Das große Unbekannte: Bauhaus in Celle
7. Mai 2019"Wir müssen uns nicht hinter Dessau und Weimar verstecken", sagt Gästeführerin Christa Förster zur Begrüßung. Eine selbstbewusste Einleitung, zumal die Stadt Celle im Zusammenhang mit der Bauhaus-Schule für Gestaltung wohl nur Wenigen in den Sinn kommt. Das niedersächsische Städtchen ist geprägt von bis zu 700 Jahre alten Fachwerkbauten und seinem Schloss.
Doch Förster betont: "Celle ist Wiege des Neuen Bauens." Und zeigt ein Foto des Mannes herum, der dafür verantwortlich sein soll. Otto Haesler, geboren 1880 in München, kam 1906 als ambitionierter Jungarchitekt nach Celle. Er hatte einen Architekturwettbewerb für Umbau und Erweiterung eines Kaufhauses gewonnen. Zentral am Markt, gegenüber des Alten Rathauses gelegen, ist es auch die erste Station von Christa Försters Führung zur Bauhaus-Architektur in Celle.
Davon ist allerdings nicht viel zu sehen. Haesler legte das Kaufhaus mit einem zweiten Gebäude zusammen und gestaltete die gemeinsame Fassade etwas schlichter. Sie war zuvor verspielt und verschnörkelt mit neobarocken Elementen. Das Projekt verhalf ihm zu gutem Ruf und bald gehörten einflussreiche Kaufleute und Industrielle der Stadt zu seinen Auftraggebern.
Außen Fachwerk - innen klassische Moderne
Weiter geht es durch die Celler Altstadt, vorbei am Hoppener Haus von 1532, einem der schönsten Fachwerkhäuser hier. An einem Platz macht Christa Förster Halt und zeigt auf das Caféhaus Kiess & Krause: "Falls Sie sich fragen, ob das hinter den Fenstern wirklich echte Wagenfeld-Lampen sind: Ja, sie sind echt." Diese Bauhaus-Klassiker zieren die Tische des von Otto Haesler 1927 eingerichteten Cafés.
Christa Förster fordert ihre Besucher auf, vorsichtig durch die Fenster zu spähen, ohne dabei die Gäste beim Kuchen essen zu stören. Nach mehreren Umbauten sei die Einrichtung des zweistöckigen Cafés heute wieder fast so, wie Haesler sie einst entworfen hatte. Dieser hatte hier den Auftrag, zwei Fachwerkhäuser zusammenzulegen und eine ehemalige Baumkuchenfabrik zu einem stilvollen, modernen Café umzugestalten. Er ließ Sitznischen an den Fenstern errichten, an denen sich die Gäste wie im Zugabteil gegenübersitzen. Dazu stellte er rote Samtsofas und Stahlrohr-Stühle der Firma Thonet sowie die von Bauhaus-Schüler Wilhelm Wagenfeld entworfenen Lampen.
Haesler war kein Bauhaus-Schüler
1927, als Haesler das Café einrichtete, war er längst ein Architekt des Neuen Bauens. Er setzte sich mit zeitgenössischen Ideen auseinander und experimentierte damit in Celle. Zur Bauhaus-Schule pflegte er enge Kontakte, stellte Bauhäusler in seinem Büro an. Doch war er selbst nie Schüler an der revolutionären Bildungsstätte. Seine Bauten sind also streng genommen kein Bauhaus.
Angesichts seiner Wohnsiedlung "Italienischer Garten" wird allerdings klar, wie nah er dessen Ideen stand. "Der italienische Garten war Otto Haeslers erste Wohnsiedlung", erklärt Christa Förster nach einem kurzen Spaziergang. Und sie war 1925 sein Durchbruch zum Neuen Bauen: ein bunter Straßenzug, kubische, ineinander verschachtelte Baukörper mit Flachdach. Besonders die Farbigkeit der Häuser sticht ins Auge. Damit beauftragte Haesler den Dekorationsmaler Karl Völker und schuf so die erste farbige Siedlung des Neuen Bauens. Sie machte ihn deutschlandweit bekannt.
