Der neue Ministerpräsident der Ukraine
29. August 2019Jetzt ist es amtlich: Der neue Ministerpräsident der Ukraine heißt Oleksij Hontscharuk. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte ihn am Donnerstag dem Parlament zur Wahl vorgeschlagen. Noch am gleichen Tag erfolgte die Bestätigung, denn die Präsidentenpartei "Diener des Volkes" verfügt über eine absolute Mehrheit und kann alleine regieren.
Der jüngste Ministerpräsident der Ukraine
Hontscharuk, der bisherige stellvertretende Chef des Präsidialamts, wurde in ukrainischen Medien bereits seit Wochen als heißer Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten gehandelt. Mit 35 Jahren ist er der jüngste ukrainische Regierungschef und setzt einen Trend fort. Seine Vorgänger, Wolodymyr Hrojsman und Arsenij Jazenjuk, waren bei ihrer Ernennung Ende dreißig. Auch der 41-jährige Präsident Selenskyj ist der jüngste, den die frühere Sowjetrepublik als unabhängiger Staat je hatte.
Ähnlich wie der Präsident ist auch Hontscharuk ein Quereinsteiger und politischer Neuling, ließ jedoch bereits vor Jahren politische Ambitionen erkennen. Anders als der frühere Komiker und Schauspieler Selenskyj war Hontscharuk einem breiten Publikum bis vor kurzem unbekannt.
Ein Fachmann für Immobilien
Geboren und aufgewachsen ist Hontscharuk in einem Provinzstädtchen im Gebiet Tschernihiw im Norden der Ukraine, nicht weit von der Grenze zu Russland und Weißrussland enfernt. Hontscharuk studierte Jura an der Akademie für Personalmanagement, einer staatlichen Kaderschmiede für hochrangige Beamte. Es folgte eine Karriere als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Immobilienentwicklung. Hontscharuk leitete Rechtsabteilungen für diverse Bau- und Investitionsfirmen in Kiew und gründete eine Nichtregierungsorganisation, die sich um betrogene Bauinvestoren kümmerte. Auf Fotos aus jener Zeit in seinem Profil im sozialen Netzwerk VKontakte, dem russischen Facebook-Pendant, sieht er wie ein Posterboy der jungen ukrainischen Elite aus: schulterlange Haare, dünner Bart, dreiteilige Anzüge. Hontscharuk nennt dort Politik, staatliche Verwaltung, Schach und Fußball als seine Interessen.
So kam Hontscharuk zur Politik
Das Interesse für Politik führte den promovierten Juristen zunächst in die 2013 gegründete Partei "Kraft der Menschen", die sich nach dem Machtwechsel 2014 als neue liberale Kraft mit unverbrauchten Gesichtern profilieren möchte. Hontscharuk begrüßte die Maidan-Revolution, trat jedoch medial nicht in Erscheinung. Der politische Erfolg blieb zunächst aus, die Partei mit Hontscharuk als Spitzenkandidat schaffte es damals nicht ins Parlament.
Doch Hontscharuk suchte weiter die Nähe zur Regierung und wurde vom damaligen Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius protegiert. 2015 wurde er Leiter einer neuen NGO, die sich als Berater der Regierung in Sachen Bürokratieabbau und Digitalisierung sieht. Als er in einem Interview im April 2019 nach seinen Erfolgen gefragt wurde, nannte Hontscharuk unter anderem zwei Beispiele: die Abschaffung eines früher obligatorischen Stempels auf amtlichen Papieren und eine Vereinfachung von Zahlungen mit Mobiltelefonen. Das ist genau das, was auch der neue Präsident Selenskyj mit seinem Konzept "Der Staat im Smartphone" mit der Ukraine vorhat.
Kein Konkurrent für Selenskyj
Mit der Ernennung des Ministerpräsidenten und der Regierungsbildung ist die Machtübernahme für Selenskyj komplett. Laut der ukrainischen Verfassung ist die Regierung vor allem in Fragen der Innenpolitik mächtiger als der Präsident. Der Posten des Regierungschefs ist daher besonders wichtig. Über Verbindungen zwischen dem Präsidenten und dem Regierungschef ist wenig bekannt. Hontscharuk war jedenfalls nicht Teil des Teams von Selenskyj in dessen früherem Leben als Comedian.
Offenbar suchte Selenskyj einen jungen unverbrauchten Quereinstiger mit einem sauberen Ruf. Hontscharuk passte. Über seine möglichen Verbindungen zu Oligarchen oder umstrittenen Politikern ist bisher nichts bekannt. Regierungschefs wie ihn nennt man im postsowjetischen Raum Technokraten, also Profis, die innenpolitische Alltagsgeschäfte erledigen und den Willen des Präsidenten umsetzen. Hontscharuk fiel bisher nicht mit außenpolitischen Äußerungen auf. Auch in Sachen Charisma scheint der Premier, der trocken spricht und vor der Kamera noch unerfahren wirkt, kein Konkurrent für den Medien-Profi Selenskyj.