1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona: "Kriegsproduktion" Medizintechnik

25. März 2020

Können Autokonzerne von heute auf morgen Beatmungsgeräte bauen, die in der Corona-Krise dringend benötigt werden? Trotz zahlreicher Ankündigungen ist das leichter gesagt als getan.

https://p.dw.com/p/3Zyoe
China Wuhan Krankenhaus mit Corona-Patient
Bild: picture-alliance/AP/Chinatopix

Der US-Autobauer Ford hat angekündigt, sich bald an der Herstellung von Beatmungsgeräten und Schutzmasken zu beteiligen. Das Unternehmen folgt damit einem Aufruf von US-Präsident Donald Trump, Ressourcen für den Kampf gegen das Virus zu mobilisieren.

Auch in Deutschland wird überlegt, ob dringend benötigte Medizinprodukte von branchenfremden Firmen hergestellt werden können. Bei Hand-Desinfektionsmitteln, die relativ leicht herzustellen sind, ist das bereits der Fall - mehrere Firmen haben kurzerhand ihre Produktion umgestellt und verschenken die Mittel an Krankenhäuser.

Weil nun der Grundstoff Ethanol auszugehen droht, dürfen nun auch die großen Bio-Ethanol-Hersteller wie Crop-Energies oder Verbio in die Produktion einsteigen.

Textilunternehmen stellen inzwischen außerdem Mundschutzmasken her, etwa die baden-württembergischen Firmen Mey, ein Wäschehersteller, und Trigema, ein Hersteller von Sport- und Freizeitkleidung. Beide nähen nun einfache, waschbare Textilmasken, die im Pflegebereich zum Einsatz kommen sollen.

Masken statt T-Shirts

"Wir sind mehrfach gefragt worden, ob wir Mundschutzmasken nähen können", sagt Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp im DW-Gespräch. "Am Freitag vergangener Woche haben wir mit der Produktion begonnen und am Dienstag die ersten 10.000 ausgeliefert." Bald sollen 100.000 Masken pro Woche produziert werden, so Grupp.

Weil Textilgeschäfte in der Corona-Krise geschlossen bleiben, ist Trigema rund 50 Prozent seines Absatzes weggebrochen, sagt Grupp. "So konnten wir viel mehr Kapazität einsetzen", um Masken herzustellen. 

Trigema - Wolfgang Grupp
"100.000 Masken pro Woche": Textilunternehmer Wolfgang GruppBild: picture-alliance/dpa

Bei den Masken handelt es sich um einfache Textilmasken, die waschbar sind und wiederverwendet werden können. Wo genau sie aber in Krankenhäusern zum Einsatz kommen dürfen, hängt auch von der Zertifizierung ab, die laut Grupp noch ein paar Wochen dauern wird.

Ihm sei versichert worden, dass seine Masken die Norm EN14683 "spielend erreichen" werden und vom Krankenhaus-Personal etwa bei der Essenverteilung oder dem Waschen von Patienten getragen werden könnten, so Grupp.

Aber die Schutzklassen "FFP1, 2 oder 3 werden wir natürlich nicht erreichen", sagte er. Für diese Masken, die Atemluft filtern, werden Spezialmaschinen und besondere Materialien benötigt. Weitere Textilunternehmen wie der Hemdenproduzent Eterna aus Passau oder der Berliner Brautmodenhersteller Bianco Evento haben mittlerweile ebenfalls ihr Sortiment um Gesichtsmasken erweitert. 

Schutzmasken statt Sweatshirts: Interview mit Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp

"Keine Spielzeuge"

Die Beispiele zeigen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der kurzfristigen Produktionsumstellung. "In der Medizintechnik wird ja kein Spielzeug hergestellt", sagt Niklas Kuczaty zur DW. "Da gibt es komplizierte regulatorische Vorgaben, die alle erfüllt sein müssen."

Kuczaty ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik beim Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Auf Bitten der Gesundheitsministeriums hat sich der Verband an seine Mitgliedsunternehmen gewandt mit dem Aufruf "Coronavirus Covid19 - Lieferanten für Medizintechnik gesucht".

Die Resonanz ist groß, die Zahl der Rückmeldungen liege bisher "im dreistelligen Bereich", so Kuczaty. Groß ist auch die Bandbreite der Antworten: Ein Unternehmen bietet an, über einen Partner in China kurzfristig 500.000 Atemschutzmasken produzieren zu lassen, ein anderes ist spezialisiert auf den Auf- und Abbau von Industriemaschinen und den Transport von A nach B.

Freie Kapazitäten

"Man merkt deutlich, dass alle wirklich helfen wollen", sagt Kuczaty. "Gleichzeitig haben viele Firmen auch das verständliche Interesse, Kapazitäten, die durch die Corona-Krise freigeworden sind, jetzt auf andere Weise zu nutzen."

Es zeigt sich aber auch, dass nicht alles so schnell und leicht herzustellen ist wie Hand-Desinfektionsmittel und textile Mundschutz-Masken.

"Es ist nicht realistisch, dass VW morgen Beatmungsgeräte herstellt", so Kuczaty. "Es ist aber vielleicht realistisch, dass VW in einigen Wochen einzelne 3D-Druck-Teile, die anderweitig nicht geliefert werden können, für solche Beatmungsgeräte herstellt."

Und gerade weil in der Medizintechnik so viele Normen und Vorgaben zu beachten sind, sei es auch wahrscheinlicher, dass Medizintechnik-Spezialisten ihre Produktion umstellen oder ausweiten, als sie Branchenfremden zu überlassen, so Kuczaty.

"Es dauert Jahre"

Auch unabhängig von der Corona-Krise gebe es gerade in Unternehmen aus der Autoindustrie, wo das Geschäft zunehmend schwierig ist, gelegentlich Pläne, sich in der Medizintechnik ein neues Standbein aufzubauen. "Wir sagen denen dann immer: Rechnen Sie damit, dass es Jahre dauert, bis sie wirklich in dieser Branche drin sind", so Kuczaty.

In den USA scheint die Situation ähnlich zu sein. So unternimmt Ford seinen Ausflug in die Medizintechnik mit zwei Partnern, die sich in der Branche gut auskennen: General Electric und 3M.

In Deutschland sieht sich der VDMA mit seinem Aufruf in Sachen Medizintechnik als Vermittler zwischen Lieferanten, Herstellern und Krankenhäusern. Gleichzeitig wolle er so eine Überblick bieten, wer was anbietet bzw. braucht, so VDMA-Mann Kuczaty.

Zukünftig könnte die Plattform auch nützlich sein, damit Hersteller schnell Ersatz für ausgefallene Lieferanten finden können. "Das ist aber derzeit nicht der Fall", sagt Kuczaty. "Nach allem, was wir so hören, funktionieren die Lieferketten aktuell noch gut."

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.