Auch die Idee des sozialen Wohnungsbaus hatte den Architekten begeistert. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Wohnungsmangel groß, die Menschen mittellos. Günstiger Wohnraum musste her. Doch am eigentlichen Ziel schoss Haesler hier vorbei: "Die Wohnungen waren mit 125 m² und 85 m² viel zu groß und zu teuer. Es zogen keine Arbeiter, sondern Juristen und Ärzte ein, die sich die Mieten leisten konnten", so Christa Förster.
Den Vorsatz, bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum zu schaffen, konnte Haesler erst mit den Siedlungen Georgsgarten und Blumhäger Feld umsetzen, die man ebenfalls besichtigen kann. Die Wohnungen dort sind erheblich kleiner. Im 2006 sanierten "Italienischen Garten" sind heute alle Wohnungen vermietet. Und sie sind begehrt: Es gibt lange Wartelisten.
Licht fürs Lernen
Christa Förster führt ihre Gäste nun zur Altstädter Volksschule, auch als "Glasschule" bekannt. Sie wurde 1928 gebaut und ist noch heute eine Schule. Auch hier gewann Haesler einen Wettbewerb: Sein Entwurf setzte sich als kostengünstigster durch und lieferte neben dem Schulgebäude gleich ein Rektorenhaus und eine Turnhalle mit.
Der Architekt ließ sich hier von reformpädagogischen Ideen inspirieren: Man erhoffte sich bessere Lernerfolge durch eine gute und gesunde Lernsituation. Rund 1800 Fenster sollten für eine helle, freundliche Atmosphäre sorgen: "Das Licht fiel so in die Klassenräume, dass die Kinder immer optimal sehen konnten, was sie schrieben", so Christa Förster.
Die "Glasschule" wurde schnell international bekannt und zog Presse, Architekten und Pädagogen an, die am Neuen Bauen interessiert waren. Der Besucherstrom wurde so stark, dass man feste Besichtigungszeiten und ein Eintrittsgeld einführte. "Davon kaufte man Milch für die Kinder - eine super Lösung!", findet die Stadtführerin. Für Otto Haesler bedeutete die Schule den internationalen Durchbruch als Architekt der Moderne.
Dekorative Direktorenvilla
Die Führung endet an dem letzten Haesler-Bau in Celle, dem ehemaligen Direktorenwohnhaus. 1930 entwarf er es für den Leiter eines Gymnasiums, mit großzügigen 420 m² Wohnfläche. Dem Direktor habe es allerdings erst nicht gut gefallen, sagt Christa Förster: "Er fand es zu schmucklos und eckig." 2005 wurde das Haus saniert, heute befindet sich darin eine Galerie. Tatsächlich ist das hier gestalterisch nicht weit entfernt von den Dessauer Meisterhäusern. Die Räume mit ihren weiten Glasfronten zum Garten hin eignen sich hervorragend als Ausstellungsräume. Im Treppenhaus findet sich eine durchkomponierte Farbgebung von Treppengeländer, Fußleisten und Fensterrahmen.
Christa Förster verabschiedet sich von ihren Gästen: "Wenn es Ihnen gefallen hat, sagen Sie es gern weiter. Wir würden uns freuen, mehr Gäste für Otto Haeslers Werk in Celle begeistern zu können." Ja, warum ist Celle dafür eigentlich so wenig bekannt? Im Bauhaus-Jahr 2019 oft gehörte Namen wie Walter Gropius oder Lyonel Feininger sind den meisten geläufig, der Otto Haeslers dagegen nur wenigen Eingeweihten. Darauf weiß Förster auch keine Antwort. Zum Schluss zeigt sie einen Stadtplan von Celle, auf dem alle Haesler-Bauten mit einem schwarzen Punkt eingezeichnet sind. Es sind mehr als 50.
Otto Haesler-Touren durch Celle kann man zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Segway machen. Ab Mai fährt eine Kleinbahn Besucher zu den wichtigsten Gebäuden des Architekten.