DDR-Unrecht: Mehr Geld für Opfer
30. Januar 2025Als junges Mädchen hat Ulrike Findeis davon geträumt, Ärztin oder Dolmetscherin zu werden. Doch obwohl die damals 14-Jährige sehr gute Noten hatte, durfte sie nicht auf die Oberschule. Ohne Abitur kein Studium. Im Ablehnungsbescheid aus dem Jahr 1958 heißt es, ihr fehle die "politische Reife, die den Besuch einer Oberschule unseres sozialistischen Staates rechtfertigt".
Das kommunistische Regime in der DDR erwartete schon von Kindern und Jugendlichen bedingungslose Gefolgschaft. Dazu gehörte eine ablehnende Haltung gegenüber Kirche und Religion. Aber Ulrike wurde von ihren Eltern im christlichen Glauben erzogen und konfirmiert. Der atheistische Staat hatte jedoch erwartet, dass sie an der sozialistischen Jugendweihe teilnimmt, einem Fest, das den Eintritt ins Erwachsenenalter markiert und zelebriert.
DDR-Opfer erst im wiedervereinten Deutschland rehabilitiert
So wie der 1943 geborenen Ulrike Findeis wurde zigtausend Menschen in der kommunistischen Diktatur schon früh die Zukunft verbaut. Nach der friedlichen Revolution in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung hofften sie, rehabilitiert und entschädigt zu werden. Das passierte auch, allerdings spät und auf sehr unterschiedliche Weise.
Wer aus politischen Gründen mindestens 90 Tage im Gefängnis verbringen musste, hat seit 2007 Anspruch auf eine monatliche Opferrente von aktuell 330 Euro. Ab 1. Juli 2025 sollen es 400 Euro sein. Außerdem wird diese Form der finanziellen Entschädigung künftig jedes Jahr um den gleichen Prozentsatz erhöht wie die klassische Altersrente.
Diese Verbesserung ist Teil eines Pakets gesetzlicher Verbesserungen für Menschen, die oft bis heute unter den Folgen von DDR-Unrecht leiden.
Einmal gab es 3000 D-Mark
Ulrike Findeis wurde in den 1990er Jahren einmalig mit 3000 D-Mark entschädigt. Das entspricht gut 1500 Euro, der heutigen Währung in Deutschland. Eine Opferrente hat die inzwischen 81-Jährige nie erhalten, obwohl auch beruflich Verfolgten unter bestimmten Voraussetzungen eine regelmäßige sogenannte Ausgleichleistung zusteht. Doch die wurde abgelehnt, weil ihre kleine Altersrente mit dem Einkommen ihres Mannes verrechnet wurde.
"Das hat mich nochmal sehr verletzt", sagt Ulrike Findeis im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie fühlte sich an die Demütigungen in der DDR erinnert.
Job-Angebot: Hilfskraft im Schweinestall
Der Frau, die so gerne Ärztin oder Dolmetscherin geworden wäre, wurde damals zu DDR-Zeiten eine Hilfstätigkeit im Schweinestall einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) angeboten. Das hat sie abgelehnt. Später konnte sie weit entfernt von ihrem Wohnort immerhin eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolvieren.
Durch die jetzt vereinbarten Verbesserungen für Opfer von DDR-Unrecht darf Ulrike Findeis aber doch noch auf eine regelmäßige finanzielle Entschädigung hoffen. "Ich muss ganz ehrlich sagen: In meinem Fall erwarte ich das", betont die in Dresden lebende Rentnerin. Und dieses Mal müsste es auch klappen, denn Ausgleichzahlungen für früher beruflich Verfolgte sollen künftig unabhängig vom Einkommen der Lebenspartner gewährt werden.
Ulrike Findeis: glücklich trotz der belastenden Vergangenheit
Trotz ihrer traumatischen Erlebnisse zu DDR-Zeiten und der langen Wartezeit auf eine angemessene Wiedergutachtung ist Ulrike Findeis mit ihrem Leben insgesamt zufrieden. Das liege vor allem an ihrer Familie: Sie ist glücklich verheiratet, hat vier Kinder, ist Groß- und Urgroßmutter. Dennoch werden die Schatten der Vergangenheit niemals verschwinden.
Jahrzehnte nach dem geplatzten Traum von einer akademischen Karriere traf sie zufällig den dafür verantwortlichen Mann wieder. An dem Ort, wo sie nur bis zur 8. Klasse in die Schule gehen durfte. "Ich bin auf ihn zugegangen und wollte mit ihm Frieden schließen", erinnert sich Ulrike Findeis an die Begegnung mit dem damaligen Schuldirektor.
"Ich wollte ihm sagen, dass mein Leben trotzdem gut verlaufen ist, aber dass das nicht rechtens war, was er damals getan hat." Diesen Vorwurf habe er vehement abgelehnt. "Ich hätte doch zur Jugendweihe gehen können, dann hätte ich mir das alles erspart", sei die Antwort gewesen.
Viele Opfer von DDR-Unrecht sind chronisch krank
Ulrike Findeis hat auch diese Begegnung gut verkraftet. Anderen Opfern von DDR-Unrecht fehlt oft die Kraft und Unterstützung, solche einschneidenden Erlebnisse gut zu verarbeiten. Viele sind chronisch krank, leiden unter Angstzuständen oder anderen Gesundheitsschäden. Auch ihnen wird das neue Entschädigungsgesetz zugutekommen. Denn sie müssen nicht mehr nachweisen, dass ihre Krankheit von Haft oder Verfolgung in der DDR ausgelöst wurde. Dieser Zusammenhang wird künftig als gegeben vorausgesetzt.
Darüber freut sich die SED-Opferbeauftragte des Bundestages, Evelyn Zupke, besonders. "Die Erfahrung von Unrecht und politischer Gewalt in der DDR ist keine Episode im Leben eines Menschen, nach der er auf seinen normalen Lebensweg zurückkehrt", sagt die frühere Bürgerrechtlerin. "Die gesundheitlichen Folgen begleiten viele Betroffene durch ihr gesamtes Leben."
Bundesweiter Härtefallfonds für besondere Notfälle
Das führte bei vielen dazu, dass sie nur eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten und Geld verdienen konnten. Deshalb leben sie heute oft an der Armutsgrenze. Besonders für solche Opfer von DDR-Unrecht ist der nun ebenfalls beschlossene bundesweite Härtefallfonds gedacht, für den Evelyn Zupke lange gekämpft hat.
Dafür stellt der schwedische Möbel-Konzern IKEA sechs Millionen Euro zur Verfügung. Als finanzielle Wiedergutmachung für Zwangsarbeiter, die in der DDR für das Unternehmen schuften mussten. Nach Angaben von IKEA habe man damals nichts von dieser Ausbeutung gewusst. Mit dem bundesweiten Härtefallfonds soll künftig schnell und unbürokratisch geholfen werden, bevor Opfer von DDR-Unrecht endgültig ins Bodenlose fallen.