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"Das, was Nijasow seinem Volk antut, ist Genozid"

10. September 2003

Turkmenischer Oppositionsführer zur Lage in seiner Heimat

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Bonn, 10.9.2003, DW-radio / Russisch

Vergangene Woche haben wir über die Anhörung im Europäischen Parlament berichtet, bei der die Lage der Menschenrechte in Turkmenistan erörtert wurde. Nach Angaben des Koordinators des GUS-Programms der Internationalen Liga für Menschenrechte, Peter Salmajew, wird schon Ende September das Europäische Parlament über eine mögliche Verabschiedung einer Turkmenistan-Resolution beraten. Der Menschenrechtler ist der Ansicht, dass dies der erste Schritt eines Verfahrens ist, das zu Sanktionen führen kann. Vor den europäischen Parlamentariern sprach einer der heutigen Führer der turkmenischen Opposition und ehemalige Botschafter Turkmenistans in der Türkei und Israel, Nurmuhammet Hanamow. Aus Straßburg fuhr er nach Berlin, wo er mit deutschen Politikern und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen zusammentraf. Am Dienstag (9.9.) hielt er einen Vortag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Aus dem Hauptstadtstudio der Deutschen Welle berichtet Nikita Jolkver:

Der ehemalige Ingenieur Nurmuhammet Hanamow wechselte Mitte der 90er Jahre in den diplomatischen Dienst. Sein letzter Arbeitsplatz: Botschafter in der Türkei und Israel. Anfang vergangenen Jahres trat er von allen seinen Ämtern zurück und brach mit dem Regime von Saparmurat Nijasow und organisierte in der Emigration die oppositionelle Republikanische Partei Turkmenistans im Exil. In seinem Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zeichnete Nurmuhammet Hanamow ein düsteres Bild von der Lage in seiner Heimat. Über das Bildungssystem sagte er folgendes:

"Nijasow ist ein Mann, der im Lande die Akademie der Wissenschaften, die Philharmonie und Theater schließt. Das Bildungswesen macht er praktisch zunichte. Früher dauerte ein Hochschulstudium zwischen fünf und sieben Jahren. Anfangs kürzte er alles auf vier Jahre und seit vergangenem Jahr dauert ein Hochschulstudium nur noch zwei Jahre. In den Mittelschulen dauerte die Ausbildung früher elf Jahre. Er reduzierte sie auf neun Jahre. Die humanitären Fächer werden aus dem Lehrplan genommen und als eines der Hauptfächer wird Ruhnama eingeführt. Das ist ein Pflichtfach nicht nur in den Schulen und Hochschulen, sondern sogar in Unternehmen. Für ihn ist dies natürlich bequem. Über ein Volk, das weder lesen noch schreiben kann, kann man leichter herrschen."

Das Interesse deutscher Politiker, Journalisten und Menschenrechtler an der Entwicklung in Turkmenistan stieg vor allem im vergangenen Jahr – nach dem angeblich von der Opposition organisierten Attentat auf Saparmurat Nijasow, dem Schauprozess gegen den Führer der Opposition, Boris Schihmuradow, und nach dem Erdgasabkommen mit Russland. Der Name von Saparmurat Nijasow erscheint regelmäßig auf den Seiten der deutschen Presse. Die Journalisten geben dem turkmenischen Präsidenten unterschiedliche Namen: Turkmenischer Saddam, Goldener Turkmene, Turkmenischer Diktator, postsowjetischer Stalin, ewig neutraler Führer, Operetten-Stalin usw. Natürlich war in diesem Zusammenhang der Vortrag und der Besuch von Nurmuhammet Hanamow für die deutsche Presse von Interesse.

Der Führer der Republikanischen Partei Turkmenistans im Exil beschrieb das in seiner Heimat herrschende Regime so:

"Das, was Nijasow seinem Volk, den Turkmenen, antut, würde ich als Genozid bezeichnen."

Nurmuhammet Hanamow zog folgenden Vergleich:

"Wir leben heute nicht nur so, wie die Sowjetunion unter Stalin. Nijasow hat ihn mit seinen Taten wirklich bereits übertroffen."

Über die Schwierigkeiten, mit denen die turkmenische Opposition konfrontiert wird, sagte Nurmuhammet Hanamow unter anderem:

"Der turkmenischen Opposition fällt es schwer, zu arbeiten, weil es schwierig ist, Kontakt nach Turkmenistan aufzunehmen, zu den Menschen, die dort leben."

Die Republikanische Partei Turkmenistans im Exil sieht in ihrem Programm keinen gewaltsamen Umsturz des totalitären Regimes vor, wie Nurmuhammet Hanamow sagte, um sich selbst nicht zu schaden. Er selbst wurde in Abwesenheit in seiner Heimat zu einer Haftstrafe verurteilt. Auf die Frage über die möglichen Varianten demokratischer Reformen im Lande und über die Anwendung einer Methode, so wie sie die Amerikaner im Irak mit diesem Ziel angewandt haben, sagte Nurmuhammet Hanamow:

"Das Volk ist für eine Änderung des heutigen Regimes auf jedem Weg bereit. Dort wird es aber keine solchen Folgen geben wie nach den Ereignissen in Afghanistan und im Irak. Glauben Sie mir, in Turkmenistan wird es nicht zu so etwas kommen. Das Volk wird sich über eine Änderung des Regimes nur freuen. Ein solches Chaos und Anarchie wird es dort mit Sicherheit nicht geben. (MO)