Das Leiden des Luiz Inácio Lula da Silva
5. April 2018Hupkonzerte und Freudentänze, Mahnwachen und Proteste - das jüngste Urteil des Obersten Gerichts gegen Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva löst unterschiedliche Reaktonen aus. Das Urteil "beerdigt ein fundamentales Grundrecht", urteilte Lulas Anwalt und Ex-Präsident des Obersten Gerichts, Sepúlveda Pertence. Nach fast elf Stunden hatten die Richter des Obersten Gerichts entschieden, dass Lula seine Haftstrafe von zwölf Jahren und einem Monat antreten muss.
Lula selber verfolgte die Entscheidung in der Metallgewerkschaft in seinem Wohnort São Bernardo do Campo. Er kommentierte das Ergebnis weder vor den anwesenden Anhängern noch gegenüber Journalisten. Er habe die Entscheidung gefasst hingenommen, so enge Vertraute.
Landesweite Proteste
Bereits im Verlauf des Tages zeigten sich Lulas Anhänger landesweit frustriert. In zahlreichen Städten hatten sie sich am Nachmittag zu Mahnwachen versammelt, um Druck auf die Richter in Brasília auszuüben. Sie setzten ihre Hoffnungen auf die Richterin Rosa Weber, die sich in früheren Prozessen im Sinne der Verteidigung geäußert hatte. Nachdem sich Weber am frühen Abend jedoch für Lulas sofortigen Haftantritt ausgesprochen hatte, lösten sich die Pro-Lula-Demonstrationen rasch auf.
Gleichzeitig feierten Lulas Gegner. In mehreren Städten kam es zu spontanen Manifestationen. Vor dem Kongress in Brasília feierten einige Hundert Lula-Gegner mit Hupkonzerten und Freudentänzen. Bereits am Dienstagabend war es landesweit zu Demonstrationen gekommen, in denen Lulas Verhaftung gefordert wurde. Das Oberste Gericht dürfe für ihn keine Sonderregelung schaffen, forderten sie. "Lula gehört in den Knast", so ihr Slogan.
Auch aus den Reihen des Militärs wurde gefordert, die gültige Rechtssprechung zu respektieren. Zuvor hatten bereits Richter und Staatsanwälte tausende Unterschriften für Lulas Verhaftung gesammelt. Man fürchtete, dass eine Sonderbehandlung Lulas zum Präzedenzfall werden könnte. Tausende bereits inhaftierte Verurteilte müssten zwangsläufig wieder auf freien Fuß gesetzt werden.
Urteil ist politisch motiviert?
Lula war Mitte 2017 in erster Instanz wegen Geldwäsche und Korruption zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Im Januar hatte ein Berufungsgericht das Urteil bestätigt und die Strafe auf zwölf Jahre und einen Monat erhöht. Lula sieht das Urteil als politisch motiviert an. Man wolle ihn von den im Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen ausschließen. In Umfragen liegt er klar vorne.
Man habe ihn ohne Beweise verurteilt, so Lula. Er forderte das Oberste Gericht öffentlich auf, die Beweisaufnahme der ersten und zweiten Instanz zu überprüfen. Allerdings ist die Beweisaufnahme mit der Verurteilung in zweiter Instanz bereits beendet. Lula bleiben nun nur noch Revisionen des Urteils vor dem Obersten Gerichtshof und dem Obersten Gericht.
Am Mittwoch ging es vor dem Obersten Gericht konkret um die Frage, ob Lula nach dem Urteil des Berufungsgerichts bereits festgenommen werden darf. Laut Brasiliens Verfassung gilt die Unschuldsvermutung so lange, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. In der Vergangenheit durften in zweiter Instanz Verurteilte deshalb in Freiheit auf die Urteile der Revisionsinstanzen warten. Oft zog sich dies über Jahre, wobei hunderte Fälle in den Schubladen des Obersten Gerichts verjährten.
Bleibt Lula Kandidat?
Um dieser Quasi-Straffreiheit ein Ende zu setzen, änderte das Oberste Gericht im Oktober 2016 seine Rechtssprechung. Gegen in zweiter Instanz Verurteilte durfte nun ein Haftbefehl ausgestellt werden. Während Verfassungsrechtler diese Entscheidung kritisierten, stieß sie bei der Staatsanwaltschaft und der Bundespolizei auf Zustimmung. Denn aus Angst, rasch ins Gefängnis zu müssen, wurden zahlreiche Angeklagte in den Korruptionsprozessen zu Kronzeugen.
Ein Sieg Lulas hätte vermutlich zu einer kompletten Revision dieser Rechtssprechung geführt, glauben Experten. Nun wird Lula aber erst einmal in den nächsten Tagen seine Haft antreten müssen. Direkte Auswirkungen auf seine Kandidatur bei den Oktoberwahlen hat das Urteil jedoch nicht. Seine Arbeiterpartei PT hat bereits angekündigt, Lulas Kandidatur zum Stichtag 15. August beantragen zu wollen, egal ob er dann in Haft sitzt oder nicht.
Laut dem 2010 von ihm selbst unterzeichneten "Saubere Westen" Gesetz dürfen in zweiter Instanz verurteilte Politiker eigentlich nicht an Wahlen teilnehmen. Doch Lula hofft, auch hier noch eine Bresche zu finden. Realistischer scheint jedoch zu sein, dass die PT im letzten Moment einen Ersatzkandidaten präsentiert, der dann von Lula offiziell unterstützt wird.