"Die schlechteste Copa aller Zeiten"
13. Juni 2021Vor gut zwei Jahren konnte sich Thiago Bri vor Gästen kaum retten. Seine Bar "Dantes" im Ortsteil Copacabana in Rio de Janeiro wurde zum inoffiziellen Treffpunkt hunderter Fans aus Chile, die ihre Mannschaft zum Gewinn der Copa America, der Fußball-Südamerikameisterschaft, treiben wollten. Chile scheiterte damals erst im Halbfinale, der Pokal ging an die Brasilianer.
Im Juni 2021 wird es eine solche Volksfeststimmung wie 2019 nicht geben: "Ich habe keine große Erwartung, dass es diesmal so voll wird, weil keine Zuschauer aus anderen Ländern kommen", sagt der 36-jährige Bri. "Er wäre positiv für das Land gewesen, wenn es keine Pandemie gäbe, dann wäre es wohl wieder ein Erfolg für das Land geworden."
Fans sind skeptisch
Auch bei den Fans war die Stimmung vor dem Anpfiff des ersten Spiels von Gastgeber Brasilien gegen Venezuela in Brasilia verhalten. "Es wird die schlimmste Copa America aller Zeiten", war Fußball-Fan Ronaldo de Souza gegenüber der DW überzeugt und fragte sich, wie Begeisterung entstehen soll, "wenn nicht einmal die Spieler wirklich antreten wollen und die Zuschauer nicht eingebunden sind."
Allerdings sah der 37-Jährige dafür auch die mediale Berichterstattung in Brasilien in der Verantwortung. Es gebe Fernsehsender, so de Souza, die das Turnier bewusst stoppen und schlecht machen wollten, weil sie die Übertragungsrechte verloren hätten. "Dann allerdings müsste das Fernsehen auch andere Sendungen einstellen", sagte Ronaldo de Souza.
Vor wenigen Tagen hatten auch die Spieler der Selecao im Anschluss an das WM-Qualifikationsspiel in Paraguay ihren Unmut ausgedrückt. "Wir sind gegen die Organisation der Copa America, aber wir werden niemals nein zur brasilianischen Nationalmannschaft sagen", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme.
"Es gibt auch andere Wettbewerbe"
Ex-Nationalspieler Beto, der in seiner aktiven Zeit unter anderem für den SSC Neapel in Italien spielte, sieht das Turnier mit gemischten Gefühlen. "Die Copa America findet zu einem traurigen Zeitpunkt in Brasilien statt", sagt der 46-jährige Ex-Profi, der für viele große Klubs in Brasilien wie Flamengo, Botafogo oder Gremio Porto Alegre spielte und elf Länderspiele absolvierte, mit Blick auf die Corona-Pandemie mit fast 500.000 Toten.
Zugleich sei die Kritik an der Austragung der Copa America aber auch ein wenig unfair. "Es gibt ja auch all die anderen Wettbewerbe wie die Copa Libertadores, die Copa do Brasil, warum nicht also auch die Copa America?", fragt Beto im Gespräch mit der DW. Es sei klar, dass in dem Turnier auch eine politische Note stecke, weil der Präsident die Copa America nach den Absagen aus Kolumbien und Argentinien nach Brasilien geholt habe. Die politische Auseinandersetzung in Brasilien sei groß. "Das müssen wir beiseitelegen und sagen: Fußball ist Fußball und Politik ist Politik. Und lasst uns Fußball leben."
Mega-Events haben Schaden verursacht
Einer, der seit Jahren den Einfluss der Politik auf den Fußball zu spüren bekommt, ist Cacique José Urutau. Er lebt in direkter Nachbarschaft zum Maracana-Stadion in Rio de Janeiro in einem indigenen Kulturmuseum, das eigentlich VIP-Parkplätzen für WM 2014 und Olympia 2016 weichen sollte. Im Maracana soll auch das Finale der Copa America 2021 stattfinden. Seit Jahren hält Urutau hier aus, im Widerstand gegen diese Mega-Projekte und für das Museum, dass er unbedingt retten will. Er hat jegliches Vertrauen in den Staat und die Politik verloren.
"Diese beiden Mega-Events, die WM 2014 und Olympia 2016, waren für die sozialen Bewegungen und für unser indigenes Dorf Maracana schrecklich. Der Staat hat alles überrannt, dieses Erbe ist geblieben." Und die neuerliche Copa America werde trotz der Pandemie und der Versprechen erneut für Menschenansammlungen sorgen. "Egal was sie sagen, es kommen immer Menschen hierher und wollen die Spieler sehen. Es kommen Polizisten, die alles abriegeln. Es kommen Journalisten."
Im offenen "Dantes" hofft Gastwirt Thiago Bri trotzdem auf einen kleinen Copa-Effekt. Es geht ihm aber nicht um Fußball. "Es geht mir darum, dass ich nach all den harten Monaten keinen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen muss."