"Der Impfschutz wird länger anhalten"
14. Januar 2021In Deutschland muss jede Impfstoff-Charge vor der Auslieferung auf die Qualität untersucht und anschließend freigegeben werden. Dafür ist hierzulande das Paul-Ehrlich-Institut als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständig. Dessen Präsident Klaus Cichutek ist in der Corona-Pandemie zum gefragten Erklärer des Impfstarts geworden. Im exklusiven DW-Interview spricht er über die Sicherheit der bislang zugelassenen Impfstoffe von BioNtech/Pfizer und Moderna, über mögliche Neben- und Langzeitwirkungen der Impfung und ob die Impfstoffe auch für Kinder freigegeben werden sollten.
DW: Herr Cichutek, mit BioNtech/Pfizer und Moderna sind in der EU die ersten beiden Impfstoffe gegen das Coronavirus auf dem Markt. Wie gut wirken die Impfstoffe bisher?
Klaus Cichutek: Bis jetzt ist die Reaktogenität (beschreibt die Impfreaktionen bzw. die Nebenwirkungen eines Impfstoffes, Anm. d. Red.) wie bei Impfstoffen üblich und wie wir es erwartet haben. Die ersten Daten sehen sehr gut aus: Die Impfstoffe haben in den klinischen Studien eine Wirksamkeit von 90 Prozent und mehr erzielt. Und bei älteren Personen lag die Wirksamkeit immer noch über 80 Prozent. Ich denke, dass wir zwei sehr gute zugelassene Impfstoffe haben, die beide nach den üblichen Standards entwickelt und überprüft wurden. Aktuell sieht also alles gut aus.
Beide Impfstoffe müssen zwei Mal verabreicht werden. Wie lange hält dann der Impfschutz an?
Das wissen wir heute noch nicht. Aber wir haben Indizien für eine anhalte immunogene Aktivität (die Immunreaktion des Körpers, Anm. d. Red.). Einige unserer Daten zeigen, dass die Impfstoffe eine Immunreaktion hervorrufen, die schon mehr als acht Monate existiert. Und sie dauert noch an. Das sind gute Nachrichten. Und Tests bei Affen zeigen, dass schon ein niedriges Level von neutralisierenden Antikörpern ausreicht, um uns vor dem Virus zu schützen. Ich glaube, dass der Impfschutz für einen längeren Zeitraum anhalten wird, aber wir müssen hierzu noch auf weitere Daten warten. Diese Daten werden derzeit erhoben, um längerfristige Aussagen zur Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe machen zu können.
Welche Nebenwirkungen der Impfstoffe sind Ihnen bislang bekannt?
Die meisten bekannten Nebenwirkungen treten nur kurzfristig in den ersten ein bis drei Tagen auf. Leichte bis moderate Schmerzen an der Einstichstelle, eventuelle Müdigkeit, manchmal leichtes Fieber, Kopfschmerzen, Muskel- oder Gelenkschmerzen. Auch eine Schwellung der Einstichstelle kann vorkommen. Aber grundsätzlich sind dies bekannte Nebenwirkungen einer Impfung. Sie dauern nie lange an und sie führen nicht zu wirklichen Schäden. Im Angesicht einer lebensgefährlichen Krankheit wie COVID-19 kann man diese leichten Nebenwirkungen akzeptieren. Aber es scheint, als treten diese Nebenwirkungen ein kleines bisschen häufiger auf als bei der jährlichen Grippe-Impfung.
Können Sie denn schwerwiegende Nebenwirkungen ausschließen?
Solche Nebenwirkungen können derzeit nicht ausgeschlossen werden. Die meisten Nebenwirkungen setzen aber in den ersten Wochen nach der Impfung ein. Wir wissen derzeit, dass Komplikationen sehr selten sind. Dazu zählen allergische Reaktionen und ganz selten auch Gesichtslähmungen. Diese Symptome gab es allerdings auch in der Placebo-Gruppe der klinischen Testphase. Abgesehen davon bieten die Impfstoffe eine sehr hohe Sicherheit.
Manche Menschen haben Sorgen wegen möglicher Langzeitfolgen einer Impfung. Was wissen Sie diesbezüglich?
