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Gesellschaft

Debatte über "Ehrenmord" im Iran

2. Juni 2020

Ein grausamer "Ehrenmord" im Iran zeigt einmal mehr die Dringlichkeit einer Reform des antiquierten Rechtssystems. Aber die Religionswächter mauern.

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Iran | Romina Ashraifs Grab
Grab des Mordopfers im IranBild: irna.ir

Ein Dorf im Nordiran war Ende Mai Schauplatz eines besonders grausamen sogenannten "Ehrenmordes": Der 37-jährige Reza Ashrafi hatte seine Tochter enthauptet. Während andere Fälle oft "unter der Decke" der beteiligten Familien bleiben, erregte dieser krasse Fall große Aufmerksamkeit in sozialen und traditionellen Medien. 

Die 14-jährige Tochter des Täters, Romina, war mit einem 29 Jahre alten Mann heimlich von zu Hause fortgegangen, der später behauptete, seit fünf Jahren in dieses Kind verliebt gewesen zu sein. Rominas Familie untersagte dem Mann jedoch, Romina zu heiraten, was mit Zustimmung ihres Vaters rechtlich zulässig gewesen wäre.

Fünf Tage nach der Flucht Rominas greifen Polizisten das Paar auf und bringen das Mädchen zu ihrem Vater zurück. Laut Medienberichten spielte sich folgendes ab: Rominas Mutter hört im Haus mit an, wie ihr Mann Romina auffordert, sich zu töten, sonst würde er es tun. Die Mutter unternimmt nichts, um das Mädchen zu retten. Nach Rominas brutaler Ermordung organisiert die Verwandtschaft eine Trauerfeier im Namen des "ehrenvollen" Vaters.

Iran | Ehrenmord | Romina Ashrafi
Traueranzeige vom Opfer Romina AshrafiBild: isna.ir

Frauen im Iran trotz Fortschritten benachteiligt

"Die bittere Wahrheit ist: Die patriarchalische Kultur hat tiefe Wurzeln in der iranischen Gesellschaft", sagt die Autorin und Frauenaktivistin Asieh Amini im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Hier spielt es keine Rolle, wie gut ausgebildet die iranischen Frauen sind und wie viel sie dank ihrer starken Stellung in der Zivilgesellschaft erreicht haben", ergänzt Amini, die nach den Unruhen 2009 aus dem Iran floh und heute in Norwegen lebt. "Im jetzigen politischen System haben die Männer nicht nur die Tradition, sondern auch die Gesetzgebung auf ihrer Seite".

Nach außen hin haben die Frauen im Iran viel erreicht, vor allem im Vergleich mit anderen Ländern der Region im Nahost: In Saudi Arabien etwa durften sich Frauen bis vor kurzen nicht einmal Auto fahren. Erst seit 2015 haben sie dort das Wahlrecht.

Im Iran fahren Frauen seit 1940 Auto, wählen und gewählt werden dürfen sie seit 1963. Die Hälfte der Iraner mit Universitätsabschluss sind Frauen. Und die Zahl der Frauen, die die Scheidung einreichen oder sich einvernehmlich aus einer unglücklichen Ehe befreien, steigt kontinuierlich.

Iran l Trennung - Scheidung, Symbolbild l Frauenrecht
Eine Frau im Iran fordert GleichstellungBild: Imago/ZUMA Press

Absurde Scharia-Gesetze

Aber für Frauen im Iran und in Saudi-Arabien ist eines gleich: Sie gelten als unmündige Staatsbürger, aufgrund von Gesetzen, die auf der Scharia fußen.

Alle wichtigen Entscheidungen werden von den Vätern oder Ehemännern getroffen, sogar über den Tod hinaus. Im islamischen Strafgesetzbuch des Iran gilt das Prinzip der Vergeltung. Das heiß: Falls eine Frau Opfer eines Verbrechens wird, entscheidet der Vater, ob auf den Täter Vergeltung - häufig die Todesstrafe - oder Begnadigung wartet.

