1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Das neue Gesetz über Massenmedien könnte die demokratischen Werte in Weißrussland endgültig besiegen"

30. September 2003

– Zum Entwurf des neuen weißrussischen Mediengesetzes

https://p.dw.com/p/47iw

Minsk, 29.9.2003, BELORUSSKAJA DELOWAJA GASETA, russ., Anatolij Neswanow, Walerij Lewkow

Der Entwurf des Gesetzes über Massenmedien wird zweifelsohne der wichtigste Punkt auf der Tagesordnung der bevorstehenden Parlamentssitzung sein. Es wurde seit langem angekündigt. Erarbeitet wurde es im geheimen. Das ist eines der Gesetze, auf die die Aufmerksamkeit der Journalisten nicht extra gerichtet werden muss. Es geht, wie Sie verstehen, um ureigene Interessen. Aber nicht nur um unsere Interessen, sondern auch um Ihre, liebe Leser. Davon, wie die Tätigkeit der weißrussischen Massenmedien geregelt ist, hängt es ab, welche Information Sie bekommen werden, wie zuverlässig diese sein wird.

Das Dokument, auf das die Journalisten seit langem warten, ist beim Parlament noch nicht eingetroffen. Dazu wird es in der nächsten Zeit kommen. Uns ist es jedoch gelungen ein Exemplar des Gesetzentwurfes in die Hände zu bekommen. Aus gut informierten Kreisen der Präsidentenadministration erfuhren wir, dass es sich um die endgültige Fassung des Mediengesetzes handelt.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass viele Rechtsschutzorganisationen Alarm wegen eines weiteren Angriffs der Machtorgane auf die Freiheit des Wortes schlagen werden, sobald der Entwurf veröffentlicht ist Das Gesetzgebungsverfahren sieht jedoch so aus, dass es es praktisch unmöglich macht, noch etwas am Entwurf zu ändern. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die meisten Auserwählten des Volkes nicht dazu neigen, ihre Karriere den demokratischen Werten zuliebe zu riskieren. Dabei gibt es ausreichend Gründe, sich Sorgen zu machen.

Vor einigen Tagen hielten weißrussische Abgeordnete ein gemeinsames Seminar mit Vertretern der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ab. Einer unserer Abgeordneten, der der Kommission angehört, die für die Medien zuständig ist, hielt einen Vortrag über die Demokratisierung der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Massenmedien. Er sprach lange von den Vorzügen der jetzigen Gesetze über Medien und "erinnerte" sich erst am Ende seines Vortrages an den neuen Entwurf des Mediengesetzes. Von den Erneuerungen, die er aufzählte, blieb in Erinnerung, dass im Gesetz ein Sonderartikel auftauchen wird, der völlig der Finanzierung der Redaktionen gewidmet wird, dass der Modus der Registrierung der Massenmedien nach der Annahme des neuen Gesetzes deutlich vereinfacht wird und in einzelnen Fällen die Registrierung als solche ganz wegfallen wird. Das alles wurde natürlich als eine Errungenschaft der Demokratie präsentiert. Erst jetzt, da uns der Gesetzentwurf vorliegt, ist klar, wovon der Parlamentarier genau sprach.

Was den Artikel über die Finanzierung betrifft, so gehen wir ein wenig später darauf ein. Was die Bestimmungen für die Registrierung der Massenmedien angeht, so muss hervorgehoben werden, dass der Parlamentarier nicht gelogen hat. Im neuen Gesetzentwurf ist jedoch lediglich ein Fall vorgesehen, in dem eine Zeitung nicht registriert werden muss: wenn die Auflage 500 Exemplare nicht übersteigt. Im jetzigen Gesetz sind es 300 Exemplare. Ein Fortschritt.

Das erste, was auffällt, ist, dass das Dokument an Artikeln zugenommen hat. Im jetzigen gibt es davon 50, im neuen Gesetzentwurf 65. Das Gesetz ist zweifelsohne besser strukturiert und erarbeitet worden. Die Registrierung wird tatsächlich ein wenig einfacher. So wird für die Registrierung nicht mehr die Zustimmung der entsprechenden Exekutiv- und Befehlsorgane benötigt. Wie bekannt, ist diese Zustimmung derzeit ein effizientes Mittel gegen das Auftauchen nicht genehmer Zeitungen und die Schließung bereits existierender. (...)

