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Corona lässt die Werften länger leiden

Dirk Kaufmann
29. August 2020

Die Schiffbauer stecken noch tief in der Corona-Rezession. Während die Konjunktur auf dem Wasser schon wieder anzieht, hoffen die Werften noch auf staatliche Unterstützung für Investitionsprogramme.

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Deutschland U-Boot Werft ThyssenKrupp Marine Systems Kiel
Bild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Wer mit Blick auf einen Hafen wohnt oder einen Arbeitsplatz hat, von dem aus man auf eine "Bundeswasserstraße" blicken kann, ist klar im Vorteil. Der kann nämlich mit einem Blick auf den Güterverkehr schon eine recht verlässliche Aussage über den Zustand der Konjunktur treffen. Vereinfacht gesagt: Je mehr Containerschiffe unterwegs sind und je mehr diese Schiffe transportieren, desto besser geht es der Wirtschaft.

Ein Wirtschaftsredakteur bei der DW hat das Privileg, bei der Arbeit auf den Rhein blicken zu dürfen - wenn er nicht gerade zu Hause arbeitet. Auf dem Fluss sieht er schon seit einigen Wochen wieder mehr Schiffe, die auch immer mehr Container geladen haben. Darf er daraus schließen, dass die Seuchen-Rezession in Deutschland ihren Tiefpunkt hinter sich gelassen hat?

Verlässliche Kennziffern

Ja, darf er. Das legen wenigstens die Zahlen nahe, die das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlicht hat. Der "RWI/ISL-Containerumschlag-Index", errechnet vom RWI-Leibniz-Institut und dem Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), ist nämlich saisonbereinigt "im Juli deutlich von 110,2 auf 116,2 gestiegen": Er liege damit nur noch leicht unter dem Vorjahreswert, teilten die Wissenschaftler aus Essen mit.

Infografik - Containerumschlag-Index - DE
Nordeuropäische Häfen (Nordrange) und ihr tiefer Absturz in die Krise

Der Index bildet den Containerumschlag in 91 internationalen Häfen ab. Dort fällt rund 60 Prozent des weltweiten Containerumschlags an. Mit Hilfe statistischer Verfahren und unter Heranziehung tatsächlicher und geschätzter Umschlagszahlen wird ein Index errechnet, dem das Jahr 2015 als Basis dient - für diesen Zeitpunkt wird der Index auf die Kennzahl 100 gesetzt, damit dient er als Referenzwert der jeweils aktuellen Berechnungen. 

Nach Angaben der RWI/ILS-Autoren spiegele ihr Containerumschlag-Index immer recht genau die Angaben zum Welthandel wider, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veröffentlicht werden. Insbesondere während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 habe der Index zuverlässige Daten geliefert. Eingeschränkt werde die Aussagekraft des Index lediglich dadurch, dass nicht alle Güter in Containern transportiert werden, beispielsweise Rohstoffe und Automobile.

Von hohem Niveau tief gestürzt

Während die Geschäfte zur See sich wieder erholen und zu normalisieren beginnen, was Reedereien und Hafenbetreiber mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, kommt der Aufschwung in anderen verwandten Branchen, wie etwa dem Schiffbau, noch nicht an.

Dort sind, so der Branchendienst Clarkson, die Auslieferungszahlen von Schiffsneubauten im ersten Halbjahr 2020 weltweit um ein Fünftel gesunken, in Deutschland seien es sogar 28 Prozent, hat der Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg errechnet. In Deutschland haben in der Krise viele Werften die Produktion gedrosselt, Belegschaften ausgedünnt, verbleibende Arbeitnehmer wurden in Kurzarbeit geschickt und Überstunden abgebaut.

