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Konflikte

Das Trump-Attentat und der "Bolsonaro-Effekt"

16. Juli 2024

Vom Opfer politischer Gewalt zum Wahlsieger: Wie wirken sich Attentate auf Wahlkämpfe aus? Das Trump-Attentat weckt Erinnerungen an den Messerangriff auf Brasiliens Ex-Präsident. Eine Betrachtung im historischen Kontext.

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Symbolbild I Trump - Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro (Mitte) steht 2019 gemeinsam Donald Trump im Rosengarten  des Weißen Hauses vor dem Mikrophon
Verbündete: Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro (Mitte) besucht den damaligen US-Präsidenten Trump (r) 2019 im Weißen Haus in WashingtonBild: Jim LoScalzo/Captital Pictures/picture alliance

Auf der Zielgeraden zum Sieg? Nach dem Attentat ist Ex-Präsident Donald Trump auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner unter Jubel zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden. Ist ein Triumph bei den US-Wahlen im November wahrscheinlicher geworden?

"Sicher ist, dass ihm der Anschlag zusätzliche Sympathien einbringt", erklärt der Politikforscher und Lateinamerikaexperte Günther Maihold im DW-Gespräch. "Die Person rückt dadurch in eine andere Sphäre. Sie wird von der Bevölkerung als besonders schutzbedürftig angesehen, gleichzeitig aber auch als Retter. Das gilt ebenso für den Fall Trump."

Der ehemalige stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günter Maihold, mit Brille und Bart
Politikforscher und Lateinamerikaexperte Günther MaiholdBild: SWP

Maihold verweist auf das Attentat auf den brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Dieser wurde bei einer Wahlkampfveranstaltung am 6. September 2018 in Rio de Janeiro lebensgefährlich verletzt. Bolsonaro gewann die Präsidentschaftswahlen im Oktober mit 55 Prozent der Stimmen.

"Mischung aus Opfer und Katharsis"

"Ich glaube schon, dass es eine Art Bolsonaro-Effekt gibt", erklärt Maihold. "Der Kandidat wird zum Symptom für den Verfall in der eigenen Gesellschaft und gleichzeitig zu einem Sympathieträger. Das ist eine Mischung aus Opfertum und Katharsis. Mit dieser Konstellation wird ein zusätzliches Element des Charisma gestiftet."

Porträt von Jair Bolsonaro mit der brasilianischen Flagge unscharf im Vordergrund
Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro wurde bei einer Wahlkampfveranstaltung mit einem Messer in den Bauch gestochen und musste notoperiert werdenBild: Eraldo Peres/AP Photo/picture alliance

Der brasilianische Kolumnist Joel Pinheiro da Fonseca geht noch einen Schritt weiter: "Bolsonaro ist nicht der einzige, der nach einem Attentat eine Wahl gewonnen hat", schreibt er in der Tageszeitung Folha de S. Paulo. "Auch US-Präsident Ronald Reagan wurde drei Jahre nach dem Attentat im März 1981 mit großer Mehrheit wiedergewählt."

Pinheiros Schlussfolgerung: "Die beiden waren bereits Favoriten, die versuchten Mordanschläge haben ihren Erfolg lediglich besiegelt. Bei Trump dürfte dasselbe passieren."

Modi überlebt Attentat 

Das trifft auch auf den indischen Premier Narendra Modi zu. Er überlebte am 27. Oktober 2013 in Patna, der Landeshauptstadt des indischen Bundesstaates Bihar, ein Bombenattentat der islamistischen Organisationen "Indian Mujahideen" und "Students Islamic Movement of India".

Indiens Premier Narendra Modi (Mitte) steht an einem blumengeschmückten Sprecherpult mit vielen Mikrofonen, er ist umringt von vier weiteren Männern
Wahlsieger Modi: Nach dem Sieg bei den Wahlen 2024 eröffnet der indische Premier die erste Sitzung des neu gewählten ParlamentsBild: -/AFP/Getty Images

Das Attentat ereignete sich mitten im Wahlkampf. Bei der Abstimmung vom 7. April bis 12. Mai 2014 gewann Modi für seine Partei BJP (Bharatiya Janata Party) erstmals die Mehrheit im indischen Parlament. Er ist mittlerweile seit zehn Jahren im Amt.

Wie alle führenden Amtsträger weltweit verurteilte auch Modi das Attentat auf Trump und rief zu Frieden auf. Doch jenseits der offiziellen Verurteilung von politischer Gewalt dominieren in den sozialen Medien die Schuldzuweisungen.

"Globale linke Netzwerke"

So machte Indiens Regierungssprecher Amit Malviya auf X, ehemals Twitter, sofort die "globale Linke" für den Anschlag verantwortlich. Bereits kurz nach dem Anschlag auf Trump postete er: "Shinzo Abe, der slowakische Premier Robert Fico und jetzt Donald Trump. Die Bedrohung ist real. Globale linke Netzwerke sind am Werk."

Bolsonaros Sohn Flávio verbreitet das gleiche Narrativ. "Die extreme Linke verteufelt und entmenschlicht ihre Gegner mit Lügen - und dies mit Unterstützung der etablierten Medien", schreibt er auf X. "Und dann erscheint ein 'einsamer Wolf', der die Welt retten muss vor dem 'Feind der Demokratie', dem 'Völkermörder' oder den 'Milizen'. Das ist die Formel des Hasses, die reale und quasi tödliche Folgen hat."

Beide sind davon davon überzeugt, dass "Attentate sich immer gegen rechte und konservative politische Anführer richten". Ein Blick in die Vergangenheit zeigt allerdings, dass dies nicht der Fall ist.

Politischer Mord in Quito

So wurde der demokratische US-Präsident Franklin Roosevelt, der für eine erneute Amtszeit kandidierte, am 14. Oktober 1912 auf offener Straße in Milwaukee erschossen. 

Auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Robert Kennedy, Bruder des 1963 ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, wurde während des Vorwahlkampfes 1968 ermordet.

Ein besonders bedrückendes Beispiel ist die Ermordung des ecuadorianischen Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio vor einem Jahr. Der investigative Journalist, der über Korruption und Gewalt in seiner Heimat berichtet hatte, wurde am 9. August 2023 in Quito bei einer Wahlkampfveranstaltung erschossen.

Schwarz-weiß-Porträt von Fernando Villavicencio, der ein Mikrofon in der Hand hält, fotografiert durch die Lücke zwischen zwei Zuschauern
Opfer politischer Gewalt: Der ecuadorianische Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio wurde am 9. August in Quito auf einer Wahlkampfveranstaltung erschossenBild: Boris Romoleroux/Agencia Prensa-Independiente/IMAGO

Politische Gewalt von rechts und links

Die Liste der Attentate auf Präsidentschaftskandidaten ist lang. Zu den Opfern gehören auch der ehemalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko, der 2004 mit Dioxin vergiftet wurde

Und der katholische Priester und ehemalige Präsident Haitis, Jean-Bertrand Aristide, der bei einem Autokonvoi am 20. März 2017 beschossen wurde, aber unverletzt blieb.

"Ob das Attentat von links oder rechts kommt, ist nicht relevant", meint Politikforscher Maihold. Bei Trump passe es zudem nicht in das Schema. Schließlich sei der Attentäter Mitglied der republikanischen Partei. "Es geht eher darum, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem die Polarisierung in eine neue Phase eintritt", sagt er.

Der Einsatz von Gewalt fände immer mehr Akzeptanz. "Diese neue Eskalationsstufe ist in einem Land mit einer Waffendichte wie den USA besonders dramatisch."