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Decoding China: Fluch über dem Männerfußball

Dang Yuan
13. September 2024

Während Sportler aus China bei Olympischen und Paralympischen Spielen mit Topleistungen glänzten, steckt Chinas Fußballnationalelf der Männer eine Niederlage nach der anderen ein, zuletzt gegen Japan und Saudi-Arabien.

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Fußball-WM-Qualifikation 2024 | China vs. Saudi-Arabien | Hassan Kadish erzielt Kopfballtreffer
Am Dienstag (10.09.) verlor China das Qualifikationsspiel gegen Saudi-Arabien mit 1:2Bild: Cao Can/Xinhua News Agency/picture alliance

Der kroatische Ex-Nationalspieler Branko Ivanković hatte keinen leichten Einstieg in die Karriere als Profifußballtrainer. In der deutschen Bundesligasaison 1999/2000 war er Trainer des damaligen Zweitligisten Hannover 96. Allerdings gelang dem Club der Aufstieg nicht. Später suchte er sein Glück in Nah- und Fernost. Er war Trainer der iranischen Nationalmannschaft von 2002 bis 2006, später der Cheftrainer eines chinesischen Fußballclubs. Seit Februar 2024 ist der Kroate Nationaltrainer in China. Seine Mission: Qualifikation für die FIFA-Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.

Eine Mission Impossible? China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern schaffte es seit 1930 nur ein einziges Mal in die WM-Endrunde. Das war im Jahr 2002, weil die Gastgeber Südkorea und Japan automatisch qualifiziert waren. So waren zwei weitere Plätze für Asien frei geworden. Auf der Weltrangliste der FIFA steht China auf Platz 87, noch hinter Luxemburg (Platz 84). Deutschland steht derzeit auf Platz 13.

Branko Ivanković, Cheftrainer der chinesischen Nationalelf (Nahaufnahme)
Branko Ivanković, Cheftrainer der chinesischen NationalelfBild: Issei Kato/REUTERS

Pleiten, Pech und Pannen

Nun beginnt in Asien die dritte und entscheidende Qualifikationsrunde des Fußballverbands AFC. Die ersten beiden Gruppensieger in drei Gruppen mit je sechs Mannschaften werden direkt qualifiziert für die WM 2026. Aber das erste Auftaktspiel gegen Japan letzte Woche verlor China haushoch mit 0:7.

Am Dienstag (10.09.) unterlagen die chinesischen Kader der Mannschaft aus Saudi-Arabien trotz Heimvorteil mit 1:2. Nach dem ersten Eigentor durch Saudi-Arabien in der 14. Minute und einer roten Karte wegen Unsportlichkeit in der 19. Minute spielte China 71 Minuten lang gegen zehn Spieler und kassierte trotzdem zwei Gegentore.

Die Stimmung unter den Fans kocht. Wüste Beschimpfungen und Polemik machen sich in den sozialen Medien breit. Auch viele Ex-Nationalspieler üben scharfe Kritik. Ex-Kapitän Fan Zhiyi, der schon immer durch scharfe Rhetorik bekannt war, sagte nach der 0:7-Pleite gegen Japan: "Ich würde schon beim Spiel am liebsten in den Fluss springen!" Später zeigte er sich immer noch fassungslos: "Ich weiß es wirklich nicht, wie ich der Nationalelf Mut und Anerkennung zusprechen soll. Ich bin ratlos. Schimpfen bringt uns nicht weiter. Wir müssen einfach akzeptieren, dass wir schlecht sind."

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"Entwicklungshilfe" aus dem Ausland

Der chinesische Fußballverband CFA beschäftigt sich andauernd mit dem ausbleibenden Erfolg und sucht akribisch nach Antworten. Analog zum Wirtschaftsaufschwung in China entschied sich die Verbandsspitze schon ganz früh, Hilfe aus dem Ausland zu holen und eine Art "Joint Venture" zwischen einem ausländischen Trainer und den chinesischen Spielern zu gründen.