Deutschland Blockbau auf der Meyer Werft
Noch können, wie her bei der Papenburger Meyer-Werft, bereits in Angriff genommene Aufträge abgearbeitet werdenBild: picture-alliance /Lars-Josef Klemmer

Als die Corona-Krise zuschlug, waren die Auftragsbücher so gut gefüllt wie nie. "Bislang wurden noch keine Aufträge storniert", sagte VSM-Hauptgeschäftsführer Lüken gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Reeder und Werften würden bereits seit einem halben Jahr vorhandene Aufträge strecken und geplante Ablieferungen verschieben.

Hoffen auf den Steuerzahler

Reinhard Lüken graust es vor der nahen Zukunft: "Wirklich dramatisch ist der Ausblick nach vorn". Seit dem Beginn der Krise seien weltweit kaum noch Aufträge für neue Schiffe vergeben worden. Das gelte für Fracht- wie Passagierschiffe. "Die Reeder warten ab, wie sich die Lage beim Konsum, bei der Produktion und beim Frachtvolumen entwickelt und verschieben geplante Bestellungen erst einmal auf die Zukunft".

"Zu tun gäbe es aber genug", betont Lüken. Oft seien notwendige Investitionen unterblieben und es brauche jetzt Neubauten, die wirtschaftlicher und klimafreundlicher unterwegs sind. Als Beispiele nennt Lüken der dpa griechische Fährschiffe, die bei Sicherheitstests regelmäßig durchfielen und nur noch mit Ausnahmegenehmigungen unterwegs sein dürften. Auch die meisten Binnenschiffe in Deutschland seien schon seit 60 Jahren auf großer Fahrt.

"Es gibt Bedarf, aber keinen Markt", klagt der VSM-Hauptgeschäftsführer. Die deutschen Schiffbauer setzen ihre Hoffnungen jetzt auf die milliardenschweren europäischen und deutschen Corona-Programme, mit denen auch klimafreundliche Maßnahmen gefördert werden sollen. In der ersten Phase der Pandemie habe die deutsche Politik große Leistungen vollbracht, lobt Lüken und warnt gleichzeitig, dass die kommenden Herausforderungen wegen der strukturellen Anpassungen deutlich anspruchsvoller würden.

Auf Chinas V folgt Europas U

Bislang haben die Werften die Pandemie-Rezession erst mit Verzögerung zu spüren bekommen: Während die Reeder schon dramatische Einbußen hinnehmen mussten, konnten die Werften zunächst die bereits auf Kiel liegenden Schiffe fertig bauen. Jetzt, wo die Schiffer bereits wieder mehr Wasser unterm Kiel haben, brauchen sie aber noch Zeit, um sich Neubauten wieder leisten zu können - Zeit, die die Schiffbauer unter Umständen bald nicht mehr haben.

Infografik Containerumschlag-Index China und der Rest der Welt
Das chinesische "V": Dort war die Krise schon Vergangenheit, als im Rest der Welt die Talsohle noch nicht erreicht war

Die Leidenszeit der deutschen Schiffbauer wird sogar noch länger andauern, wie man anderen Zahlen entnehmen kann. Denn die Erholung der Weltkonjunktur wird noch dauern. Und dabei gibt China, wo die Seuche vor einem dreiviertel Jahr ihren Anfang genommen hatte, das Tempo vor.

Schaut man sich den Verlauf der Rezession an den Zahlen des RWI/ISL-Index an, fallen zwei Dinge auf: Zum einen beginnen die Ab- und Aufwärtskurven zuerst in China und sie zeigen sich in Nordeuropa erst mit deutlicher Verzögerung. Zum anderen verläuft die Konjunkturdelle In China V-förmig, hierzulande dagegen in Form eines U.

Im Reich der Mitte war der Absturz weit dramatischer als hier, die Erholung, nach nur kurzer Talsohle, kommt aber ebenfalls schwindelerregend schnell. In Nordeuropa ist die Talsohle zwar nicht so tief wie in Fernost, dafür dauert sie aber länger an. Und für die Werften, die zuerst auf die Konjunkturerholung warten müssen und dann noch darauf, dass diese auch bei ihren Auftraggebern ankommt, wird das Tal noch viel breiter sein. Für sie wird es noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wird.