Wenn die Registrierung der Massenmedien vereinfacht wird, so wird deren Tätigkeit selbst einer strengeren Kontrolle unterzogen. Die Logik ist offensichtlich. Warum soll das Auftauchen neuer Medien verhindert werden, wenn diese dem Staat Gewinn bringen und sich ein Grund für deren Schließung immer finden wird? Entsprechend Artikel 63 des Gesetzentwurfes kann ein Medium durch einen Gerichtsbeschluss nach einer Klage des Informationsministeriums oder des Staatsanwaltes geschlossen werden. Jetzt können die Staatsanwälte selbständig mit den Medien Tacheles reden. Es ist klar, was dahintersteckt: die Meinung der Staatsanwälte stimmte nicht immer mit der Meinung der Fachleute des Informationsministeriums überein.

Das Informationsministerium kann sich an das Gericht wenden, "wenn das Medium im Laufe eines Jahres mehr als zwei Mal schriftlich verwarnt wurde". Der Staatsanwalt kann sich an das Gericht wenden, "wenn Amtspersonen der Medien im Laufe eines Jahres mehr als zwei Mal vom Staatsanwalt offiziell wegen Verbreitung von Information verwarnt wurden, die gemäß Artikel 51 dieses Gesetzes nicht allen zugänglich gemacht werden darf".

Auf den ersten Blick sieht alles anständig und vornehm aus. Ungeachtet dessen versteckt sich hinter den schönen Formulierungen eine bedeutende Erhöhung der Verantwortung der Massenmedien. Wieso? Weil die Liste der Verletzungen, für die die verhängnisvolle Verwarnung ausgesprochen werden kann, wesentlich erweitert wird. Sowohl der Staatsanwalt als auch das Informationsministerium können eine Verwarnung gemäß Artikel 51 aussprechen, der den Titel "Information, deren Verbreitung in den Massenmedien verboten ist" heißt. Ein Auszug daraus: "... Nicht verbreitet werden darf: Information im Namen nicht registrierter, nicht neu registrierter und verbotener Parteien oder anderer gesellschaftlicher Vereinigungen; Angaben, die den Konsum von Drogen, Psychopharmaka und anderen Betäubungsmitteln zu nicht medizinischen Zwecken sowie Angaben über Arten und Methoden der Herstellung, der Nutzung dieser Mittel propagieren und Orte bekannt geben, wo Drogen, Psychopharmaka und andere Betäubungsmittel erworben werden können; Information, die sozialen, nationalen, Rassen- und religiösen Zwist schürt sowie Information, deren Verbreitung von diesem und anderen Gesetzen verboten ist ..."

Das bedeutet, dass die Journalisten sich weiterhin nicht auf eine nicht registrierte Organisation als Informationsquelle berufen dürfen. Das stimmt nicht mit der Verfassung und der internationalen Praxis überein. Wir werden nicht berechtigt sein, Information darüber zu verbreiten, dass hier oder dort Drogen verkauft werden, die Miliz "jedoch auf der Suche nach Klinskij-Bier ist". Und "die Propaganda des sozialen Zwistes" kann ganz beliebig ausgelegt werden.

Ferner möchten wir darauf aufmerksam machen, dass die Verwarnung offizieller Amtspersonen der Redaktionen wegen Verletzung des Gesetzes durch einen Staatsanwalt Artikel 39 des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft widerspricht, in dem es heißt: "Um Rechtsverletzungen bei Vorhandensein von Angaben über rechtswidriges Vorgehen, das vorbereitet wird, vorzubeugen, verwarnt der Staatsanwalt die Amtsperson oder den Bürger offiziell, dass es unzulässig ist, das Gesetz zu verletzten." Im Fall der Medien wird die Verwarnung nach der Verbreitung der Information ausgesprochen, das heißt, nachdem es zu einer Rechtsverletzung gekommen ist.