Für viel Geld engagierte der Verband namhafte Trainer aus großen Fußballnationen. Den Anfang machte 1992 der Deutsche Klaus Schlappner, der 1983 als Trainer des SV Waldhof Mannheim in die erste Bundesliga aufgestiegen war. Es folgten der Engländer Bobby Houghton, der Serbe Bora Milutinović, der Holländer Arie Haan, der Spanier José Antonio Camacho, der Italiener Marcello Lippi, der Franzose Alain Perrin. Aber keiner von ihnen blieb länger als drei Jahre. Und keiner hatte einen nennenswerten Erfolg.

Fußball |  FIFA WM-Qualifikation | Japan vs. China, Spielszene
Chinas Nationalspieler Fei Nandong alias Fernando Henrique da Conceição (r.) im Spiel gegen JapanBild: Shuji Kajiyama/AP Photo/picture alliance

Später werden auch talentierte Nachwuchsspieler durch Einbürgerung in der Nationalelf verpflichtet. Zuletzt standen gegen Saudi-Arabien Fei Nanduo alias Fernando Henrique da Conceição sowie Jiang Guangtai alias Tyias Browning im CFA-Trikot auf dem Spielfeld. Auf den Startlisten werden sie unter ihren chinesischen Namen geführt. Jiang war dritte Generation eines chinesischen Auswanderers in England. Der Ex-Brasilianer da Conceição hat dagegen überhaupt keine Blutsverwandten in China.

Politische Mission

Der Aufstieg ist ein politischer Auftrag. Chinas Präsident Xi Jinping ist nämlich ein begeisterter Fußballfan. Bei seinem Staatsbesuch in Deutschland 2014 wohnte er einem Freundschaftsspiel zwischen einer Provinzjugendmannschaft aus China und der U13 des VfL Wolfsburg bei.

Am Rande des APEC-Gipfels 2023 in San Francisco zeigte er sich sichtlich überrascht, als ihn der damalige Premier von Thailand, Srettha Thavisin, in einem Small Talk darüber informierte, Chinas Nationalelf habe am Vorabend die Thai-Mannschaft mit 2:1 besiegt.

Xi wusste offenbar noch nicht Bescheid. "Ich glaube, das war pures Glück", reagierte er spontan. Dann sagte er etwas Zweideutiges: "Ich bin mir aktuell nicht sicher, wie gut unsere Elf spielt." Dieser Satz kann aber auch als Missbilligung verstanden werden, nämlich als: "Ich kann ihre Leistung leider nicht anerkennen." Zu Srettha Thavisin sagte Xi: "Meine Hände sind zu klein, um Basketball zu spielen. Fußball kann ich gut." Dann hob er das rechte Bein und tat so, als würde er aufs Tor schießen. Das Video hat Thailands Regierung veröffentlicht. Chinas Amtspresse würde nie solche Szenen aus dem Privatleben von Spitzenpolitikern zeigen.

"Seit der Machtübernahme von Xi Jinping versucht China, sich noch stärker auf der Ebene der Soft Power in der restlichen Welt einzubringen, da es gelernt hat, dass auch das eigene Image von Bedeutung in einem globalen Machtkampf ist", schreibt Klemens Lobnig in einer wissenschaftlichen Arbeit an der Universität Wien 2020.

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Sportlicher Politiker Xi Jinping beim Besuch in Irland 2012, damals noch Vizepräsident ChinasBild: Brendan Moran/AP Photo/picture alliance

Auch in der Diplomatie komme Sport zum Einsatz. Man denke nur an die "Ping-Pong-Diplomatie". "Und auch Sport, insbesondere der Fußball, spielt in den Plänen zum Ausbau der chinesischen Soft-Power auf mehreren Ebenen eine bedeutende Rolle." Chinesische Firmen übernehmen Anteile von namhaften Fußballclubs. Der Mischkonzern Suning Holding erwarb im Juni 2016 für rund 270 Millionen Euro 69 Prozent an InterMailand, die chinesische Investmentfirma Li Yonghong für rund 520 Millionen Euro 99,93 Prozent der Anteile am AC Mailand vom Vorbesitzer Silvio Berlusconi.

Protest oder Provokation?

Grassierende Korruption

All die Finanzspritzen halfen nicht. Chinas Fußball hat ein Systemproblem. Die ausufernde Korruption frisst all die wenig gebliebene gesunde sportliche Substanz weg. Spielmanipulationen, Beteiligung an Wettspielen und Annahme von Bestechungsgeldern von Wettmafias sollen nach Insiderangaben weit verbreitet sein.

