1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

COVID-19: Frankreich färbt sich röter

Marina Strauß
25. September 2020

In Frankreich nimmt die Zahl der Corona-Neuinfektionen weiter rasant zu. Die Regierung führt deswegen wieder strengere Regeln ein, das treibt Gastronomen auf die Straße. Sie haben Angst um ihre Existenz.

https://p.dw.com/p/3j06P
Marseille Coronakrise Proteste gegen Gastronomie Schließungen
Marseille: Gastronomen protestieren gegen die vorübergehende Schließung von Bars und RestaurantsBild: Daniel Cole/AP Photo/picture-alliance

Jean Castex gibt sich selbstlos. "Die aktuelle Situation erfordert zwingend unpopuläre Maßnahmen", sagt Frankreichs Premierminister am Donnerstagabend im französischen Fernsehsender France 2. Nein, er achte nicht darauf, wie es um seine Beliebtheit stehe.

Castex ist erst seit Juli im Amt und weiß, dass er diesen Job zu einem "schwierigen Zeitpunkt" in der französischen Geschichte angenommen hat. "Meine Rolle ist es zu erklären, zu erklären, zu erklären, was wir machen", sagt er.

Doch bei vielen stoßen die Erklärungen der Regierung auf Unverständnis. In Frankreich nehmen die Corona-Neuinfektionen seit Wochen zu. Am Donnerstag verzeichnete das Land mehr als 16.000 neue Fälle innerhalb eines Tages - der höchste Stand seit Beginn der Pandemie. Vor allem die Region um die südfranzösische Hafenstadt Marseille ist betroffen. Dort registrierten die Behörden zuletzt 281 Fälle pro 100.000 Einwohner, fast sechs Mal so viele wie der Warnwert von 50 Fällen.

Jean Castex
Undankbarer Job: Jean Castex wurde während der Corona-Krise Frankreich neuer PremierministerBild: picture-alliance/dpa/F. Dugit

Die französische Regierung verordnete deswegen, dass alle Bars, Restaurants und auch Fitnessstudios in der Stadt auf unbestimmte Zeit schließen müssen. Eine Entscheidung, die viele in Marseille wütend macht. An diesem Freitag demonstrierten hunderte Gastronomen. Der französischen Zeitung "Le Monde" sagten einige von ihnen, dass sie sich "zu Unrecht bestraft" fühlten. Sie hätten schon während des mehrere Wochen andauernden Lockdowns wirtschaftlich gelitten, sich dann an alle Hygienemaßnahmen gehalten und empfänden die angeordnete Schließung nun "als Schlag ins Gesicht".

Michèle Rubirola, die Bürgermeisterin von Marseille, teilt diese Empörung. Auf Twitter schreibt sie, dass sie "überrascht und wütend" sei über den Entschluss, über den die Regierung sie nicht einmal informiert habe.

Frankreich will zweiten Lockdown verhindern

Es brodelt also in Frankreich, einem Land, das mit - laut Johns-Hopkins-Universität - mehr als 530.000 Fällen zu den Staaten zählt, die weltweit am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Fast 32.000 Menschen sind dort bereits an COVID-19 gestorben. Und mit der herannahenden kälteren Jahreszeit befürchten viele, dass die zweite Welle noch weiter anschwellen könnte.

Frankreich I Coronavirus | Menschen mit Mundschutzmasken am Eiffelturm
Touristenmagnet Eiffelturm: Die deutsche Regierung definiert Paris als RisikogebietBild: Charles Platiau/Reuters

Frankreichs Landkarte ist deshalb in verschiedenen Rottönen schattiert. Rote Zonen sind solche, in denen sich das Virus "aktiv verbreitet". Je nach Krisenlage gelten unterschiedliche Regeln. So will die Regierung einen zweiten kompletten Lockdown des Landes verhindern und die Wirtschaft, soweit es geht, am Laufen halten.

Seit Beginn der Krise preisen viele Experten Tests als das beste Mittel, um die Pandemie einzudämmen. Das bekräftigte auch die Epidemiologin Vittoria Colizza vom Forschungsinstitut Inserm im Gespräch mit der DW im August in Paris, als der Hauptstadt gerade wegen steigender Infektionszahlen strengere Einschränkungen verordnet wurden.

Viele warten zu lange auf ihre Testergebnisse

Paris: Kampf gegen zweite Welle

Das 67 Millionen Einwohner zählende Land testet inzwischen pro Woche 1,2 Millionen Menschen, viel mehr als im Frühjahr. Wissenschaftler weisen deshalb darauf hin, dass es schwer ist, die Infektionszahlen von März und April mit denen in diesem Herbst zu vergleichen. Das Problem im Moment ist allerdings, dass mögliche Infizierte oft viel zu lange auf ihre Testergebnisse warten müssen. Selbst Gesundheitsminister Olivier Véran räumte vergangene Woche in einer Pressekonferenz ein, dass es "organisatorische Probleme" gebe.

Einige Forscher fordern trotzdem, dass noch viel mehr Menschen getestet werden, auch - oder vor allem - wenn sie keine Symptome zeigen. Das Ziel: COVID-19-Infizierte so schnell wie möglich zu isolieren, damit sie das Virus nicht unwissentlich an andere weitergeben.

Die Epidemiologin Catherine Hill vom Gustave-Roussy-Institut in Paris sieht das Vorgehen der Behörden besonders kritisch: "Die meisten Menschen erfahren erst, dass sie positiv sind, wenn sie gar nicht mehr ansteckend sind", sagt Hill. Um mehr Menschen testen zu können, schlägt sie vor, Gruppentests vorzunehmen, also mehrere Tests auf einmal zu untersuchen. Eine Idee, die nicht alle Forscher als effizient ansehen und die der Haut Conseil de la santé publique (Rat für öffentliche Gesundheit) in einer Mitteilung vom 11. September als zu unsicher zurückgewiesen hat.

Die französische Regierung kennt diese Kritik. Bei France 2 zeigt Premier Castex Verständnis dafür, dass die Franzosen "besorgt" seien. Aus seiner Sicht tue Frankreich alles, um die Bürger "maximal zu schützen".