Wir brauchen noch mehr Daten aus der Impfpraxis. Die klinische Testphase III wird noch zwei Jahre andauern und so Langzeitfolgen beobachten. Die Testpersonen werden darin sorgfältig beobachtet und jedes Anzeichen oder Nebenwirkung erfasst. Bisher gibt es jedoch keine Anzeichen für Langzeitfolgen der Impfung. Die übliche Arzneimittelüberwachung durch das Paul-Ehrlich-Institut und andere medizinische Agenturen wird zudem möglichen unerwünschten Nebenwirkungen bei geimpften Personen nachgehen. Dazu gibt es Informationen auf unserer Webseite und eine eigene "SaveVac"-App, in der alle geimpften Personen mögliche unerwünschte Nebenwirkungen eintragen können. Diese Daten erlauben es uns, die Wirkung noch besser zu verstehen und Nebenwirkungen besser zu erforschen.
In Deutschland wird über eine mögliche Impfpflicht für Pflegekräfte und medizinisches Personal diskutiert. Verstehen Sie, dass manche Menschen impfskeptisch sind?
Ich kann nur raten, sich zu informieren. Unsere Strategie ist es, die Menschen so transparent wie möglich zu den Impfstoffen informieren. Erstens haben alle üblichen Tests vor der Zulassung stattgefunden. Zweitens sorgen wir für eine aktive Arzneimittelüberwachung, mit der wir unmittelbar auf eventuelle Nebenwirkungen reagieren können. Und drittens muss man immer Nutzen und Risiken einer Impfung abwägen: Unter dem Strich sind die Nebenwirkungen bisher mild und nur von kurzer Dauer.
Wie gut ist der Impfschutz denn wirklich? Kann man sich trotz einer Impfung mit dem Coronavirus infizieren?
Aus der Praxis haben wir nur wenig Erfahrungen, da noch nicht lange geimpft wird. Aus der klinischen Testphase wissen wir, dass nur sehr wenige Infektionen nach einer erfolgten Impfung auftreten. Meistens dann, wenn jemand sich bereits unbemerkt mit SARS-CoV-2 infiziert hatte, bevor er die Impfung erhielt. Von 100 geimpften Menschen haben 95 keine Symptome von COVID gezeigt, selbst wenn sie mit Infizierten in Kontakt kamen. Und es sieht danach aus, dass die wenigen Infizierten dann nur einen leichten Krankheitsverlauf zeigen.
Der BioNTech/Pfizer-Impfstoff ist für Menschen ab 16 Jahren freigegeben, der von Moderna ab 18. Können und sollten demnächst auch Kinder geimpft werden?
Manche Impfstoffkandidaten werden auch bei Kindern getestet. Dazu erwarten wir in diesem Jahr Studienergebnisse. Dann könnten die gegenwärtig erteilten Lizenzen auch auf Kinder und Jugendliche ausgeweitet werden. Es hängt aber auch davon ab, ob die Impfkommissionen diesen Einsatz empfehlen werden.
Manche Frauen haben Angst, dass die Impfstoffe Auswirkungen auf eine aktuelle oder zukünftige Schwangerschaft haben könnten. Sind diese Ängste begründet?
Aktuell haben wir wenig Daten zur Impfreaktion von Schwangeren. Deswegen wird es derzeit Schwangeren nicht empfohlen, sich impfen zu lassen. Gar kein Problem sehe ich für den Fall, dass sich eine Frau impfen lässt und dann später schwanger wird. Die ersten Erkenntnisse aus nicht-klinischen Studien bei Tieren zeigen, dass die Impfungen keinerlei Auswirkungen auf Fruchtbarkeit, Schwangerschaft oder die Entwicklung von Föten haben. Aber natürlich müssen wir hier auf Daten von Menschen warten.
Es gab Berichte über Probleme mit allergischen Reaktionen auf die Impfung. Sollten Allergiker sich impfen lassen oder besser nicht?
Hier gibt es keine allgemein gültige Antwort. Wenn man weiß, dass man auf Inhalte von Medikamenten allergisch reagiert, spricht dies gegen eine Impfung. Menschen, die eine übliche Pollenallergie oder Nahrungsmittelunverträglichkeit haben können sich impfen lassen. Aber sie sollten für mindestens 15 Minuten am Impfort zur Kontrolle verweilen. Ärzte können dann bei möglichen auftretenden Reaktionen helfen. Aber - um das noch einmal zu betonen - dies ist äußerst selten der Fall.
Klaus Cichutek ist seit 2009 Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts mit Sitz im hessischen Langen, das nach dem deutschen Mediziner und Nobelpreisträger Paul Ehrlich benannt wurde. Cichutek ist Biochemiker und Professor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Das Interview führte Joscha Weber.