Ausgerechnet am Tag des Spiels gegen Saudi-Arabien verkündete der chinesische Fußballverband CFA mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammen Sanktionen gegen 43 Sportler und Funktionäre, darunter drei Ex-Nationalspieler. Allerdings bestritt ein sanktionierter Spieler jegliche Vorwürfe gegen ihn.

2022 Ex-Nationaltrainer Li Tie  (Nahaufnahme)
Ex-Nationaltrainer Li Tie gestand BestechlichkeitBild: Neville Hopwood/Getty Images

In den vergangenen Jahren hatte China immer wieder hohe Fußballfunktionäre auf die Anklagebank gesetzt. Der ehemalige CFA-Präsident Chen Xuyuan wurde im März wegen Annahme von umgerechnet zehn Millionen Euro Bestechungsgeldern zu lebenslanger Haft verurteilt. Gegen den Ex-Nationaltrainer Li Tie läuft noch das Strafverfahren wegen Bestechlichkeit. Er soll für seinen Club in der zweiten Liga acht Siege in Folge für den Aufstieg erkauft haben.

Seinen Heimatclub in Hubei soll Li überredet haben, so die Anklage, CFA-Boss Chen mit umgerechnet 300.000 Euro zu bestechen mit dem Ziel, ihn selbst zum Nationaltrainer zu ernennen. Später verpflichtete Li vier Spieler aus seinem eigenen Club in der Nationalmannschaft. Im Staatsfernsehen räumte Tian Xudong, Ex-Vereinsvorsitzender von Lis Club ein: "Er hatte klar ein Deal vorgeschlagen. Das war mehr als deutlich". Li habe angeboten, dass einige Spieler in der Nationalelf für mindestens einen genau definierten Mindestzeitraum spielen dürfen - "und wir müssen ihn dann bezahlen." Eine Scheinvereinbarung soll ein Volumen von 7,6 Millionen Euro haben.

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Niederlage bleibt Niederlage

Es gebe keinen inhärenten Zusammenhang zwischen der Goldmedaille eines Sportlers und der Stärke eines Landes, schrieb Jin Jian Guo für das E-Magazin "ThinkChina", einen Ableger der singapurischen Tageszeitung Lianhe Zaobao. "Aber weil die ganze Nation den Sport in den Vordergrund stellt, ist die chinesische Regierungspartei entschlossen, trotz der anhaltend schlechten Leistungen ihrer Spieler massiv in den Fußball zu investieren und auf den Tag zu warten, an dem der chinesische Fußball aufsteigt. In einem Land, in dem es keine Rechtsstaatlichkeit und keine Kontrolle durch eine öffentlichen Meinung gibt, und in einer Gesellschaft, die Geld über alles stellt, wird die Vergabe von hohen Summen an den Fußball nur zu einer erschreckenden Korruption führen."

Schafft China in der dritten AFC-Qualifikationsrunde noch auf Platz 3 oder 4, hätte es noch eine Chance für die WM 2026. Denn die sechs Tabellendritten und -vierten spielen noch die vierte Runde und kämpfen um zwei weitere Plätze für die WM. In der dritten Runde muss China noch gegen Australien, Indonesien und Bahrain spielen. Allerdings belegt China nach zwei Spielen den sechsten und letzten Tabellenplatz mit null Punkten und minus acht Tordifferenz. Die Chancen stehen denkbar schlecht.

Fußball | Training chinesische Nationalmannschaft in Dalian mit Trainer Branko Ivankovic
Nachfolger für Ivanković (2.v.l.) gesucht?Bild: Pan Yulong/Xinhua/IMAGO

Wenn die Spieler kein Spiel gewinnen, wird immer dem Trainer die Schuld gegeben. Die Fans fordern inzwischen den Rücktritt von Trainer Branko Ivanković. Zwei aussichtsreiche Kandidaten stehen schon in den Startlöchern: der Spanier Antonio Puche Vicente, Trainer der chinesischen U-21 Mannschaft, und der Serbe Dejan Durdević, Coach der U-19 Mannschaft in China. Es ist keine Überraschung, dass kein Trainer aus China im Rennen ist.

 

"Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.