Corona: Sommermärchen-Prozess vor dem Aus
18. März 2020Das Schweizer Bundesstrafgericht gerät im Kampf gegen die drohende Verjährung beim Sommermärchen-Prozess immer mehr unter Druck. Auch am Mittwoch blieben die Türen des Gerichtsgebäudes in Bellinzona geschlossen, eine Verhandlung fand nicht statt. Tags zuvor erging die Mitteilung, dass aufgrund der "außerordentlichen Lage vor dem Hintergrund des Coronavirus" das Verfahren um ungeklärte Millionenzahlungen vor der Fußball-WM 2006 bis mindestens zum 20. April unterbrochen sei. Nur sieben Tage später verjähren allerdings die Vorwürfe gegen Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Horst R. Schmidt. Ein Urteil und Erkenntnisse zu den dubiosen Geschehnissen werden damit immer unwahrscheinlicher.
"Mit Blick auf die Lage in ganz Europa und die Gesundheit aller Beteiligter ist es die richtige Entscheidung und für uns absolut nachvollziehbar", sagte DFB-Schatzmeister Stephan Osnabrügge. "Wir wissen gleichwohl, dass es nun sehr schwierig sein wird, das Verfahren fristgerecht zu einem geordneten Ende zu führen." Der Verband tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf. Bislang mutet die Verhandlung jedoch eher skurril an anstatt für Aufklärung zu sorgen.
Angeklagt ist neben den früheren DFB-Präsidenten Niersbach und Zwanziger sowie dem früheren DFB-Generalsekretär Schmidt auch der Schweizer Ex-Generalsekretär des Weltverbandes FIFA, Urs Linsi.
Verschärfte Coronavirus-Maßnahmen
Zwanziger, Schmidt und Linsi sind wegen des Verdachts auf Betrug vorgeladen, Niersbach wegen möglicher Gehilfenschaft zum Betrug. Der 74 Jahre alte Zwanziger und der 78 Jahre alte Schmidt waren der Eröffnung des Verfahrens in der vergangenen Woche aus gesundheitlichen Gründen ferngeblieben. Die Richterin in Bellinzona bezweifelte allerdings die Zulässigkeit der Atteste und zog einen Gutachter hinzu. Zwanziger reagierte in der Heimat erzürnt.
Linsi, immerhin 70 Jahre alt, und der 69 Jahre alte Niersbach erschienen zwar zunächst vor Gericht. Beim dritten Termin teilte Niersbachs Anwalt der Justiz aber via E-Mail mit, dass sich "sein Mandant aufgrund des Auftretens eines Coronavirus-Verdachts im familiären Umfeld in eine selbst verordnete Quarantäne begeben habe".
Gleichzeitig wurden die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus im Kanton Tessin, wo Bellinzona liegt, immer weiter verschärft. Für Menschen über 65 Jahre gilt die Ansage, möglichst zu Hause zu bleiben. Alle vier Beschuldigten gehören zu dieser Risikogruppe.
Wenn das Wörtchen wenn nicht wär'
"Wenn die Grenzen wieder offen sind und die in Deutschland wohnenden Beschuldigten in die Schweiz reisen können und wenn die Lage in der Schweiz dann eine Verhandlung erlaubt, könnte das Verfahren theoretisch wieder aufgenommen werden und entsprechend weitergehen", sagte Niersbachs Anwalt. "Ob, respektive wann dies alles eintreten wird, ist heute noch nicht abzusehen."
Gegen Zwanziger und Schmidt kann aber nur dann in Abwesenheit verhandelt werden, wenn sie im bisherigen Verfahren die Gelegenheit gehabt hätten, sich zu den Vorwürfen zu äußern und die Beweislage ein Urteil in Abwesenheit zulässt. "Dies scheint nicht der Fall zu sein", so das Gericht.
Hinzu kommen die Wirrungen rund um Bundesanwalt Michael Lauber, den das Gericht für befangen erklärte. Gegen den höchsten Schweizer Ankläger war wegen seiner Nähe zu FIFA-Präsident Gianni Infantino ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Konkret beanstandete die Behörde, dass Lauber eine eigentlich vorgeschriebene Protokollierung seiner drei nachgewiesenen Treffen mit Infantino fahrlässig unterlassen habe. Es seien "Umstände zu Tage" gebracht worden, "die umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten", schrieb das Gericht wörtlich.
Fünf Jahre und kein Urteil in Sicht
Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte das Verfahren am 6. November 2015 eröffnet. Den DFB hatten die Enthüllungen rund um die Heim-WM 2006 vor über fünf Jahren hart getroffen.
Im Kern geht es bei dem Prozess um eine Überweisung des DFB im Jahr 2005 in Höhe von 6,7 Millionen Euro über den Weltverband FIFA an den 2009 verstorbenen Unternehmer Robert Louis-Dreyfus. Der DFB hatte die Summe als Beitrag für eine Gala zur WM 2006 deklariert, die so aber nie stattfand.
Das Zahlung diente eigentlich zur Tilgung eines Darlehens, das der damalige WM-Organisationschef Franz Beckenbauer im Jahr 2002 von Louis-Dreyfus erhalten hatte. Die Summe verschwand letztendlich auf Konten des damaligen FIFA-Finanzchefs Mohamed bin Hammam. Wofür, ist unklar. Bin Hammam ist inzwischen lebenslang für alle Aktivitäten im Fußball gesperrt. Das Verfahren gegen den früheren, mittlerweile 74-jährigen OK-Boss Franz Beckenbauer war bereits im vergangenen Sommer aufgrund dessen gesundheitlichen Zustandes abgetrennt worden.