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Deutscher Mittelstand mindert China-Risiko

Christoph Steitz | Sara Marsh | Maria Martinez Reuters
19. Oktober 2023

Die härtere Linie der Bundesregierung zeigt Wirkung: Deutsche Unternehmen gestalten ihr China-Geschäft autark und verringern ihre Abhängigkeit von diesem riesigen Markt. Andere Länder Asiens profitieren.

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Chinesische Facharbeiterinnen und Facharbeiter arbeiten an Maschinen
Produktion bei Ebm-Papst in Xi'an, ChinaBild: ebm-papst/Handout/REUTERS

Die Zeiten werden schwieriger für Thomas Nürnberger. Seit 2016 führt der 55-Jährige das China-Geschäft  des schwäbischen Ventilatoren- und Motoren-Herstellers Ebm-Papst, und es lief lange prima. Die 1900 Mitarbeiter dort erwirtschaften 13 Prozent des Konzernumsatzes.

Doch die Angst vor einer Verschärfung des Konflikts mit Taiwan, spürbaren Spannungen zwischen Peking und Berlin und möglichen Sanktionen lässt Mittelständler wie Ebm-Papst darüber nachdenken, wie sie in China künftig Geschäfte machen wollen.

"China abkoppeln"

Im vergangenen Jahr hat Ebm-Papst deshalb ein Programm mit dem Namen Decoupling China - auf Deutsch: China abkoppeln - gestartet. Das Ziel: die Tochterfirma, die dort immerhin seit 27 Jahren aktiv ist, so aufzustellen, dass sie auch ohne den Rest des Unternehmens weiterarbeiten könnte.

Porträt Thomas Nürnberger
Thomas Nürnberger, Geschäftsführer bei ebm-PapstBild: ebm-papst/Handout/REUTERS

Gleichzeitig baut Ebm-Papst für bis zu 30 Millionen Euro ein neues Werk in Indien, von dem aus der Rest Asiens beliefert werden könnte, ohne von China abhängig zu sein. In Singapur könnte eine Endmontage entstehen. "Nicht alle Eier in einen Korb legen - das ist auf jeden Fall bei uns immer im Hinterkopf", sagt Nürnberger. Mehr als ein Dutzend Unternehmenslenker, mit denen die Nachrichtenagentur Reuters gesprochen hat, denken - auf die eine oder andere Weise - in diese Richtung.

Mittelstand folgt der Bundesregierung

Sie haben der Bundesregierung aufmerksam zugehört, die unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine deutlich härtere Linie gegenüber China fährt als unter seiner Amtsvorgängerin Angela Merkel. In einem im Juli vorgestellten 61-seitigen Strategiepapier der Ampel-Koalition wird das Riesenreich, das seit 2016 Deutschlands wichtigster Handelspartner ist, als "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale" bezeichnet. Die Politik schreibt den Unternehmen darin wenig vor, aber die Botschaft, sich weniger abhängig zu machen von China, ist angekommen - im Mittelstand noch eher als bei den Großkonzernen.

Die größeren Mittelständler wie Ebm-Papst mit mehr als 2,5 Milliarden Euro Umsatz verfolgen eine Lokalisierungs-Strategie: Was in China produziert wird, wird aus chinesischen Teilen gebaut und bleibt weitgehend im Land. Das heißt jedoch nicht, dass in China nicht mehr investiert würde. Laut Nürnberger steht bei Ebm-Papst bald die Entscheidung über eine 25 Millionen Euro schwere Erweiterungsinvestition an.

"In China für China"

Munk, ein familiengeführter Hersteller von Leitern, Gerüsten und Rettungstechnik aus dem bayerischen Günzburg, hat schon vor fünf Jahren Konsequenzen gezogen, als ein Nachschubproblem die Produktion zum Stillstand brachte. Seit 2021 habe man sich unabhängig von China gemacht, sagt Geschäftsführer Ferdinand Munk. "Auf die Regierung kann man sich da nicht verlassen. Die sind immer fünf Jahre hinten dran."

Erklärtes Ziel des Bundeswirtschaftsministerium ist es, die Beziehungen deutscher Firmen zu Ländern wie Indien, Vietnam, Südkorea oder Indonesien zu stärken - im Zweifel auf Kosten Chinas. Doch das ist leichter gesagt als getan. Das Volumen des deutschen Außenhandels mit China liegt bei fast 300 Milliarden Euro. Und im ersten Halbjahr haben deutsche Unternehmen nach einer Auswertung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in China 10,3 Milliarden Euro investiert. Das ist im globalen Vergleich eine überdurchschnittliche Steigerung und fast so viel wie im Rekordjahr 2022. Damals hatten die Unternehmen allerdings zum Teil auch Geld in die Hand genommen, um ihre China-Aktivitäten abzuschotten.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Li Qiang, Ministerpräsident der Volksrepublik China, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), und Zheng Shanjie, Vorsitzender der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission der VR China
Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen (Juni 2023) in BerlinBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Bundesregierung sponsort weniger Messen in China

Die Bundesregierung versucht steuernd einzugreifen - etwa indem sie das maximale Volumen von Investitionsgarantien pro Land deckelt und weniger Messen in China sponsort: 2024 werden es nur noch 30 sein, in diesem Jahr waren es 44.

