hieß es am Dienstag (09.01.24) aus dem Pekinger Handelsministerium, das Festland prüfe derzeit, die Zollbefreiung auch von weiteren Produkten aus Taiwan auszusetzen, so für Erzeugnisse aus der Fischerei, für Textilien und Zubehör für Automobile. Das würde eine breitere Wählerschaft der Mittelschicht in den betroffenen Branchen treffen und sie dazu zu bewegen, über Ihr Abstimmverhalten nachzudenken.

"Falls die DPP ihre diskriminierenden Handelsbarrieren gegenüber Produkten aus dem Festland nicht abbaut und keine Reue zeigt, könnte das ECFA als Ganzes ausgesetzt werden", sagt Li Baoming, Wirtschaftsexperte an der Pekinger Tsinghua-Universität, "es ist nicht ausgeschlossen, dass neuer Handelsstreit entsteht. Schuld daran ist allein die Haltung der Regierung auf Taiwan."

Taiwan: Militär und Zivilschutz proben für den Ernstfall

Drohkulisse mit Flugzeugen und Fake News

Täglich veröffentlicht das Verteidigungsministerium der Republik China in Taipeh eine Statistik über die Militäraktivitäten der Volksbefreiungsarmee um Taiwan herum auf X, ehemals Twitter. Seit Anfang der Woche bis Donnerstag (11.01.24) wurden 33 Militärflugzeuge und 13 Kriegsschiffe registriert. Seit Kurzem registriert das Ministerium auch Ballons, die in den taiwanesischen Luftraum eindringen. Bis Donnerstag wurden insgesamt acht gezählt.

 

"Wenn ein Krieg in der Taiwanstraße ausbrechen und die USA hineinziehen würde, wäre es katastrophal. Wir müssen alles tun, um einen Krieg zu vermeiden", sagt Ex-Präsident Ma. Die RAND Corporation, eine Beratungsfirma für die US-Streitkräfte, habe einen hypothetischen Krieg zwischen Peking, Taipeh und Washington simuliert. "Alle 18 Mal haben die USA den hypothetischen Krieg verloren", betont Ma.

Beide große Parteien auf Taiwan haben die Gefahr eines Krieges mit dem Festland zum Wahlkampfthema gemacht, um neue Wähler und Nicht-Wähler für sich zu gewinnen. Die DPP stellt sich klar gegen Kriegsdrohungen durch das Festland. Die KMT dagegen macht dagegen die Festlandspolitik der DPP für eine steigende Kriegsgefahr verantwortlich.

Infografik Militärausgaben im Pazifik DE

Gleichzeitig gibt es um Taiwan bereits einen Krieg - in der virtuellen Welt. Im Netz verbreiten sich zahlreiche Fake News politischer Natur, wie zum Beispiel über die finanziellen Situationen der Präsidentschaftskandidaten. Es wird vermutet, dass hinter den flächendeckenden Angriffen die Cyberarmee aus dem Festland steht. Mehr als fünf von insgesamt 23 Millionen Menschen auf Taiwan nutzen zum Beispiel TikTok, die im chinesischsprachigen Raum als "Douyin" bekannt ist. Der  Mutterkonzern sitzt auf dem Festland.

Taiwan | Präsidentschaftswahlen
TPP-Spitzenkandidat Ko Wen-jeBild: Ng Han Guan/AP Photo/picture alliance

“Bei der Desinformationskampagne wird das Misstrauen gegenüber der USA geschürt. Zudem richtet sie sich gegen die DPP Regierung”, sagt Angela Köckritz. Die KPCh verstärke dabei Kritikpunkte so sehr, dass die Wähler das Gefühl bekommen sollen, die Menschen sprächen über nichts anderes mehr. Sie sollen glauben, dass sie schlecht regiert werden. 

Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.