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Darf ein Zwölfjähriger auf den Everest?

Stefan Nestler12. August 2015

Der US-Amerikaner Tyler Armstrong will nach Angaben seiner Familie im nächsten Frühjahr als dann Zwölfjähriger versuchen, auf den höchsten Punkt der Erde zu gelangen. Bergsteiger und Wissenschaftler warnen.

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Tyler Armstrong 2013 am Aconcagua. Foto: dpa-pa
Tyler Armstrong 2013 im Basislager am Aconcagua, dem höchsten Berg SüdamerikasBild: picture-alliance/dpa/topwithtyler.com

Tyler Armstrong will den Rekord. Oder sind es vielleicht doch eher seine Eltern, die es wollen? Oder alle drei? Wie auch immer, die Familie des elfjährigen US-Amerikaners hat angekündigt, dass Tyler im nächsten Frühjahr versuchen werde, den 8850 Meter hohen Mount Everest zu besteigen. Dann wäre Tyler zwölf Jahre und vier Monate alt, anderthalb Jahre jünger als sein Landsmann Jordan Romero, der 2010 den Mount Everest von der tibetischen Nordseite aus bestieg und seitdem in den Rekordlisten als jüngster Besteiger des höchsten Bergs der Erde geführt wird.

Tränen im Hochlager

Schon damals gab es eine Debatte darüber, ob es verantwortbar ist, dass ein so junger Mensch auf den Everest steigt und dabei sein Leben riskiert, womöglich noch angetrieben von überehrgeizigen Eltern. Ein Bergsteiger, der 2010 auch am Everest unterwegs war, berichtete der DW, dass Jordan im Zelt auf 7000 Metern Höhe bitterlich geweint habe und seine Eltern ohne Unterlass auf ihn eingeredet hätten. Später wiederholte Romero gebetsmühlenartig, es sei sein eigener Wunsch gewesen, den Everest zu besteigen.

Tibetische Nordseite des Mount Everest. Foto: Stefan Nestler
Tibetische Nordseite des Mount Everest, über die Armstrong möglicherweise aufsteigtBild: DW/S. Nestler

Butterweiche Regel

Als Reaktion auf die weltweite Kritik am Aufstieg des Teenagers verkündete der chinesisch-tibetische Bergsteigerverband CTMA im Sommer 2010, dass er künftig nur noch Everest-Besteigungsgenehmigungen (Permits) für Bergsteiger ausstellen werde, die älter als 18 Jahre sind. Allzu lange wurde die Regel jedoch nicht eingehalten. 2014 bestieg die Inderin Malavath Poorna von Tibet aus den Everest. Mit 13 Jahren und elf Monaten war sie nur einen Monat älter als Romero und wurde so die jüngste Frau oder eher das jüngste Mädchen, das jemals auf dem Dach der Welt stand.

Wenn Tyler Armstrong sich im nächsten Frühjahr wirklich auf den Weg zum Everest machen sollte, wird er - wenn überhaupt - wohl auch nur auf der tibetischen Nordseite eine Chance erhalten. In Nepal gilt nach den Regeln für Expeditionen, die seit 2002 unverändert Bestand haben, ein Mindestalter von 16 Jahren.

Zu wenig Erfahrung

So alt, nämlich 16 Jahre, war im Mai 2001 Temba Tsheri Sherpa, als er von Süden aus als damals jüngster Bergsteiger aller Zeiten zum Gipfel des Everest aufstieg. "Ich denke, ich hatte damals nicht genug Erfahrung. Das war mein erster Versuch überhaupt an einem Achttausender", sagt der 30-Jährige gegenüber der DW im Rückblick selbstkritisch. "Ich hätte eigentlich vorher mehr Bergerfahrung sammeln müssen." Der Sherpa war immerhin ein Jugendlicher, als er den Everest bestieg. Tyler Armstrong wäre dagegen als Zwölfjähriger immer noch ein Kind. Als solches verspricht ihm die UN-Kinderrechtskonvention "wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife" besonderen Schutz und besondere Fürsorge. "Wenn man die Gefahr als Kriterium nimmt, müsste Tylers Aufstieg verboten werden. Denn sein Leben ist am Everest gefährdet", findet Temba Tsheri.

Temba Tsheri Sherpa nach seinem Rekord 2001. Foto: Getty Images
Temba Tsheri Sherpa nach seinem Rekord 2001Bild: Getty Images

"Völliger Unsinn und Narzissmus der Eltern"

Professor Thomas Küpper wird noch deutlicher. "Man sollte Anzeige wegen Kindesmissbrauch stellen", sagt der renommierte Höhenmediziner von der Universität Aachen der DW. Zwar gebe es grundsätzlich keine Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen bei den Symptomen der Höhenkrankheit und dabei, wie oft sie auftrete. "Allerdings gibt es keine Kenntnisse, wie insbesondere schwere Höhenkrankheiten bei Kindern zu behandeln wären." Mit anderen Worten: Sollte sich Tyler Armstrong am Everest ein lebensbedrohliches Lungen- oder Hirnödem zuziehen, würden ihm wahrscheinlich die bei Erwachsenen üblichen Notfallpräparate verabreicht, ohne dass hinreichend untersucht ist, ob und wenn ja, in welcher Dosierung dies bei Kindern sinnvoll ist. Zudem, so Professor Küpper, "hat ein Kind aufgrund anderer Physiologie und Körperproportionen jedem Umwelteinfluss weniger entgegenzusetzen und ist beispielsweise viel mehr unterkühlungsgefährdet." Dass ein Zwölfjähriger auf den Mount Everest steige, sei "völliger Unsinn und reiner Narzissmus der Eltern".

Bergsteiger im gefährlichen Khumbu-Eisbruch oberhalb des Everest-Basislagers. Foto: dpa-pa
Bergsteiger im gefährlichen Khumbu-Eisbruch auf der nepalesischen Südseite des EverestBild: picture alliance/ZUMA Press/P. Tu Sherpa/M. Bogati

Ausnahme-Permits

Tylers Eltern scheinen sich nicht um die Gesundheit ihres Sohnes zu sorgen. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls bei einem Blick auf seine bisherige Gipfelerfolge auf. Armstrong bestieg 2012 schon als Achtjähriger den Kilimandscharo, den mit 5895 Metern höchsten Berg Afrikas, ausgestattet mit einem "Special Permit", einer Sondererlaubnis. Eigentlich liegt dort die vorgeschriebene Altersgrenze bei zehn Jahren. Auch am 6962 Meter hohen Aconcagua, dem höchsten Berg Südamerikas, erwirkten die Eltern eine Ausnahme vom Alterslimit 14 Jahre. Ende 2013 wurde Tyler der jüngste Aconcagua-Besteiger aller Zeiten: mit neun Jahren.