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Cummings: "IS"-Boko-Haram-Verbindung nicht belegt

Isaac Mugabi / ps4. August 2016

Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau meldet sich zurück - nur Stunden, nachdem der "IS" Musab al-Barnawi zu seinem Nachfolger erklärt hat. Egal wer führt - die Bewegung ist auf dem Rückzug, sagt Experte Ryan Cummings.

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Boko Haram Kämpfer (Foto: AP)
Bild: picture alliance/AP Photo

Wer führt Boko Haram? Über die Leitung der nigerianischen Terrormiliz, die sich vergangenes Jahr zum sogenannten "Islamischen Staat" bekannte, lieferten sich die Boko Haram-Anhänger einen öffentlichen Schlagabtausch. Nur einen Tag nachdem der "IS" am Mittwoch in einer Onlinezeitung Musab al-Barnawi zum Führer von Boko Haram kürte, meldete der eigentlich verschollen geglaubte bisherige Anführer Abubakar Shekau sich mit einer Audiobotschaft zurück. Die Menschen sollten wissen, dass es sie noch gebe, sagte er und nannte den arabischen Namen für Boko Haram. Die Führungsansprüche al-Barnawis wies er zurück. Die Meldungen bestätigen Vermutungen, dass die Gruppe schon seit Monaten in verschiedene Fraktionen zerfallen ist. Die DW sprach mit dem Sicherheitsexperten Ryan Cummings.

DW: Herr Cummings, was wissen wir über Abu Musab al-Barnawi, der vom "IS" als neuer Führer der nigerianischen Islamisten ausgerufen wurde?

Ryan Cummings: Wir wissen nicht viel über ihn. Im Januar 2015 tauchte zum ersten Mal sein Name in einer Videobotschaft von Boko Haram auf. Al-Barnawi fungierte damals als Sprecher der Gruppe. Er beantwortete Fragen über die Ziele von Boko Haram, bestritt aber zugleich Berichte, wonach Boko Haram muslimische Zivilisten im Nordosten des Landes massakrierte. Das ist ein wiederkehrendes Thema. Wir finden es auch bei seiner jüngsten Videobotschaft. Dort verspricht al-Barnawi keine Moscheen im Bundesstaat Borno mehr anzugreifen.

Von Abubakar Shekau, der Boko Haram seit 2009 anführte, gab es seit August 2015 kein Lebenszeichen. Welche Rolle spielt er heute?

Wir wissen nicht viel über die Führungsstruktur von Boko Haram und noch weniger von der des "Islamischen Staats" in der Provinz Westafrika (ISWAP). Die zwei Begriffe wurden zuletzt austauschbar verwendet - aber wir wissen nicht, ob sie wirklich das Gleiche bezeichnen. ISWAP könnte ein größerer Zusammenschluss sein, von dem Boko Haram nur eine Untergruppe ist. Es kann also sehr gut sein, dass Abubakar Shekau weiterhin eine Führungsrolle inne hat, aber eben nur als Vize-Chef oder Anführer einer Fraktion unter al-Barnawi. Der könnte hingegen eine regionale Führung übernommen haben. Die Boko-Haram-Bewegung ist ja nicht mehr nur auf Nigeria beschränkt: ISWAP hat Repräsentanten in den Nachbarländern Kamerun, Tschad und Niger. Solange wir nicht die genauen Strukturen von Boko Haram und ISWAP kennen, können wir auch nichts Definitives zum Verhältnis von Abubakar Shekau und Musab al-Barnawi sagen.

Ryan Cummings (Foto: privat)
Nigeria-Experte Ryan CummingsBild: privat

Gewinnt Boko Haram an Bedeutung dadurch, dass der "IS" eine Rolle in der Führung der Gruppe beansprucht?

Wir haben keine Beweise dafür, dass die beiden Gruppen wirklich miteinander verbunden sind. Klar ist nur, dass Boko Haram im März 2015 ihre Loyalität zum "IS" erklärt hat und dass der "IS" diese Gefolgschaft anerkannt hat. Wir haben aber keine Belege dafür, dass beide Gruppen seither zusammengearbeitet haben oder dass der "IS" irgendeine Form der logistischen Unterstützung für Boko Haram übernommen hat. Es wurde spekuliert, dass möglicherweise einige Boko-Haram-Kämpfer in der libyschen Stadt Sirte an der Seite des dortigen "IS" kämpften. Aber auch der "IS" selbst hat nie Beweise für eine Zusammenarbeit zwischen seinem libyschen Ableger und Boko Haram vorgelegt.

Sollten die jüngsten Entwicklungen nicht der nigerianischen Regierung zu denken geben?

Natürlich sollten sie das. Wenn es unvorhergesehene Verschiebungen in der Führung einer Rebellenbewegung gibt, wird das immer Sorgen bei den Staaten auslösen, die sie bekämpfen. Das schafft ein Gefühl, nicht vorhersehen zu können, wie sich die Gruppe entwickeln wird und welche Bedrohung sie künftig darstellen wird. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die nigerianische Regierung bedeutende Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram gemacht hat. Sie konnte alle Gebiete zurückzugewinnen, die die Gruppe zwischen Mitte und Ende 2014 eingenommen hatte. Die Anschläge von Boko Haram sind zurückgegangen - sowohl in den ländlichen als auch in den städtischen Gebieten Nordostnigerias. Die nigerianische Armee hat zurzeit die Oberhand.

Wie stark schätzen Sie Boko Haram noch ein?

Die Gruppe verliert an Handlungsspielraum. Sie haben große Gebiete verloren und sehen sich einer internationalen Anti-Terror-Kampagne gegenüber, an der auch Soldaten aus Kamerun, Tschad und Niger beteiligt sind und die die Unterstützung der UN und der Afrikanischen Union hat. Das Vorgehen gegen Boko Haram ist sehr viel besser koordiniert. Viele Schlüsselfiguren sind verhaftet worden. Sie sind schwächer, als vor zwei Jahren. Aber auch wenn Boko Haram zuvor schon einmal in der Defensive schien, hat die Gruppe es immer geschafft, sich an die Gegebenheiten anzupassen und immer noch eine reale Bedrohung darzustellen.

Ryan Cummings leitet das südafrikanische Risikoanalyse-Unternehmen Signal Risk und ist Teil des Nigeria Security Network.

Das Interview führte Isaac Mugabi.