Wie absurd dieses System ist, zeigt sich an Fällen wie dem Mord an Romina, wo der Täter zugleich derjenige ist, der zwischen Begnadigung und Vergeltung entscheidet. Hier versagt das Justizsystem völlig. Rominas Vater Reza Ashrafi hatte sich laut iranischen Medien vor der Tat bei einem Anwalt informiert, welche Strafen auf ihn warten. Die Auskunft: Zwischen drei und zehn Jahren Gefängnis.

Ashrafi ist nicht der einzige Vater, der diese Lücke im iranischen Justizsystems ausgenutzt hat. Laut einer Studie der iranischen Akademie der Polizei beträgt in einigen besonders traditionell geprägten Provinzen im West- und Südiran der Anteil der sogenannten Ehrenmorde bis zu 45 Prozent aller dort verübten Morde.

Grausamer Kodex des "Anstands"

"In einer traditionellen Gesellschaft ist Anstand das wichtigste Kapital einer Frau", erklärt die iranische Journalistin Mahrokh Gholamhosseinpour. "Ein Mann, dessen Frau oder Tochter keinen Anstand hat, wird von dieser Gesellschaft abgelehnt, gedemütigt und ignoriert". Gholamhosseinpour hat jahrelang über Ehrenmorde im Iran recherchiert. "Ich erinnere mich an ein Mädchen namens Ala aus einem Dorf in Chusestan im Südiran. Ihre Mutter sagte mir, dass sie von mehreren Männern eines anderen Stammes vergewaltigt worden war, als sie Schafe hütete. Als sie halb tot ins Dorf zurückgebracht wird, wird schnell entschieden, dass sie beseitigt werden muss."

In vielen Fällen beauftragt der Vater oder der Großvater einen Bruder oder einen Cousin des "entehrten" Mädchens mit dem Mord. Nach der Tat übernimmt er die Verantwortung oder er begnadigt den Täter. "Bei den meisten Ehrenmorden gibt es keine Beschwerden des Klägers oder des Vormunds. Und der Mörder wird schnell mit Zustimmung beider Parteien freigelassen", hat Gholamhosseinpour festgestellt, die heute in der USA lebt. Rominas Flucht bzw. Entführung hätte wahrscheinlich nicht mit ihrer Ermordung geendet, wenn sie und ihre Familie in einer Großstadt gewohnt hätten, sagt die Expertin.

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Konservativer Widerstand gegen Reformen

Das Schicksal von Romina hat die iranische Gesellschaft aufgewühlt, nicht nur im Netz. Fast alle iranischen Zeitungen berichteten über den Mord an dem 14-jährigen Mädchen. Präsident Hassan Rohani wies sein Kabinett an, endlich für Gesetzesreformen zu sorgen, die Gewalttaten im Namen der vermeintlichen "Familienehre" stärker sanktionieren.

Der Präsident weiß allerdings auch: Gesetzentwürfe, die Frauen vor Gewalt in der Familie schützen sollen, werden von der konservativen Justiz abgelehnt. Solche Gesetze wollten den Westen nachahmen und strebten Ziele an, die den Grundsätzen des Islam widersprächen, so die Argumente aus konservativen Kreisen.

Kobra Chasali treibt diese Argumentation auf die Spitze. Nicht islamische Werte und Gesetze seien schuld am Tod Rominas, sondern die Anhänger der UN-Agenda 2030, die auch die Gleichheit der Geschlechter anstrebe. Chasali ist Mitglied des einflussreichen Kultur- und Sozialrats für Frauen und Familien. Dieses Gremium untersteht direkt dem geistlichen Führer. Seit 35 Jahren versucht der Rat, angebliche islamische Kultur und Werte in der iranischen Gesellschaft zu etablieren und kämpft erbittert gegen die UN-Entwicklungsziele für 2030, weil diese unter anderem sexuelle Aufklärung und Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen fördern. Die Konservativen haben ihren eigenen "Lösungsvorschlag": Mädchen so jung wie möglich zu verheiraten.