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PolitikNahost

Debatte: Sanktionen gegen Syrien weiterhin sinnvoll?

Cathrin Schaer
18. November 2022

Eine UN-Berichterstatterin fordert die Aufhebung aller Sanktionen gegen Syrien. Bei Rechtsexperten und Aktivisten stößt der Vorschlag auf Skepsis. Einige plädieren jedoch für zielgenauere und damit wirksamere Sanktionen.

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Menschen auf großem Platz in der syrischen Stadt Idlib protestieren am 10. Jahrestag des Aufstands gegen den syrischen Präsident Bashar al-Assad (März 2021)
Proteste gegen Präsident al-Assad in Idlib zum zehnten Jahrestag des Aufstands im März 2021Bild: Ghaith Alsayed/AP/picture alliance

"Ich fordere die sofortige Aufhebung aller einseitigen Sanktionen, die den Menschenrechten ernsthaft schaden und jegliche Bemühungen um eine baldige Erholung verhindern." Mit diesen Worten umriss die weißrussische Juristin und UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen, Alena Douhan, ihre Sicht der infolge der Gewalttaten des Assad-Regimes verhängten Sanktionen gegen den syrischen Staat.

Zwölf Tage hatte Douhan in Syrien verbracht. Die Sanktionen gegen Syrien liefen sogar "möglicherweise auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit" hinaus, erklärte sie anlässlich der Vorstellung ihres Berichts

Europäische Länder und die USA haben seit 2011 Sanktionen gegen Syrien verhängt. In jenem Jahr hatte das brutale Vorgehen der Regierung von Baschar al-Assad gegen regierungsfeindliche Demonstrationen im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings zu einem Bürgerkrieg geführt.

UN-Sonderberichterstatterin Alena Douhan sitz bei einer Pressekonferenz in Damaskus, 10.11. 2022, hinter einem Mikrofon
UN-Sonderberichterstatterin Douhan bei einer Pressekonferenz in Damaskus, November 2022Bild: Omar Sanadiki/AP/picture alliance

Vorwurf der Einseitigkeit

Das Instrument wirtschaftlicher Sanktionen wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Wissenschaftler, Analysten und Politiker streiten auch in anderen Fällen über seine Wirksamkeit. Es ist umstritten, wie viel Einfluss Sanktionen auf die Führung in Ländern wie Syrien, Iran oder Russland tatsächlich haben. Oftmals, so ein gegen ihren Einsatz vorgebrachtes Argument, leide die Zivilbevölkerung mehr unter ihnen als die autoritären Herrscher selbst.

Diese Problematik hatte zwar auch Douhan in ihrem UN-Bericht angesprochen. Dennoch stellten syrische Aktivisten und Sanktionsexperten ihre Argumente umgehend in Frage. In einer Erklärung äußerten Mitglieder der Nationalen Koalition der syrischen Oppositionskräfte, Douhan sei nicht unparteiisch und ignoriere die von der syrischen Regierung begangenen Verbrechen. Bemerkenswerert dabei: Douhan stammt mit Weißrussland aus einem Land, das selbst autoritär regiert wird und darüber hinaus ein enger Partner Russlands ist, das militärisch und politisch in großem Maßstab das syrische Regime unterstützt. 

"Douhan hat sich überhaupt nicht dazu geäußert, warum überhaupt Sanktionen gegen das Assad-Regime verhängt wurden", sagt Fadel Abdul Ghany, Leiter des in Großbritannien ansässigen Syrian Network for Human Rights, das seit seiner Gründung im Jahr 2011 Menschenrechtsverletzungen im Land beobachtet.

In ihrem Bericht erklärt Douhan etwa, 6,8 Millionen Syrer hätten ihr Land in den vergangenen Jahren "aufgrund von Armut und Verzweiflung" verlassen. Sie verschweige allerdings, dass sie auch vor Bürgerkrieg und brutaler Unterdrückung geflohen seien, kritisieren die Aktivisten. Außerdem habe die Sonderberichterstatterin nur die vom Regime kontrollierten Gebiete in Syrien besucht. Organisationen, die dort tätig sind, können sich nicht gegen die Regierung aussprechen.

"Assad begeht in Syrien weiterhin Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagt Abdul Ghany. "Warum hat Douhan Assad nicht aufgefordert, politische Gefangene freizulassen oder eine Untersuchung der Kriegsverbrechen gegen einfache Syrer zuzulassen, anstatt die Aufhebung der Sanktionen zu fordern?"

Kinder sitzen auf Steinen in einem Lager für Vertriebene in Darat Izza im Nordwesten von Aleppo, Syrien
Rund 90 Prozent der Syrer leben Hilfsorganisationen zufolge in ArmutBild: Juma Mohammad/Zuma/picture alliance

Alles nur ein Missverständnis?

Es ist nicht das erste Mal, dass Douhans Empfehlungen für Aufruhr sorgen. In der jüngeren Vergangenheit hatte die Juristin ähnliche Erklärungen abgegeben. So schlug sie vor, die Sanktionen gegen Iran, Venezuela und Simbabwe aufzuheben.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in Eucrim, einer Fachzeitschrift der Europäischen Vereinigung für Strafrecht, bezeichnete der Jurist Anton Moiseienko die Arbeit von Douhan als "exzentrisch". Es sei nur eine Frage der Zeit, bis ihre Stellungnahmen als Argument gegen Sanktionen gegen Russland verwendet würden, erklärte er.