Das Informationsministerium ist gemäß diesem Gesetz berechtigt, Verwarnungen "wegen Tätigkeit auszusprechen, die den Redaktionsbestimmungen widerspricht". Nach Ansicht von Experten des Belarussischen Journalistenverbandes bedeutet das, dass "eine Zeitung wegen ungenauer Angaben über die Zeitung selbst, wegen willkürlicher Erhöhung der Auflage, der Regelmäßigkeit, mit der die Zeitung erscheint, sowie anderer formeller Verletzungen geschlossen werden kann".

Und so reagiert der Belarussische Journalistenverband auf eine weitere Erneuerung: "Die Verfasser des offiziellen Entwurfes vereinigen etwas, was nicht unter ein Dach gebracht werden kann – Organe der Staatsverwaltung und Selbstregelungsorgane. Es ist die Gründung eines ‚Gesellschaftlichen Rates für die Koordinierung, die gesellschaftliche Kontrolle und die Lösung von Streitfragen auf dem Gebiet der Massenmedien‘ vorgesehen. Dieser ‚Gesellschaftliche Rat‘ wird beim Informationsministerium gebildet, dessen Zusammensetzung wird durch einen Beschluss des Ministers bestätigt usw. Der Rat wird aus 10 Mitgliedern, Vertretern der Staatsorgane sowie anerkannten Fachleuten auf dem Gebiet der Massenmedien und Wissenschaftlern bestehen", heißt es im Gesetzentwurf. Die Fachleute müssen natürlich in erster Linie vom Informationsministerium anerkannt werden. Dieser "Gesellschaftliche Rat" wird Gutachten darüber erstellen, ob es im Material Verletzungen gibt (oder nicht gibt)."

Jetzt zur Finanzierung. Entsprechend dem Gesetzentwurf ist es den Medien verboten, Geldmittel und anderes Vermögen von ausländischen juristischen und natürlichen Personen, Personen ohne Staatsbürgerschaft sowie von anonymen Quellen entgegenzunehmen. Das könnte dazu führen, dass die Massenmedien keine Kredite bei ausländischen Banken mehr bekommen werden, dass die Rechnungen für die geleisteten Dienste (z. B. Werbung) usw. nicht beglichen werden können. Ferner darf der Anteil der ausländischen Investitionen am Grundkapital der Massenmedien 30 Prozent nicht übersteigen. Der Belarussische Journalistenverband kam zu der Schlussfolgerung, dass "das dem Investitionskodex der Republik Weißrussland widerspricht. Gemäß diesem (Artikel 78) dürfen ausländische Investitionen lediglich bei der Gewährleistung der Verteidigung und der Sicherheit der Republik Weißrussland, bei der Herstellung und der Verbreitung von Drogen sowie Giftmitteln eingeschränkt werden. Was den Informationsmarkt betrifft, so sind keinerlei Einschränkungen beim Investieren von ausländischem Kapital vorgesehen. Daraus folgt, dass der offizielle Entwurf die weißrussischen Medien nicht attraktiv für ausländische Investitionen macht".

Wir sind lediglich auf einige Bestimmungen eingegangen, die unserer Meinung nach besondere Aufmerksamkeit verdienen, weil sie nicht eindeutig ausgelegt werden können. (...) Schon bald werden wir erneut zu diesem Thema zurückkehren. Wie bereits erwähnt wird der Gesetzentwurf demnächst dem Parlament vorgelegt. Es ist naiv anzunehmen, dass die Abgeordneten prinzipiell vorgehen werden (sie werden das Gesetz doch wohl nicht Artikel für Artikel annehmen), berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass die bevorstehende Herbstsitzung die letzte in der jetzigen Legislaturperiode ist, so gibt es noch eine kleine Hoffnung, dass das doch noch eintreffen könnte. Steht doch vielen Abgeordneten eine neue Wahlkampagne bevor, während der die weißrussischen Medien gemäß dem neuen Gesetz arbeiten werden.

P.S. Nach der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes müssen alle weißrussischen Medien neu registriert werden. Die Erfahrungen zeigen, dass eine Neuregistrierung bei weiten nicht alle überstehen. (lr)