Das treffe kleine und mittlere Unternehmen stärker als die Branchenriesen, die auf solche Unterstützung nicht angewiesen seien, sagt IW-Wissenschaftler Jürgen Matthes. Konzerne wie BASF, Mercedes oder BMW können gar nicht ohne China leben.

USA und Mexiko könnten profitieren

Rund die Hälfte des weltweiten Marktes für Chemikalien entfällt auf China, und für die deutschen Autobauer ist China immer noch der lukrativste Absatzmarkt. "Das ist eine bequeme Ausrede", sagt Max Zenglein, Chefvolkswirt des Mercator-Instituts für China-Studien (Merics) in Berlin. "Vor 20, 30 Jahren gab es auch kein China." Die Diversifizierung habe erst begonnen.

Davon profitieren könnten - dank ihrer Subventionen für umweltfreundliche Investitionen - die USA und Mexiko wegen seiner Nähe zu den USA, sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Straßenszene in Hanoi, Vietnam: Frau mit kleinem Mädchen auf Dreirad
Asiatische Länder wie Vietnam ziehen deutsche Firmen anBild: Mustafa Ciftci/AA/picture alliance

Blick nach Vietnam, Thailand, Malaysia, Indonesien

Aber die Blicke richten sich auch in andere asiatische Länder. Zunächst sei Vietnam wegen seiner niedrigen Lohnkosten, der geografischen Nähe zu China und der vielen deutschsprechenden DDR-Gastarbeiter ins Blickfeld gerückt, sagt Jan Rönnfeld von der Deutsch-Indonesischen Handelskammer. Nun folge die zweite Welle in Richtung Thailand, Malaysia und Indonesien.

Die Horn Group aus Tübingen etwa, ein Hersteller von Präzisionswerkzeugen mit rund fünf Prozent China-Anteil am Umsatz, hat in diesem Jahr eine Vertriebstochter in Thailand eröffnet, die nach und nach ausgebaut werden soll, wie Geschäftsführer Markus Horn sagt.

Kleine Unternehmen fürchten China schon länger

Bei kleinen Unternehmen sei die China-Angst schon viel früher dagewesen, sagt Volkswirtin Sandra Ebner von der Fondsgesellschaft Union Investment. "Es wird kein Unternehmen sagen, dass es aus China rausgeht. Was Unternehmen aber zunehmend machen, ist in China für China zu produzieren und sich für den Rest von Asien rund um China zu positionieren" - "China plus eins" also.

Symbolbild: Straßenverkehr in Singapur
Singapur lockt SiemensBild: HOCH ZWEI/picture alliance

Beispiel Siemens: Der Technologiekonzern baut für seine erfolgreiche Steuerungstechnik ein neues, drittes Werk in Singapur - neben den bestehenden im bayerischen Amberg und im chinesischen Chengdu. Vorstandschef Roland Busch wies aber die Vermutung zurück, das habe mit geopolitischen Spannungen zu tun, und verwies auf den Ausbau der Produktion in Chengdu, den er gleichzeitig verkündete. "Wir haben einen hohen Marktanteil in China, den wir verteidigen und ausbauen wollen. Gleichzeitig diversifizieren wir und erhöhen damit unsere Resilienz", sagte Busch im Juni.

Mehr Handel und Investitionen in Indien

Vor Indien hätten viele deutsche Unternehmen dagegen lange zurückgeschreckt, sagte BDI-Funktionär Niedermark - es sei viel zu kompliziert gewesen, dort zu investieren. Inzwischen hätten sich die Bedingungen aber verbessert.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war erst im Juli zu Besuch. Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in Indien sind laut der Bundesbank-Statistik zwischen 2019 und 2022 von 1,13 auf 1,52 Milliarden Euro gestiegen. Der Außenhandel mit Indien ist nach Daten des Statistischen Bundesamts seit 2015 um 73 Prozent auf 30 Milliarden Euro gewachsen - das ist ein Zehntel des Volumens mit China.

Bei Ebm-Papst kommen die Zulieferteile für die indischen Werke zum Teil noch per Container aus China und Deutschland. Mit der neuen Fabrik soll sich das ändern. "Das ist viel besser, wenn es aus Indien selbst kommt", sagte Nürnberger.