Auf Anfrage der DW erklärte Douhan, ihrer Ansicht nach gründe die Aufregung um ihre Position auf einem grundlegenden Missverständnis ihrer Arbeit. Ihre Aufgabe bestehe ausschließlich darin, die Auswirkungen von Sanktionen auf die Menschenrechte zu untersuchen. "Die Leute nehmen meistens an, dass ich auf meinen Dienstreisen der Regierung Fragen zu den Menschenrechten stellen soll", so Douhan, die ihr Amt seit 2020 innehat. "Das aber ist nicht Teil meines Mandats."

"Sie ignoriert den größeren Zusammenhang"

Es treffe zwar zu, dass einige Personen Douhans Mandat nicht verstünden, räumt der Politökonom Karam Shaar, Autor mehrerer Studien zu den Auswirkungen der über Syrien verhängten Sanktionen, ein. "Ich glaube allerdings, dass das Thema Sanktionen viel nuancierter ist, als in Douhans Bericht dargestellt. Sie schafft es weder, die Kausalität aufzuzeigen noch die damit verbundenen Nuancen zu verdeutlichen", sagte Shaar der DW.

"Jeder, der in diesem Bereich arbeitet, weiß, wie schwierig es ist, Kausalitäten oder die genauen Auswirkungen bestimmter Sanktionen auf ein Land herauszuarbeiten", so Shaar. Zu berücksichtigen seien etwa Auswirkungen von Bürgerkriegen, Vertreibung, Korruption, das Auftauchen von Warlords und viele weitere Faktoren. "Douhan scheint sich allerdings sehr sicher zu sein, dass alles Schlechte in Syrien auf die Sanktionen zurückzuführen ist", meint Shaar: "Sie ignoriert den größeren Zusammenhang."

Transparent bei Protesten gegen Präsident Bashar al-Assad in der syrischen Stadt Idlib
"Kriegsverbrecher": Proteste gegen das Assad-Regime in Idlib, März 2021Bild: Muhammed Abdullah/AA/picture alliance

Plädoyer für alternative Sanktionen

Dennoch stimmen manche Experten der Sonderberichterstatterin in einigen Punkten auch zu. "Ich bestreite nicht, dass Sanktionen negative Auswirkungen auf die Menschenrechte haben", so Shaar. "Niemand kann das bestreiten. Aber wir sollten auch über den Kontext und den Rest der Geschichte sprechen."

Sanktionen müssten regelmäßig evaluiert werden, sind sich Shaar und Abdul Ghany vom Syrian Network for Human Rights einig. Nur so ließen sich ihre Auswirkungen erkennen. Dies gelte umso mehr, als diese sich im Lauf der Zeit ändern könnten. Einig sind sich die beiden auch über den Nutzen sogenannter "intelligenter Sanktionen". Dabei handelt es sich um selektivere Maßnahmen, die auf bestimmte Gruppen oder Personen  - und eben nicht auf ganze Sektoren - abzielen und unbeabsichtigtes Leid einfacher Bürger damit minimieren sollen.

Dieser Tage will auch die in Berlin ansässige syrische zivilgesellschaftliche Organisation "Adopt A Revolution" einen neuen Bericht zum Thema Sanktionen veröffentlichen. Darin erörtern mehrere syrische Rechtsexperten die Frage, wie sich die Sanktionen gegen ihr Land verbessern ließen. Neben einer regelmäßigen Bewertung der unbeabsichtigten Auswirkungen schlagen die Experten unter anderem die Beibehaltung von Ausnahmen für humanitäre und medizinische Güter, bessere Information über die Auswirkungen sowie eine verbesserte Kommunikation mit sanktionierten Personen vor. Diese sollten beispielweise klarer darüber informiert werden, wie sie wieder von der Sanktionsliste gestrichen werden können.

Syriens Präsident Baschar al-Assad und der russische Präsident Wladimir Putin (r.) zünden in einer russische-orthodoxen Kirche Kerzen an einer anderen Kerze an
Baschar al-Assad (l.) wird in seinem Kampf gegen die syrische Opposition auch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Militär unterstütztBild: Alexei Druzhinin/Tass/dpa/picture alliance

Sie empfehlen auch eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Sinn mancher Sanktionen. Erwähnt wird etwa der Fall einer deutschen Bank, die aus Angst vor US-Finanzsanktionen nicht mit einer syrischen zivilgesellschaftlichen Gruppe zusammenarbeiten will. Aufgrund solcher Bedenken ist es für viele Syrer schwierig, Geld nach Syrien und aus Syrien heraus zu überweisen.

UN-Sonderberichterstatterin Douhan setzt sich mit solchen Details nicht auseinander. Auf die Frage, ob die Sanktionen gegen Syrien und dessen Regime aus ihrer Sicht in irgendeiner Weise auch positiv sein könnten, hat sie eine unmissverständliche Antwort: "Nein."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.