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Glaube

Das Fremde

25. Januar 2025

„Fremd“ kann faszinieren und neugierig machen. Oder Angst auslösen und verunsichern. Wie begegne ich dem oder der Fremden? Ein Beitrag der evangelischen Kirche.

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junge Teenager Freundinnen (Symbol)
Bild: IMAGO/imagebroker

Eine immerwährende Herausforderung. 

Kreuzzüge im Mittelalter und der Handel erzwangen für zahlreiche Menschen aus Europa religiöse und kulturelle Begegnungen in fremden Kontexten. Unsicherheit, Bedrohung, Angst verbanden dabei das Fremde mit feindseliger Haltung. In Dante Alighieris Werk „Die göttliche Komödie“ aus dem 14. Jahrhundert erscheint das Fremde in einem fahlen Licht. Voll Bitterkeit heißt es: „... wie salzig fremdes Brot schmeckt, und wie hart es ist, fremde Treppen auf- und abzusteigen.“ (Dante Alighieri, Göttliche Komödie, Paradies XVII, 58) Das Fremde schmeckt salzig und ist hart.  

Ist das Fremde per se ungenießbar? Ich denke an drei Momente, in denen mir Fremdheit im Alltag begegnet. Das Fremde in mir und um mich, dem ich also nicht ausweichen kann; das Fremde in anderen Kulturen, das mir nur durch andere Menschen vermittelbar ist; andere Menschen, die mir fremd sind. 

Wenn das Fremde unausweichlich ist 

In einem Traum erlebe ich immer wieder ein Haus am Waldrand. Es ist alt wie auch das Dorf, an dessen Rand es steht. Man erreicht es über eine steile Steintreppe von der Straße aus. In meiner Realität existiert es nicht. Nur im Traum besuche ich es. Das Haus ist mir vertraut. Trotzdem betrete ich es mit Angst. Ich gehe immer in eine fensterlose Kammer. Manchmal hat sie auch keine Tür. Trotzdem gehe ich hinein. Im Traum komme ich von dem Haus nicht los. Wenn ich fortgehe, befinde ich mich kurz danach wieder im alten Haus. 

Ich wache oft auf mit dem Gefühl, an diesem Ort gefangen zu sein. Ich erlebe das Haus als vertrautes Fremdes oder als das Fremde, das ich in mir trage. In meinem Traum kommen Vertrautheit und Fremdheit zusammen. Mein Traum ist Teil meiner inneren Welt, ein Teil von mir, der mir fremd und bedrohlich vorkommt. Das ist eine Kategorie des Fremdseins, die ich nicht annehmen will. Fremdes, das von mir Besitz ergreift, ist unwillkommen.  

Die Gleichzeitigkeit von Fremdem und Nicht-Fremdem findet sich auch in unserem Alltag. Nach zehn, 20 oder 30 Jahren festzustellen, dass einem der Partner oder die Partnerin fremd ist, erschreckt.  

Das Fremde und die Manipulierbarkeit der Kultur 

Als Schüler in meiner ursprünglichen Heimat Kamerun habe ich einmal eine Gruppe von jungen Frauen und Männern aus Deutschland erlebt. Sie waren für ein Arbeitscamp an unsere Internatsschule gekommen. Für sie wurde ein Durchgangsraum neben der Küche gesperrt. Ein Schild auf Französisch hing an der Tür: „Diesen Raum bitte nicht betreten: Die Küche muss sauber bleiben.“ Einer der deutschen Gäste wollte wissen, was auf dem Schild stand. Also übersetzte ich es ihm. Der junge Mann musste sehr lachen. „Typisch Französisch!“, rief er. „Wir Deutschen würden schreiben: ‚Zutritt verboten, Küche!‘“ 

Hart, trocken, emotionslos ... So wirkte die mir fremde deutsche Sprache auf mich. Als ich Jahre später Deutsch intensiver gelernt habe, merkte ich: Man kann auf Deutsch einen Sachverhalt trocken-direkt, aber auch ganz anders ausdrücken. Nämlich persönlich, einfühlsam, taktvoll. Die Sprache war mir nicht mehr fremd. 

Wenn wir uns in das Fremde begeben, ergeben wir uns einer anderen Macht. Und wir sind auf die angewiesen, die uns mit dem Fremden vertraut machen. Wer mir seine Sprache beibringt, bestimmt bewusst oder unbewusst, mit welchen Konnotationen er sie mir weitergibt. Das gilt über die Sprache hinaus. Fremde Kulturen lernen wir über die Essgewohnheiten, Kleidungsordnungen, religiöse Rituale kennen – und eben über die, die uns mit den Gebräuchen des anderen Landes vertraut machen. Fremde Kultur erlernen kann insofern abhängig machen. 

Umkehrbare Machtverhältnisse? 

Manchmal dreht sich dieses Machtverhältnis um. Dann ist nicht der Einheimische der Souveräne. Sondern der, der von außen kommt, wird zum Stärkeren. So war das, als die Europäer zur Kolonialzeit in alle Welt expandierten und ihre Wirtschaft und Kultur in andere Länder gebracht haben. Sie haben Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika grundlegend verändert. Auch die Religion in den Ländern, die sie zu Kolonien gemacht haben.  

Sendungsbewusste Missionare machten sich auch auf den Weg. Ihr Ziel war, die eigene christliche Religion einzuführen. Sie hatten Strategien, mit denen sie die vor Ort vorgefundenen Kulturen teilweise gewaltsam verdrängt haben. Sie konnten dabei die Macht der Kolonialmächte nutzen. Die Menschen in den Missionsgebieten wurden zu „Heiden“, zu Religionslosen und „Barbaren“ erklärt. Sie bedürften der Erziehung. All das sollte ihnen der eifrige Einsatz der Missionare bringen. 

Heute machen die daraus entstandenen Kirchen darauf aufmerksam, dass das Christentum ihren Kulturen und ihren Lebensumständen fremd geblieben ist. Sie versuchen, den Glauben an Jesus Christus innerhalb ihrer eigenen Traditionen auszudrücken.  

Das Beispiel der christlichen Mission in der Kolonialzeit zeigt: Bei der Begegnung zwischen Fremd und Einheimisch sind die Machtverhältnisse nicht festgeschrieben. Sie sind gestaltbar. Es ist auch denkbar und sogar möglich, dass nicht der eine den anderen unterwirft, sondern beide Seiten sich auf Augenhöhe treffen.  

„Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst.“ 

Diese Denkmöglichkeit gibt es in der Bibel. Im Alten Testament erinnert Gott die Israeliten oft daran: Vergesst nicht, dass ihr selbst Fremde in Ägypten wart. Darum behandelt die Fremden bei euch gut.  (2. Mose 22,21; 3. Mose 19,34) Das gipfelt in dem Gebot: „Du sollst den Fremden, der bei euch wohnt, lieben wie dich selbst.“  (3. Mose 19,34) Nicht nur den Nächsten, sondern auch den Fremden lieben. Ihn oder sie nicht unter die eigene Macht bringen und verändern wollen. Sondern ihm und ihr so begegnen, als wäre er und sie nicht fremd, sondern wie ich selbst.  

 

Zum Autor 

1956 in Südkamerun geboren und aufgewachsen 
Autor, Journalist, Pfarrer und interkultureller Trainer 
Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen (Bayern) 
Verheiratet, Vater von drei erwachsenen Kindern, Großvater von vier Enkelkindern 
Im Ruhestand, wohnt im Odenwald 

Deutschland | Kamerunischer Autor | Jean-Félix Belinga-Belinga
Bild: Belinga Belinga

Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.